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Am Dorfrand siedelten sich deren ehemalige »Hauszigeuner« an. Mit Planen und zusammengelesenem Holz zimmerten sie sich auf Niemandsland Unterkünfte. Ihre Ghettos schwellen an, werden zur Belastung und Bedrohung für die Dorfgemeinschaft. Tiefe Gräben gibt es zwischen den »Rumänen« und den »Zigeunern«. Oft schicken die Lehrer die Kinder weg, keiner will sich neben die »Zigeuner« setzen. Sie hätten Läuse, sagen sie. Daniel war immer wieder in der Schule. Nun hat ihn interessiert, was dort Neues passiert. Trommeln, Musik, Spiele – und Brot.

      Ich bin mit Pater Georg Sporschill SJ 2012 in die Umgebung von Sibiu/Hermannstadt gekommen, um in den Dörfern, die die Siebenbürger Sachsen nach der Wende 1989 verlassen hatten, Roma-Kindern aus dem Elend zu helfen. Es hieß, besonders viele Roma lebten in Nou, der Ort sei verflucht. Viele wilde Geschichten wurden darüber erzählt: Diebstahl, Raub und Mord. Man erzählt, dass die Sachsen einmal alle Zigeuner zusammengeholt und die Männer erschlagen hätten, weil einer von ihnen einen reichen Bauern im Wirtshaus verletzt habe. Die Polizei habe nichts gemacht, man sei froh gewesen, dass sie das Problem selbst gelöst hätten. In Nou begann ich, in der Schule am Nachmittag Trommelunterricht zu geben. Wir hatten nur fünf kleine Trommeln. Am ersten Tag kamen acht Kinder, am zweiten fünfzig, am dritten über achtzig. Ich fand Freunde, die mit den Kindern sangen, Flöte spielten, tanzten, lernten. Schnell entwickelte sich eine Musikschule. Die Kinder hatten Hunger. Wir besorgten Milch und Brot. Kleider. Medikamente. Daniel brachte mich zu seiner Familie. Ein kleiner Bub, den ich zunächst nur in die Schule bringen wollte, zeigte mir, dass jedes Kind einen großen Rucksack an Problemen trägt. Die Geschwister, die Mutter, der Vater, Wohnung, Gesundheit, Lernen, Arbeit. Ein Kind, eine Familie, ein ganzes Dorf – die Aufgaben überschlugen sich. Unlösbar. Trotzdem spürte ich, wenn ich mit Daniel an der Hand am Bach entlangging, wie es sich lohnt, dieses eine Leben zu retten. Aus der Freundschaft mit Daniel wurde ein Programm für das ganze Dorf, getragen von der ELIJAH-Gemeinschaft. Heute betreiben wir hier ein Sozialzentrum und eine Musikschule. In vier Nachbardörfern hilft ein ELIJAH-Team den Kindern, Jugendlichen und Familien. In Ausbildungswerkstätten lernen Analphabeten ein Handwerk, junge Frauen arbeiten in der Haushaltsschule und kochen für die Kinder im Dorf. Für Daniel und seine Familie gibt es eine Zukunft. Der Satz aus dem Talmud »Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt« ist zum Motto unseres Werkes geworden.

      Erstaunliche Kräfte fließen

      Durch die Geschichten, die wir wöchentlich aus Rumänien versenden ([email protected]), ist so etwas wie eine Gemeinde entstanden, in der wir uns gegenseitig stärken.

      Eine Mutter schreibt uns: »Ich schätze die Texte deshalb so sehr, weil sie zeigen, wie die Botschaft der Liebe Jesu in den Alltag fließt, was sonst in der Kirche nicht so gut sichtbar ist. Aus euren Worten und Berichten ist spürbar, dass wahrhaftige Liebe sich nicht von äußerlichen Hindernissen aufhalten lässt, sondern in die Herzen der Menschen strömt. Ich habe mir beim Lesen schon oft gedacht: Ja, so würde Jesus heute handeln.«

      Zum Schreiben ermunterte uns eine Kollegin aus der Sozialarbeit: »Die Bimails haben mich ein Stück verändert und ich arbeite noch mehr und bewusst mit Fragen. Wenn Institutionen wie Kinderdorf oder Jugendwohlfahrt vor schwierigen Aufgaben stehen, dann schicke ich Eure Fragen zur Vorbereitung für die Supervision. Und meistens finden die ErzieherInnen die Lösung selber.«

      »Eure Sicht hat mir in meinem Beruf als Ärztin oft geholfen, widerliches Verhalten vom innersten Sein des Menschen zu trennen und den Patienten meine volle Zuwendung zu schenken. Diese Sichtweise würde auch in der Weltgesellschaft mehr Frieden und Freiheit bringen als leere Worte, Verurteilung und Hass. Nur die bedingungslose Liebe schafft Veränderung, so hat Jesus es uns vorgelebt.«

      Ein Freund, der große Verantwortung in der Wirtschaft hat, machte uns eine Freude, als er schrieb: »Soeben habe ich – statt der Sonntagsmesse ;-) – Eure Botschaft gelesen, die aus der ärmsten Ecke kommt. Eine berührende Geschichte, die in der heutigen Zeit für ganz Europa zu denken geben sollte. Weiter so!«

      Danke! Unsere Kinder nennen Danke das magische Wort, rumänisch: multumesc – »es ist viel«. Danke unseren Freunden, die uns Mut machen und deren Gaben wir weitergeben dürfen. Ihr Vertrauen macht Mut. Danke den jungen Leuten, die bei uns – im Geben und Nehmen – mitmachen. Dieses Wort möchte ich vor allem den Notleidenden sagen, die uns drängen zu helfen und uns so jeden Tag auf neue Ideen bringen. Sie sind die eigentlichen Autoren.

      Danke, Pater Georg. Seit vielen Jahren gehst du uns voran. Mit einem kritischen Blick für Ungerechtigkeit. Mit einer liebevollen Zuwendung für die Benachteiligten. Mit einem offenen Ohr für die Sprachlosen. Immer unzufrieden und auf der Suche nach dem »magis« – mehr und besser, für die Armen. Feurig und unbequem wie Elijah. Und achtsam wie der alt gewordene Prophet, wenn er aufmerksam lauscht – auf das leise Säuseln Gottes.

      Unsere Hoffnung ist, dass die Leser und Leserinnen diese und ihre eigenen Geschichten weitergeben an die Jugend. Dass sie die Freude erleben, die darin liegt, für andere da zu sein.

      Ruth Zenkert

      Hosman, im Herbst 2019

Gemeinschaft aufbauen

      Tiere lassen uns vom Frieden träumen

      Was wäre Weihnachten ohne Ochs und Esel? Leben wir in einer messianischen Zeit?

       Georg Sporschill

      Ochs und Esel gehören wie die Hirten und die Schafe in den Stall von Bethlehem, in dem Josef und Maria Unterschlupf fanden, als das Kind geboren werden sollte. Und doch werden weder Esel noch Ochse im Weihnachtsevangelium genannt. Erst die fromme Phantasie späterer Jahrhunderte hat sie in die Szene eingefügt. Dort wirken die Tiere mit, bis zum modernen Witz über die Jesuiten: Als das Jesuskind die Augen öffnete, schaute es nach links und sah den Esel, schaute nach rechts und sah den Ochsen. Da dachte es sich: Das ist die Gesellschaft Jesu, die Jesuiten.

      Beim Propheten Jesaja heißt es: »Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn, aber Israel kennt es nicht und mein Volk versteht es nicht.« (Jesaja 1,3) Der Ochse wurde in der christlichen Tradition als Bild für die Heiden gedeutet. Das soll heißen: Das sind jene, die treu und ergeben arbeiten und Leistungen erbringen. So sind sie von Gott angenommen. Der Esel galt bei den Kirchenvätern als Bild für Israel. Was bei uns als dummes oder störrisches Tier angesehen wird, ist in Wahrheit und nach der Bibel das Tier für die Friedensarbeit, das den König Gottes trägt, im Gegensatz zum Pferd, das für den Krieg gezüchtet werden kann. Der Esel hat in den Karawanen die Fähigkeit, die Kamele durch die Wüste zu führen. Der Esel findet in die Heimat zurück wie die Zugvögel am Himmel. Ein Kind braucht beide: Menschen, die arbeiten, und Menschen, die Orientierung geben.

      Der Phantasie, die das Jesuskind mit Tieren umgab, sind biblische Wurzeln zuzugestehen. Der Prophet Jesaja träumt im Exil, als er und sein Volk die Belastungen nicht mehr tragen können, von besseren Zeiten, von der messianischen Zeit: »Der Wolf findet Schutz beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Junge leitet sie. Kuh und Bärin nähren sich zusammen, ihre Jungen liegen beieinander … und zur Höhle der Schlange streckt das Kind seine Hand aus.« (Jesaja 11,6-8)

      Der Frieden unter den Tieren ist ein uraltes Bild für das, was Jesus mit seiner Geburt den Menschen bringt. Es wird nicht so sein, dass der Löwe nicht mehr Löwe ist, nicht mehr frisst und nicht mehr mächtig ist. Es wird auch nicht so sein, dass das Lamm plötzlich stark und aggressiv ist. Beide werden mit ihren Stärken die anderen nicht zerstören, sondern sie in ihren Gefährdungen schützen. Miteinander werden Löwe und Kalb eine unschlagbare Einheit bilden. Eine Einheit, die die bösen Mächte überwindet und Frieden verbreitet. Das Fressen und Gefressenwerden ist zu Ende.

      In dunklen Zeiten bringen die Tiere uns – wie den Propheten Jesaja – zum Träumen von der messianischen Zeit. Das Bild vom Tierfrieden lässt uns das Absurde versuchen: Trotz allem ist Friede möglich. Mit welchem Tier möchte ich mich vergleichen? Welchem bin ich nahe in meinen Stärken und in meinen Schwächen?

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