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Gefäß, kupferner Kessel mit zwei Henkeln, kupferner Schild. Unerhört penibel schildert und zeichnet Schliemann die eigentlichen Schmuckstücke, wie sie eine Trojanerin – Abbildung 688 – wohl getragen haben mag. Der Name Helena taucht im Text nicht auf, aber schließlich kam Helena ja auch aus Sparta und hätte in Troja also fremden Schmuck getragen, was bei einem zehnjährigen Exil in königlicher Umgebung wohl auch denkbar war. Schon Schliemann dachte bei seinen Beschreibungen damals aber auch an ägyptischen Einfluss; natürlich kannte auch er die antike Version der Helena-Sage, wonach ihr Entführer Paris nur ein trügerisches »eidolon« nach Troja gebracht habe, sie selbst aber sei vorsorglich von ihrem Vater Zeus nach Ägypten gerettet worden. Dem gleichsam doppelt fremden Schmuck später im Gräberfeld von Mykene widmete ein deutscher Archäologe namens Meurer 1912 eine sonderbar ausufernde schliemannkritische Studie. Er ließ an eine ägyptische Helena denken, wie sie in der Zeit zwischen den Weltkriegen zur Titelfigur einer Oper von Richard Strauss wurde, mit einem Libretto von Hugo von Hofmannsthal, uraufgeführt in Dresden 1928 und erneut bei den Salzburger Festspielen 1933. – Den echten »Schatz des Priamos« aus dem Hügel von Hissarlik, dann in Berlin, erbeuteten im Zweiten Weltkrieg sowjetische Soldaten; nach 1945 war er angeblich nicht wieder aufzufinden. Erst 1993, nach dem Zusammenbruch des Sowjetreiches, erfuhr die staunende Welt, dass er sich im Moskauer Puschkin-Museum befand, wo er seit 1996 auch wieder gezeigt wird. In Berlin sieht man bisher nur eine detailgetreue Kopie.

      Was aber hatte Schliemann letztlich zu dieser archäologischen Raserei gebracht? War es wirklich, wie er in seinen autobiographischen Bemerkungen schrieb, eine allgemeine Begeisterung seiner kindlichen Umgebung für Homer, oder ganz besonders eine vom Vater geschenkte Weltgeschichte für Kinder? 1828 gab es zuhause den Band von Georg Ludwig Jerrer und der Vater hatte ihm daraus vorgelesen. Mit wem konnte man sich dabei identifizieren, mit Agamemnon oder Aeneas oder Herakles oder eben Odysseus? Als der junge Sigmund Freud das berühmte Buch »Ilios« über die Ausgrabungen lesen konnte, war er begeistert, nicht nur von den Griechen, sondern auch von Schliemann. Dieser Mensch hatte eine untechnische, geistige, nämlich sprachliche Entdeckung gemacht, er hatte eine vergangene Wirklichkeit hinter den Buchstaben entdeckt; er hatte in der Tiefe der Geschichte gegraben und sich nicht mit der Oberfläche einer Fiktion begnügt. Mehr als fünfzig Jahre später sollte Freud eine Reise nach Athen beschreiben, die er 1904 zusammen mit seinem Bruder unternommen hatte. Freud erinnerte sich in dem Text, den er »Eine Erinnerungsstörung auf der Akropolis« nannte, wie sonderbar er es nach der Ankunft auf der Burg plötzlich fand, dass nun alles greifbar und vorhanden war, was sie als Kinder bei Homer gelesen hatten und was erst recht Schliemann bekräftigt hatte. Auf den ersten Blick schien Freuds »Störung« also nur eine Abwehr Schliemanns, dessen Abenteuerlust ja gerade mit Finderglück belohnt worden war; aber der zweite Blick offenbarte dann doch tiefen Sinn für das archäologische Verfahren, wenn Freud später etwa die Stadt (Rom) zum Modell der menschlichen Psyche erhob, in der sich Analytiker grabend bewegten, jeder ein Schliemann, und oft auch mit strahlenden Funden belohnt.

      Warum aber dieser Schliemann, der doch eigentlich Geschäfte mit Farben und Stoffen und Kriegsmaterial machte, der an der Börse unaufhörlich rechtzeitig kaufte und verkaufte, dessen Briefe von finanztechnischen Details wimmeln, von Verlustängsten gepeinigt, warum also dieser Mann sich in die griechische Antike nicht nur zurücksehnte, sondern regelrecht eingraben wollte wie in ein Pharaonengrab, ist oft erörtert worden. Fontane hat es leise parodiert. Nicht nur seine Frau »Jenny Treibel« will ja möglichst nur Handfestes, selbst der alte Schmidt des Romans meint beim Anblick der ›Agamemnon‹-Maske: »wenn ich mir vorstelle, dass diese Goldmasken genau nach dem Gesicht geformt wurden, gerade so wie wir jetzt eine Gesichts- oder Wachsmaske formen, so hüpft mir das Herz bei der doch mindestens zulässigen Idee, daß dies hier – und er wies auf eine aufgeschlagene Bildseite – daß dies hier das Gesicht des Atreus ist oder seines Vaters oder seines Onkels …« Wieder drängt sich der Fetischcharakter der Funde ins Bild, ihr Koeffizient an Wirklichkeit und Gegenwart, die weder Kunst noch Literatur bieten können. Aber womöglich die Sprache darunter?

      Die Welt der alten Griechen aus dem Munde Homers zum Greifen nah: eine solche Intuition mochte Schliemann vielleicht wirklich als Junge aus Ankershagen gehabt haben; inzwischen kannte er aber doch auch die leidenschaftlichen Diskussionen, die Goethes Zeitgenosse Friedrich August Wolf im Jahr 1795 ausgelöst hatte. Wolf erörterte damals die These des italienischen Kulturphilosophen Vico, wonach es den einen und einzigen Homer vielleicht nie gegeben habe, wonach diese grandiosen Epen, Ilias und Odyssee, womöglich in mündlicher Tradition von vielen Sängern überliefert und bis zur schriftlichen Fixierung auch immer weiter verbessert worden seien. Einer wie Schliemann konnte aber beweisen, dass hinter dem Namen Homer ein Historiker stand, kein phantastischer oder gar phantasierender Sänger oder gar eine Gruppe von Sängern. Er konnte, vor allem aber wollte er es beweisen. Und denkbar ist, dass ausgerechnet seine Sprachwut ihn dabei leitete. Als er 1856 in Petersburg bei dem jungen Vimbos Griechisch lernte, war in dessen Kreisen das linguistische Todesurteil über die griechische Sprache sicher gespenstisch bekannt; eben Jakob Fallmerayers Verdikt von 1830. Inzwischen, mit Gründung des Staates und der unermüdlichen Patronage von Adamantios Korais, hatte man die Katharevousa ja eingeführt, ein modernisiertes Altgriechisch, eine Mischung, die natürlich auf Anhieb keineswegs überall gleichmäßig angewandt wurde. Wiederholt hat Schliemann in seinen Erinnerungen beschrieben, dass er genau solch ein Verfahren selber erprobt und sich angeeignet hatte. Nur ist bei ihm niemals die Rede von diesen innergriechischen Debatten und der Name »Katharevousa« fällt nicht. Ob ihn an Fallmerayers Text etwas ganz anderes gereizt hatte? Dort nämlich standen ja die wuchtigen Sätze, die Schliemanns kindliche Vorstellungen zermalmen wollten und zugleich zeigten, wie man sie in Erfüllung gehen lassen konnte, nämlich durch Grabung: »Eine zweifache Erdschichte, aus Trümmern und Moder zweier neuen und verschiedenen Menschenrassen aufgehäuft, decket die Gräber dieses alten Volkes. Die unsterblichen Werke seiner Geister, und einige Ruinen auf heimatlichem Boden sind heute noch die einzigen Zeugen, daß es einst ein Volk der Hellenen gegeben habe. Und wenn es nicht diese Ruinen, diese Leichenhügel und Mausoleen sind; wenn es nicht der Boden und das Jammergeschick seiner Bewohner ist, über welche die Europäer unserer Tage in menschlicher Rührung die Fülle ihrer Zärtlichkeit, ihrer Bewunderung, ihrer Tränen und ihrer Beredsamkeit ausgießen: so hat ein leeres Phantom, ein entseeltes Gebilde, ein nicht in der Natur der Dinge existierendes Wesen die Tiefen ihrer Seele aufgeregt.«

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