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Herkules. Auguste Lechner
Читать онлайн.Название Herkules
Год выпуска 0
isbn 9783702239060
Автор произведения Auguste Lechner
Издательство Bookwire
Endlich, als die Königin vor lauter Ratlosigkeit nicht mehr aus noch ein wusste, kam ihr ein Gedanke. Es war auch dies kein guter Ausweg – aber er schien ihr immer noch besser als die anderen. Sie rief ihre Mägde zusammen und erzählte, was sie von der Seherin erfahren hatte.
Sie begannen samt und sonders zu weinen und zu jammern, denn es gab keine unter ihnen, die den Sohn ihrer Herrin nicht geliebt hätte wie ihr eigenes Kind.
»Ich weiß nicht, ob es ihn retten kann«, sagte Alkmene endlich traurig, »aber ich habe beschlossen, ihn in das Tamariskengebüsch draußen vor den Mauern zu bringen. Die Sträucher stehen sehr dicht und niemand wird ihn dort suchen – auch Hera nicht. Er wird Schatten haben und die wilden Tiere wagen sich nicht so nahe an die Stadt heran. Ich will ihn mit einem groben Kittel bekleiden: So wird es aussehen, als hätten ihn arme Leute ausgesetzt, die ihn nicht ernähren können. Wer sollte da auf den Gedanken kommen, dass das Kind mein Sohn ist? Von Zeit zu Zeit aber muss eine von euch hinauslaufen zum Gehölz und nachsehen, ob es ihm gut geht. Und dann müssen wir eben warten, was heute geschieht. Wenn die Seherin wahr gesprochen hat, ist die Gefahr am Abend vorüber und wir können Herakles zurückholen – so hoffe ich«, fügte sie bekümmert hinzu.
Alles geschah, wie Alkmene es in ihrer Angst und Verwirrung befahl. Zwar schüttelten die Mägde die Köpfe, aber sie gehorchten. Eine alte Dienerin trug den Knaben, der nichts am Leibe hatte als ein zerschlissenes Leinenhemd, hinaus vor die Mauern und legte ihn fürsorglich in den Schatten der Tamarisken, ein wenig abseits von der Straße, die zur Stadt führte.
»Mögen die Götter dich behüten«, murmelte sie und machte sich betrübt auf den Heimweg. »Die anderen Götter, meine ich«, verbesserte sie sich hastig, »denn Hera darfst du nicht unter die Augen kommen, sonst ist es um dich geschehen!«
Die Mägde liefen an diesem Tag emsig zwischen dem Palast und den Tamariskenbüschen hin und her, ohne dass die Königin sie erst dazu zu ermahnen brauchte.
Alkmene aber saß in ihrem goldenen Saal, ihre Hände drehten die Spindel und manchmal riss der Faden oder er wurde dick und hässlich, weil sie vor lauter Tränen nichts mehr sehen konnte. Die Stunden schlichen mit schrecklicher Langsamkeit dahin. Mägde kamen herein, rot und heiß von der Sonne, und sagten: »Es geht ihm gut! Nur ist die Hitze jetzt sehr groß. Wir legen ihn aber immer wieder an einen Platz, wo es schattig ist! Wir haben ihm auch zu trinken gegeben und er hat uns fröhlich angelacht!« So erzählten die Dienerinnen und es tröstete die Königin für eine kurze Weile. –
Und dann stürzte plötzlich diese schreiende Magd herein und führte wirre Reden von einem bösen Dämon, der sie zu Tode erschreckt habe. »Ich schwöre dir, Herrin, ich habe den wütenden Schrei ganz deutlich gehört, und darauf strich etwas an mir vorbei – aber es war ja nichts da – nichts und niemand …«
Hera!, dachte Alkmene, die atemlos zugehört hatte. Hera war hier und sie hat Herakles nicht gefunden – darum war sie so zornig! Aber nun ist alles gut. Die Seherin hat die Wahrheit gesagt und mein Sohn ist gerettet. Was für ein Glück, dass ich ihn aus dem Palast fortgebracht habe. Jetzt will ich ihn sogleich holen lassen! In diesem Augenblick sah sie die fremde Frau, die den Knaben im Arm hielt! –
Ja, nun schien wirklich alles gut. Die Mägde weinten vor Freude und holten die Wiege aus der Kammer des Knaben, denn die Königin hatte gesagt: »Von nun an will ich Herakles nie mehr allein lassen. Stellt die Wiege in mein Schlafgemach dicht neben mein eigenes Bett. Wer ihm etwas zuleide tun will, der wird zuerst mich töten müssen!«
Später, als der Knabe längst schlief, saß sie neben ihm, lange Zeit. Sie sah ihn nur an. Es schien ihr, als sei er noch schöner geworden als zuvor. Und wenn es nicht so närrisch wäre, würde ich sagen, er ist seit dem Morgen auch gewachsen, dachte sie kopfschüttelnd und musste ein wenig über sich selbst lachen. Endlich begab auch sie sich zur Ruhe. –
Im Palast war es still geworden. Draußen lag die Dunkelheit der Sommernacht, nur ein Streifen Mondlicht fiel durch die Fensteröffnung.
Plötzlich war in der tiefen Stille ein Geräusch. Ein leiser Laut nur, wie ein Schleifen oder Rascheln. Ein schmaler schwarzer Schatten glitt durch das Mondlicht – und dann ein zweiter. Sie glitten auf die Wiege zu und richteten sich auf. Dünn und biegsam wie Peitschenschnüre lagen sie einen Augenblick still auf dem Luchsfell, mit dem der schlafende Knabe zugedeckt war. Herakles schlief immer noch und auch die Königin schlief, ohne Ahnung von der tödlichen Gefahr, die ihr Kind bedrohte. Denn nun hatten Heras Schlangen den Knaben gefunden. Langsam bewegten sie sich vorwärts, schlüpften glatt und kühl unter dem Nacken des kleinen Schläfers durch und begannen, sich um seinen Hals zu winden.
Da erwachte Herakles. Sein Schrei riss Alkmene aus dem Schlaf und weckte auch die Mägde, die in der Kammer daneben schliefen. Entsetzt sprang die Königin auf und beugte sich über die Wiege. Oh Götter, was war mit ihrem Knaben? Er keuchte und wand sich und in den beiden kleinen Fäusten hielt er etwas in die Höhe – was war es denn nur – sie konnte in der Dunkelheit nur ein schwärzliches Geringel ausmachen.
Da rannte die erste Magd herbei mit einer Öllampe in der Hand. Und dann sahen sie es: Herakles hielt in jeder Faust eine dünne schwarze Schlange – er hatte sie genau hinter dem Kopf gepackt und seine Finger drückten ihnen den Hals zu, dass sein Gesicht vor Anstrengung feuerrot wurde.
Er weinte nicht, oh nein, er sah nur sehr wild und zornig aus und die Königin starrte ihn erschrocken an, weil er ihr mit einem Mal seltsam fremd erschien.
Die Schlangen hingen jetzt schlaff und leblos herab und Herakles ließ sie fallen. Er schien zu wissen, dass sie tot waren. Er blickte zu seiner Mutter hinauf und allmählich wurde sein kleines wildes Gesicht wieder ruhig und friedlich. Ein strahlendes Lächeln zog darüber hin und einen Augenblick später war er eingeschlafen, als sei überhaupt nichts geschehen. Alkmene saß an der Wiege, bis der Morgen graute. Ihre sorgenvollen Gedanken ließen ihr keine Ruhe. Was würde eines Tages aus ihrem kleinen Knaben werden?
Die Kunde von dem, was in der Nacht geschehen war, ging wie ein Lauffeuer durch den Palast.
Sehr bald kam sie auch dem König zu Ohren und er begab sich sogleich in die Gemächer seiner Gemahlin. Lange und sehr ernst blickte er auf den schlafenden Knaben hinab. »Ich will Tireisias, den Seher, rufen lassen«, sagte er endlich. »Er soll mir weissagen, was die Schicksalsgöttinnen diesem Kind bestimmt haben. Denn Göttersöhne leben nicht wie die Söhne der Sterblichen.«
Tireisias kam. Er genoss große Berühmtheit, weil ihm die Gabe verliehen war, in die Zukunft zu schauen, die anderen Menschen verborgen blieb.
»König Amphitryon«, sagte er, »dieser Knabe wird einst ein großer Held sein, von dem die Sänger noch nach Jahrhunderten erzählen werden. Er wird viele Länder durchwandern und viele Abenteuer und Kämpfe zu bestehen haben, denn das Leben der Göttersöhne ist niemals leicht und geruhsam. Herakles aber erwartet am Ende seines Erdenlebens und nach aller überstandenen Mühsal die Unsterblichkeit. Dies ist Zeus Kronions Wille und« – er lächelte plötzlich, dass die Falten in seinem uralten Gesicht zuckten – »und Hera hat ihm dazu verholfen, denn er hat die Milch der Göttin getrunken.«
»So will ich ihm eine Erziehung geben lassen, die seiner würdig ist«, sprach Amphitryon. »Die berühmtesten Helden sollen ihn alle kriegerischen Tugenden lehren: Tapferkeit, Ehrlichkeit im Kampf, Edelmut gegen den besiegten Feind. Die besten Bogenschützen, die stärksten Speerwerfer und die geschicktesten Wagenlenker werde ich ihm zu Lehrmeistern geben. Aber auch in den Künsten und Wissenschaften will ich ihn unterweisen lassen und eines Tages wird jedermann den Namen Herakles mit Bewunderung nennen.«
Herakles