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rügt und belehrt. Die zehn Gebote, so wichtig sie sind, sie kommen erst etwas später. Zunächst kommt er zu den Menschen, die er nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen hat, damit es ihnen gut geht; auch oder gerade weil sie in selbst verschuldeter Weise nicht mehr im Paradies leben. Der Segen Gottes steht mit dem alltäglichen Leben in Verbindung. Er hat etwas mit dem konkreten Wohlergehen des Menschen auf Erden zu tun, mit seiner Gesundheit, seinem Glück. Für die Bibel ist das nichts Abstraktes und spielt sich schon gar nicht im Tempel ab. Gottes Segen steht vielmehr in Verbindung mit den primären Bedürfnissen von uns Menschen, mit Essen und Trinken, mit Gesundheit, mit Geborgenheit und mit Lebenslust.

      Das ist der biblische und eigentlich allumfassende Zugang zum Glauben. Es geht um eine Einstellung zum Leben, die Gott nicht als Konkurrenten sieht, sondern als einen, der in allen menschlichen Lebensformen mit dabei ist, um uns mit seinem Segen zu begleiten. Welche Lebensformen sind das? Miteinander essen, miteinander trinken, arbeiten, schlafen, Freude an der Welt haben, an sich selbst und am Miteinander, Freude an der Sexualität. Auch die Erotik, diese Quelle tiefer menschlicher Erfahrung, ist in den biblischen Geschichten nicht ausgespart – zum Ärger mancher Moralisten.

      Den Moralisten wäre schon das Motto „fromm und lebenslustig“ suspekt; wobei das vermutlich mehr über die Phantasie der Moralisten verrät, die beim Wort „Lebenslust“ nur an Unanständiges denken können. Nicht selten war mit dem Glauben eine Haltung verbunden, die die Freude am Leben ausschließt und zur Weltflucht aufruft. Das Leben wird dann zum legendären Jammertal, zum Tal der Tränen, bis uns dereinst im Jenseits ein Leben erwartet, das allein zu leben wert ist. Alles, was uns hier schon Freude machen könnte, wurde von Gott nur geschaffen, um uns zu prüfen und zu läutern. Man freut sich auf das Jenseits, weil es die einzige Erlösung aus diesem Jammertal ist. Der biblische Mensch hingegen darf sich auch auf das Jenseits und die Erlösung freuen, aber nicht weil im Leben selbst kein Segen wäre, sondern viel mehr, weil wir in den kleinen Freuden des Lebens bereits einen Vorgeschmack auf das Jenseits bekommen, weil wir zumindest ahnen können, wie wunderbar der Himmel schmecken wird. Der Geriatrieprofessor Christoph Hürny hat es einmal anders herum formuliert: „Wenn man nicht gelebt hat, macht das Sterben auch keinen Spaß.“

      „Früher war alles Sünde, was schön und angenehm gewesen wäre“, erzählte mir ein älterer Mann. Nicht wenigen Zeitgenossen hat dieser moralistische Zugang zur Religion das Leben versauert und nicht wenige fanden zu einer positiven Lebenseinstellung erst durch den Abschied von der Religion. „Fromm oder lebenslustig“ ist die falsche Alternative und schon gar nicht die biblische Perspektive. Die biblische Perspektive ist: Ihr sollt ein Leben in Fülle haben! Und nirgends steht, dass das erst im Jenseits anfangen darf. Stattdessen gilt Gott sogar als der große Liebhaber des Lebens (Weisheit 11,26).

      Angesichts dieser Perspektive darf man sich fragen, ob die besonders Frommen eigentlich wirklich so fromm sind. Glaubt der Mensch, der allein durch seine Gebete die Welt retten will, überhaupt noch an Gott? Trauen solche Menschen Gott überhaupt noch etwas zu oder trauen sie nur noch ihren Gebeten? Oder ist Gott nicht schon längst der, der sich beleidigt zurückgezogen hat und nun von uns irgendwie weichgebetet werden muss? Dann aber ist er nicht mehr der biblische Gott, der sich einmischt, damit sein Segen dabei ist und unser Leben Geschmack hat.

      Abraham döste vor seinem Zelt, als ihm Gott mitten im Alltag erschien. In den biblischen Geschichten ist dieser vermeintlich banale Alltag nicht vom religiösen Geschehen unterschieden. Die Geschichte vom Bundesschluss (Exodus 24) ist wohl die außergewöhnlichste Schilderung einer unmittelbaren Gottesbegegnung. Hier erscheint Gott nicht im Alltag des Moses, sondern zusammen mit Aaron und den siebzig Ältesten wird er zu ihm hinauf gebeten, hinauf auf den Berg Sinai. Dort oben sahen sie den Gott Israels, in der alttestamentlichen Logik etwas vom Schrecklichsten, das man sich vorstellen konnte. Niemand war sich sicher, ob man den direkten Anblick Gottes überhaupt ertragen könne. Der Boden unter seinen Füßen war wie aus Saphir und glänzte wie der Himmel selbst. Wider ihre Erwartung streckte Gott nicht die Hand gegen sie aus, sondern sie durften Gott schauen! Und was taten sie dann? Warfen sie sich nieder, verhüllten sie ihr Angesicht und murmelten sie Gebete? Nein, nichts von alledem: Sie schauten Gott und aßen und tranken!

      SIE SCHAUTEN GOTT UND ASSEN UND TRANKEN

      „Ziehe zu der Stätte, die der Herr, dein Gott, auswählt, kaufe dort für das Silber alles, worauf du Appetit hast – Rinder, Schafe, Ziegen, Wein und Bier, alles, wonach es deinen Gaumen verlangt –, und dann sollst du vor dem Herrn, deinem Gott, Mahl halten und fröhlich sein, du und deine Familie.“ (Deuteronomium 14,25–26)

      Wann haben Sie dieses Gebot Gottes das letzte Mal erfüllt? Zugegeben, es ist heute nicht mehr so einfach und inwieweit das alles gesund und allergenfrei ist, müsste auch noch abgeklärt werden. Nicht, dass man dann zwei Wochen fasten muss, nur weil man einmal den Willen Gottes getan hat. Fasten in der biblischen Logik ist eine Bußübung, wenn man gesündigt hat, oder es dient der gezielten Vorbereitung auf ein besonderes Ereignis; auch Hildegard von Bingen kannte übrigens keine andere Art des Fastens. Wenn man aber wirklich Gott ehren und preisen wollte, dann tat man es durch gemeinsames Essen und Trinken und durch die Freude, die man daran hatte.

      Nach der Heimkehr der Juden aus dem Babylonischen Exil versammelte sich das Volk in Jerusalem und bei dieser Gelegenheit wurden sie noch einmal in den Gesetzen Gottes unterwiesen. Offensichtlich wussten die Leute, nachdem sie das alles gehört hatten, nicht so recht, was nun zu tun sei. Doch der Priester und Schriftgelehrte Esra stellte klar: „Nun geht, haltet ein festliches Mahl und trinkt süßen Wein! Schickt auch denen etwas, die selbst nichts haben; denn heute ist ein heiliger Tag zur Ehre des Herrn. Macht euch keine Sorgen; denn die Freude am Herrn ist eure Stärke.“ (Nehemia 8,10) Gott wird geehrt nicht durch fasten, sondern durch ein festliches Mahl und einen besonderen Wein. Die Frage ist also nicht der Wein selbst, sondern nur, dass man schauen muss, dass alle etwas davon bekommen. Nachdem auch die Priester die Aufforderung Esras bekräftigten, gehorchte das Volk: „Da gingen alle Leute nach Hause, um zu essen und zu trinken und auch andern davon zu geben und um ein großes Freudenfest zu begehen; denn sie hatten die Worte verstanden, die man ihnen verkündet hatte.“ (Nehemia 8,12)

      Der Apostel Paulus gilt als Begründer der christlichen Gemeinde von Korinth, mit der er brieflich in Verbindung blieb. Im ersten Korintherbrief versucht er einige Missstände in der Gemeinde zu klären und offensichtlich gab es auch solche, die die Auferstehung Christi leugneten. Paulus dagegen bezeugt nochmals die Auferstehung und fragt, was das alles sonst für einen Sinn hätte. Seine Argumentation mündet in die Pointe: „Wenn Tote nicht auferweckt werden, dann lasst uns essen und trinken; denn morgen sind wir tot.“ (1 Korinther 15,32) Wahrscheinlich müsste man das besser übersetzen mit: Lasst uns fressen und saufen, denn morgen sind wir tot! Doch was macht den Unterschied?

      Der legendäre Skandalfilm „Das große Fressen“ (1973) von Marco Ferreri brachte es auf den Punkt. Vier Männer, Freunde, treffen sich in einem abgeschiedenen Landhaus, um sich an einem Wochenende buchstäblich zu Tode zu fressen; „durch übermäßiges Essen feierlich kollektiven Suizid zu begehen“, heißt es etwas höflicher in Wikipedia. Doch der Film ist alles andere als höflich, denn er besteht großteils aus detaillierten Fress-Szenen, überdeutlich hörbaren Verdauungsgeräuschen und Blähungen der Protagonisten. Wie zu erwarten werden noch drei Prostituierte dazu geladen, was den Film zusätzlich mit ein paar derben Sex-Szenen garniert. Der Skandalfilm war jedoch nur jenen ein Skandal, die ihn nicht verstanden hatten. Bei aller Zuspitzung und Übertreibung war der Film die pointierte Kritik an einer rein hedonistischen Einstellung zum Leben: „Maximiere die Lust!“ – und der Film zeigt, was dabei herauskommt. Wenn alles, was Lust verschaffen kann, ja sogar die Lust als solche zum Selbstzweck wird, ist es vorbei mit dem Genuss, führt sich der Hedonismus selbst ad absurdum. Die vier Herren treiben ihr Spiel auch nicht aus Lust am Leben, sondern aus einem Todestrieb heraus; sie wollen schließlich sterben dabei. Wenn die Lust als Lust zum alleinigen Ziel wird, bleiben das Leben auf der Strecke und der Genuss ebenso. Vermutlich ist es das, was die alten Lasterkataloge mit Völlerei meinten.

      Von Paulus könnte das Drehbuch zum Film „Das große Fressen“ stammen: Wenn Christus nicht auferstanden ist, wenn mit dem Tod alles aus ist, dann lasst uns fressen und saufen, denn morgen sind wir tot. Wenn das

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