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Die Hauptstadt des Sex. Michaela Lindinger
Читать онлайн.Название Die Hauptstadt des Sex
Год выпуска 0
isbn 9783903083325
Автор произведения Michaela Lindinger
Жанр Социология
Издательство Bookwire
Sowohl in der Ehe als auch beim Tanz war die Frau das Objekt. Der Mann führt, er bewegt sich in den Schritten vorwärts, sie weicht nach hinten aus. Bei manchen Tänzen legt sich der Mann regelrecht auf die Frau, etwa beim Tango. Praktisch jeder Tanz ist ein ritualisiertes Duell um den sexuellen Besitz, in dem der Sieger von vornherein feststeht. Es geht um Werbung und Annäherung, die immer zum körperlichen Besitz der Frau führt. Bis vor nicht allzu langer Zeit gab es Tänze, die man nur mit einer Prostituierten oder ihrem Beinahe-Äquivalent, der Geliebten, tanzte – niemals jedoch mit der angetrauten Ehefrau. Der Tango etwa wurde erst nach 1911 gesellschaftsfähig, nachdem er in Europa angekommen war. In Argentinien tanzten ihn die Männer nur mit einer Frau, mit der sie ganz sicher nicht verheiratet waren.
Unverzichtbar bei einer Tanzveranstaltung war die Musik mit passenden erotischen Texten, die die sexuelle Erregung noch mehr betonen sollten. Auffällige Kleidung mit fantasievollem Schmuck sowie sinnliche Parfums wurden bestimmt auch von den in den Festsaal geladenen Frauen eingesetzt, um die Stimmung zu heben und die Aufmerksamkeit der männlichen Tischgesellschaft auf sich zu ziehen.
Symbol für den Herbst ist ein Festmahl. Ein Mann unter einem Baldachin stemmt einen Krug und einen Bratspieß. Im Lied »Neidharts Gefräß« heißt es:
Des loben wir den Herbst gut
(…)
Durch den kragen
Muß alles faren
Wir wollen achten dass wir nichts sparen
(…)
Last frölich leben
Umb hin geben
Offt aufheben von den Reben (…).
»Wein, Weib und Gesang« zeigen im Fall der »Neidhart-Fresken« ein anderes, gar nicht »finsteres« Wiener Mittelalter. Auf Stillstand, Grausamkeit und Ignoranz lassen sich die 1000 Jahre des Mittelalters zwischen 500 und 1500 nicht reduzieren. Und Keuschheitsgürtel waren im Gegensatz zu einer heute weit verbreiteten Legende damals nicht bekannt.
Die Malereien in den Wiener Tuchlauben sind eine der sehr spärlichen weltlichen Quellen über mittelalterliche Liebe und Sexualität. Die Bilder sind von Männern erdacht und führen deren Wunschbilder und Idealvorstellungen vor. Der Ballsaal des Herrn Menschein war ein Platz hauptsächlich männlicher Zusammenkünfte. Frauen waren wohl nur als Servierpersonal und wahrscheinlich zur (erotischen) Unterhaltung der Gäste zugegen.
LIEBE ODER EHE?
Das in der Antike als Liebe bekannte Wort »amor« hat in mittelalterlichen Überlieferungen ganz andere Bedeutungen: Es bezeichnet entweder das körperliche Begehren (damals eine rein männliche Eigenschaft) oder den Reichtum einer »guten Partie«; später auch die Liebe zu Gott (»Seelenbrautschaft«). Weiters gab es noch die höfische Liebe, die in den neumodischen Liebesromanen eine große Rolle spielte. Es handelte sich dabei um eine Literaturgattung, die seit dem Aufstieg des Christentums verschwunden war. Die letzten Liebesromane, die man in Europa kannte, stammten aus der Spätantike.
Ehe hatte mit Liebe weder im Mittelalter noch in den folgenden Jahrhunderten etwas zu tun. Im Gegenteil. Romantische Liebe unter Paaren im heutigen Verständnis ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Sehr wohl aber hatte Ehe mit Sex zu tun. Ehe und Sexualität waren praktisch eins.
»Ehe« geht auf das Wort »ewa« zurück, das schlicht »Recht« oder »Gesetz« bedeutet. Hochzeiten wurden von den Familienvätern nach wirtschaftlichen, politischen und sozialen Gesichtspunkten vereinbart. Sie fanden in der Kirche statt. Frauen unterschiedlichster gesellschaftlicher Herkunft hatten im Mittelalter eines gemeinsam: Juristisch gesehen waren sie ihr Leben lang Unmündige. Die »Munt« hatte der Mann über die Frau. Aus der »Munt« ging das Wort »Vormund« hervor. Der Herr im Haus war der Vater oder Ehemann, die Tochter oder Ehefrau war ihm zu Gehorsam verpflichtet. Rechtsgeschäfte, die sie betrafen, schloss ausschließlich der Mann ab, er verwaltete auch das von der Frau in die Ehe mitgebrachte Vermögen.
Nicht-konfessionell geschlossene Ehen waren in Österreich bis 1938 nicht möglich. Obwohl als wichtigste Aufgabe der Ehefrau die Produktion möglichst vieler Kinder definiert war, könnte man sich fragen, wie unsere Vorfahrinnen das bewerkstelligt haben – bei Regelwerken wie diesen: »Wegen der geisttötenden Gewalt des Geschlechtsverkehrs« – so eine religiöse Quelle – sollten Eheleute an folgenden Tagen keinen Sex haben: 20 bis 40 Tage vor Weihnachten. 40 Tage vor Ostern. Zwei Wochen vor und eine Woche nach Pfingsten. In allen Nächten von Freitag auf Samstag und Samstag auf Sonntag. Vor einem und an einem Feiertag. An den wöchentlichen Bußtagen – also an jedem Mittwoch und Freitag. Hatte man vor, zur Kommunion zu gehen, kamen noch die drei Nächte davor dazu. Besonders bemerkenswert: Im Mittelalter wurde empfohlen, die Hochzeitsnacht sowie die ersten drei Tage nach der Trauung sexuell enthaltsam zu verbringen. Vermutlich wegen Undurchführbarkeit nahm die Kirche später von diesem frommen Wunsch Abstand.
Insgesamt hatte man in der Ehe demnach über zwei Drittel des Jahres keinen Sex zu haben. Vermutlich hielt sich der überwiegende Teil der Bevölkerung nicht daran. Dass sich aufgrund zärtlicher Zweisamkeit zur Heiligen Nacht oder bei Frühlingsgefühlen am Karfreitag keine sichtbaren Folgen einstellten, war in erster Linie einer bestimmten Gruppe von Frauen zu verdanken: Frauen aller Altersstufen, die über Leben und Sterben Bescheid wussten und später zu einem überwiegenden Teil dem Hexenwahn zum Opfer fielen; jenen Frauen, die das tatsächlich »älteste Gewerbe der Welt« ausübten: nämlich den Hebammen und »weisen Frauen«, die gelegentlich auch Männer waren. Mit ihrer Ermordung rottete die Kirche die Reste der alten Überlieferungen aus den vorchristlichen Epochen in Europa aus. Ab der frühen Neuzeit galt: Egal ob Frau oder Mann, ob jung oder alt, ob bettelarm oder ziemlich vermögend – vor einer Anklage wegen Hexerei war niemand sicher. Der Opferkreis wurde immer größer, je mehr sich die Verfolgungen von »Hexen und Zauberern« ausweiteten.
DAS »ÄLTESTE GEWERBE DER WELT«
Der Beruf der Hebamme gehörte in den Jahrhunderten des Mittelalters zu den angesehenen Tätigkeiten. Eine Frau, die als Geburtshelferin arbeitete, verfügte über weitreichende medizinische Kenntnisse und soziale Fähigkeiten. Da Hebammen oft gezwungen waren, auch Nachrichten vom Tod eines Kindes zu überbringen, gerieten sie – gerade, wenn die Zeiten ohnehin schon schlecht waren – in den Verdacht, schädliche Zauber (»maleficii«) vollführen zu können. Schadenszauberer wurden seit jeher verbrannt. Man verstand darunter Menschen, denen die Fähigkeit zugeschrieben wurde, anderen Krankheiten oder Unglück »anzuhexen«. Vom »Hexenschuss« sprechen wir bis heute. Unsere Vorfahren nahmen den Ausdruck noch wörtlich und waren überzeugt, dass ein Dämon oder Geist durch einen Stich oder Hieb den Schmerz in ihren Rücken (!) »geschossen« hätte. Ebenso gefürchtet war die krank machende Wirkung des »bösen Blicks«. Auf diese Weise erklärten sich die Leute vor allem Leiden, die plötzlich auftraten und deren Ursache ihnen verborgen blieb. Umgekehrt galt, dass man unsichtbare Wesen, egal ob gut oder böse, durch Magie und Zeremonien dazu bewegen konnte, Krankheiten wieder fortzunehmen. Magische Praktiken gaben den Menschen das Gefühl, Herren der Lage, also handlungsfähig zu sein. Die Götter beziehungsweise die Mächte der Natur sollten durch bestimmte Handlungen oder Formeln zu einer gewünschten Reaktion sozusagen gezwungen werden.
Im Gegensatz dazu stand die christliche Religion: Die Gläubigen sollten Gott um etwas bitten. Zwingen konnte man ihn aber nicht. Obwohl die Ausbreitung des Christentums voranschritt, bestimmte den Alltag der Leute weiterhin die Natur in Form des Ablaufs von Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Was sollte schlecht daran sein, den überlieferten Kräften Respekt zu erweisen?
Durchschnittlich wurde der Mensch des Mittelalters 30 bis 35 Jahre alt. Frauen starben aufgrund der Risiken von Schwangerschaft und Geburt noch früher. Ein 45-Jähriger war ein seltener Anblick und galt als Ehrfurcht gebietender Greis. Segenssprüche,