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milde kam ein anderer Journalist davon, der aus Anlass von Käthe Dorschs angeblich 65. Geburtstag einen Artikel verfasst hatte. Teilte die Schauspielerin dem Interviewer doch nach Erscheinen der Würdigung in einem groben Brief mit, »um einige Jahre jünger« zu sein, als von ihm angegeben. Als der Redakteur nun höflich anfragte, um wie viele Jahre er sich geirrt hätte, antwortete die Dorsch: »Genug Jahre, um Ihnen, in Ohrfeigen ausgezahlt, die Lust am Schreiben zu nehmen!«

      Wahr ist, dass Käthe Dorsch, Jahrgang 1890, bei Erscheinen des Zeitungsberichts nicht 65, sondern 64 Jahre alt war.

      Um aber aufzuzeigen, welch enorme Bedeutung Schauspieler ihrem eigenen Beruf beimessen, muss hier die Aussage Raoul Aslans, der in der »Watschenaffäre« Dorsch vs. Weigel als Zeuge einvernommen wurde, zitiert werden. Forderte der große Mime doch mit vollem Ernst und dem der Angelegenheit angemessenen Pathos vor Gericht »die Todesstrafe für Hans Weigel«.

      Verurteilt wurde dann aber doch die Dorsch, und zwar »zu einer Geldstrafe von S 500,-, im Nichteinbringungsfalle drei Tage Arrest«.

      Weigel wurde in den Redaktionen, für die er schrieb, nicht nur wegen der brillant formulierten Schärfe seiner Kritiken geschätzt, sondern auch wegen deren pünktlicher Ablieferung. »Wenn ich mein Manuskript für 12 Uhr versprochen habe«, sagte er, »und es ist um 12.01 Uhr noch nicht da, können Sie schon die Parte aufsetzen lassen.«

      Ich wäre, ehrlich gesagt, nicht gern Schauspieler in den Tagen der Torberg’- und Weigel’schen Vernichtungsfeldzüge gewesen (es konnte ja auch kein Trost sein, dadurch einmal in die Geschichte der Literaturkritik Eingang zu finden). Als ich die beiden Kritikerpäpste viel später dann kennen lernte, zeigten sie sich als gütige ältere Herren, die keiner Fliege etwas zuleide hätten tun können.

      Geschweige denn einem Schauspieler.

      Am Ende des Kapitels lasse ich noch einmal Friedrich Torberg zu Wort kommen. Mit einer Aussage, die – stammte sie nicht von ihm selbst – in die Zitatensammlung seiner »Tante Jolesch« gepasst hätte. Gelangte er doch, als man den so ungesund Lebenden gefragt hatte, ob es nicht vernünftig wäre, Nikotin- und Koffeingenuss einzuschränken, zu der Erkenntnis:

      »Ich rauche, trinke schwarzen Kaffee, schlafe zu wenig, mache zu wenig Bewegung und bin auf diese Weise 70 Jahre alt geworden. Vielleicht wäre ich bei gesünderer Lebensführung heute schon 75 oder 80, aber das lässt sich schwer feststellen.«

      Es war die letzte Torberg-Pointe, die uns überliefert ist. Eine Pointe, bei der man, wie so oft bei ihm, nicht recht wusste, ob man lachen oder weinen soll.

      Denn er starb wenige Monate später, gerade 71 Jahre alt, an den Folgen einer Thrombose.

      »BIS DER BUB IN PENSION

      GEHEN KANN«

       Die Nachfolger des Dr. Sperber

      Zu den populärsten Figuren der »Tante Jolesch« zählt der Wiener Rechtsanwalt Dr. Hugo Sperber, dessen Werbeslogan geradezu Kultstatus erlangte:

      »Räuber, Mörder, Kindsverderber,

       Gehen nur zu Doktor Sperber.«

      Sage mir keiner, es hätte nach dem Krieg in Wien keinen zweiten Doktor Sperber gegeben. Sperber II. hieß Dr. Michael Stern und ist heute fast so legendär wie das Original. Auch für ihn gab’s einen Werbespruch, der freilich von Karl Farkas stammte und von diesem in einer »Simpl«-Conférence verbreitet wurde:

      »Bleibst du gern dem Häfen fern,

       Nimm dir nur den Doktor Stern.«

      Stern hat eine außergewöhnliche Biografie, war er doch einer von dreißig jüdischen Rechtsanwälten, die man nach 1938 weiter als »Rechtskonsulenten« in Wien arbeiten ließ. Dass er bis Kriegsende »nichtarische Klienten« vertreten durfte, verdankte Stern der Ehe mit seiner nichtjüdischen Frau Edith, die sich trotz des enormen Drucks, der auf sie ausgeübt wurde, standhaft weigerte, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen und ihn damit vor der sicheren Verfolgung schützte.

      Nach dem Krieg erlangte Michael Stern Ansehen als Anwalt prominenter Klienten, aber auch in spektakulären Strafprozessen – allen voran gegen Adrienne Eckardt, die »Mörderin mit dem Engelsgesicht«. Wir aber wollen hier Dr. Sterns Talent nachgehen, seine Gesprächspartner durch Anekdoten aus dem Gerichtssaal in den Bann zu ziehen. So telegrafierte er einmal einem Mandanten nach Abschluss seines Prozesses: »Die gerechte Sache hat gesiegt.«

      Worauf dieser antwortete: »Sofort Berufung einlegen!«

      Mit seinem Aufstieg zum berühmtesten Advokaten des Landes stieg auch das Vermögen des alten Stern, das er sehr geschickt in Immobilien anzulegen verstand. Seine Villen in Grinzing und Zinshäuser in der Wiener Innenstadt führten dazu, dass man im Landesgericht für Strafsachen schon in den sechziger Jahren munkelte: »Wenn der alte Stern stirbt, trägt das Grundbuch Trauerflor.«

      Er aber dachte lange nicht ans Sterben. Michael Stern wurde 92 Jahre alt. Der Tod ereilte ihn im Dezember 1989 – eben dort, wo er es sich gewünscht hatte: in seiner Kanzlei auf der Wiener Seilerstätte, in der er jeden Tag ab vier Uhr früh anzutreffen und bis zur letzten Stunde seines Lebens tätig war.

      Als er hoch in den Achtzigern stand, schlief er schon mal während einer Verhandlung ein, wachte aber stets dann auf, wenn es darum ging, seinen Mandanten mit einem brillanten Plädoyer vor der sicher scheinenden Verurteilung zu bewahren. Zur Höchstform gelangte der als »Wunderrabbi des Gerichtssaals« bezeichnete Dr. Stern stets in der Schlussphase seiner Verteidigungsreden, wenn er die Geschworenen in eindringlichen Worten aufforderte, dem Angeklagten zu einem Freispruch zu verhelfen, da dieser garantiert schuldlos sei. Dies müsste man einem alten Anwalt glauben, dessen nächster Prozess sicher schon vor dem Jüngsten Gericht stattfinden würde, da er bereits mit einem Fuß im Grab stünde.

      In diesem »stand« er gut zwanzig Jahre, und ebenso lang zog die Masche, die selbst geeichte Kiebitze zu Tränen zwang.

      Auch in einem Terroristenprozess wies der damals 85-jährige Staranwalt wieder einmal auf sein demnächst zu erwartendes Ableben hin, um dann noch mit einem Blick zu seinem »erst« achtzigjährigen Kollegen Dr. Obendorfer – der einen Komplizen seines Mandanten vertrat – anzufügen: »Ich, meine Damen und Herren Geschworenen, bin nicht hier, um mein Honorar zu verdienen, wie dies bei meinem jungen Kollegen Dr. Obendorfer der Fall sein mag.«

      Der neben ihm auf der Verteidigerbank sitzende »Jüngling« erstarrte derweilen zur Salzsäule.

      Auf die Tränendrüse drückte der alte Stern auch im Fall einer der Abtreibung verdächtigten Hebamme. Obwohl viele Indizien gegen die »Engelmacherin« sprachen, gelang es dem Strafverteidiger mit dem ihm eigenen Geschick, einen Freispruch zu erwirken. Leider erklärte die Frau dem Richter zum Entsetzen ihres Advokaten nach der Urteilsverkündung:

      »Vielen Dank, Herr Rat! Und ich werd’s auch bestimmt nimmer mehr machen!«

      Die eben noch von den Kiebitzen im Gerichtssaal vergossenen Tränen wichen allgemeinen Heiterkeitsausbrüchen.

      In Juristenkreisen hieß es mit Hinweis auf die Privilegien, die Dr. Stern beim Besuch von Strafgefangenen im »Grauen Haus« genoss, dass in Österreich vielleicht alle Bürger, nicht aber alle Anwälte vor dem Gesetz gleich wären. Die Bevorzugung des Staranwalts bestand auch außerhalb der Gerichtsmauern, etwa im Feinkostgeschäft Meinl am Graben, das – wenn der berühmte Strafverteidiger einkaufen wollte – seinetwegen schon um sechs Uhr früh aufgesperrt wurde.

      Um ein Privileg ganz anderer Art bemühte sich der gewiefte Jurist, als er eines Morgens den nicht minder legendären Burgtheaterdirektor Ernst Haeusserman anrief.

      Haeusserman, der damals Max Reinhardts traditionell ausverkaufte »Jedermann«-Inszenierung für die Salzburger Festspiele betreute, war Nachtmensch und infolgedessen Langschläfer. Keiner hätte es je gewagt, ihn vor zehn Uhr vormittag zu belästigen. Nur einer: der Morgenmensch Dr. Michael Stern, den man schon in seiner Kanzlei antreffen konnte, wenn Haeusserman noch durchs Wiener Nachtleben

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