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wollte ich Sie nicht«, verwahrte sich Thomas. Mit dem Absatz seiner Turnschuhe rieb er über sein Schienbein. Brandrot vor Verlegenheit war er: »Ich muß Ihnen was ausrichten. Es ist im Dorf beim Krämer, wo ja auch die Post ist, für Sie angerufen worden. Aber von wem, den Namen hab’ ich vergessen.«

      Thomas schwitzte Blut und Wasser. Zum Teufel mit seinem Bruder Johann. Der Mann würde sofort den Schwindel durchschauen. Nach einem ängstlichen Blick auf die Muskeln des Mannes, die man deutlich durch das dünne Hemd sah, bekam er es mit der Angst zu tun.

      »Und was hat man mir ausrichten lassen? Warst du heute morgen schon im Dorf?«

      Thomas nickte, die Kehle war ihm eng. Ganz bestimmt stand ihm die Lüge auf der Stirn geschrieben.

      »Sie sollten sofort zurückrufen, es ist wichtig.«

      »Mach dir keine Gedanken, daß du den Namen vergessen hast«, beruhigte ihn der Mann. Mit einem Seufzer schob Jonathan die Maschine zurück. »Es weiß nur ein einziger, wo ich mich versteckt habe. Aber wenn ich anrufen muß, ist es bestimmt sehr wichtig. Nett von dir, daß du mir Bescheid sagst. Kann ich das irgendwie gutmachen? Vielleicht mit einem kleinen Zuschuß für dein Taschengeld?«

      Thomas schwitzte noch mehr, wenn das überhaupt noch möglich war. Das wäre ja ein richtiger Judaslohn.

      »Nee, danke. Das hab ich gern getan.« Thomas strebte zur Tür.

      »Warte einen Augenblick.« Der Mann war aufgestanden. Groß war er. Thomas hatte ihn nicht so breitschultrig in Erinnerung gehabt. Ängstlich sah er zu ihm auf.

      »Hör mal«, der Mann lächelte auf ihn hinunter. Eigentlich hatte Lea recht, so übel war er gar nicht. Sollte er einfach sagen, das stimmt gar nicht? Wir wollten Ihnen nur einen Streich spielen?

      »Du siehst aus, als hättest du Angst vor mir. Glaub’ mir, bitte, mich hat heute morgen nicht mal das Bellen des Hundes gestört. Ich finde es ausgesprochen nett, daß ich Nachbarn habe. Willst du nicht wenigstens einen Saft trinken? Du siehst ganz verschwitzt aus.«

      »Sie sind sehr freundlich«, würgte Thomas heraus. Das war der letzte Streich. Damit war jetzt Schluß, nahm er sich vor. »Wir wollen heute den ganzen Tag am Wasser sein.« Er hörte selbst, wie unnatürlich seine Stimme klang. »Wir wollen zum Süßwassersee, darin kann auch Fridolin plantschen. Ich finde es nett von Herrn Karsten, daß er uns den Tip gegeben hat. Tschau.«

      Thomas stürzte davon, als wäre ihm eine Hundemeute auf den Fersen. Jonathan sah ihm nach, schüttelte resigniert den Kopf. Schade, er konnte den Kindern einfach nicht nahe kommen. Dabei störten sie ihn wirklich nicht mehr.

      Er warf einen bedauernden Blick auf die Blätter, die beschrieben werden wollten. Schade, er war so schön im Zug gewesen. Aber ein Spaziergang konnte auch nicht schaden. Wenn sein Freund nur keine unangenehme Nachricht für ihn hatte!

      *

      Sogar Susanne vergaß ihren Kummer. Der Platz war so unvorstellbar schön, daß man einfach nicht traurig sein konnte.

      Ein gutes Stück von ihnen entfernt erstreckte sich das Meer, heute glitzerte es in verschwenderischen Farben, Violett und Lila waren dominierend, aber auch Grüntöne mischten sich darunter. Es wehte ein frischer Wind, der die Wellen aufwühlte. Spielerisch tanzten weiße Schaumkrönchen darauf.

      Aber hier, in der Bucht, spürte man den Wind kaum. Eingebettet zwischen windzerzausten Sträuchern und Steinen, lag ein kleiner See. Himmel und Wolken spiegelten sich darin. Anfangs hatten die Vägel argwöhnisch die Eindringlinge gemustert, jetzt schienen sie sich nicht mehr an ihnen zu stören. Sogar Charlie hatte von dem Wasser geschlabbert, aber erst nach langem Zögern.

      »Er hat noch den Salzgeschmack vom Meer auf der Zunge«, verteidigte Lea den Hund, als Thomas sich über ihn lustig machte. Aber eigentlich fühlte sich Thomas gar nicht gut, immer wieder dachte er an den Mann, der jetzt bei dieser Hitze zum Dorf marschierte, nur um zu hören, daß niemand ihn angerufen hatte. Ganz heiß wurde Thomas bei seinem schlechten Gewissen. Konnte Lea Gedanken lesen? In einem winzigen roten Bikini hockte sie neben ihm und strich über den Seetank, der auf den Steinen lag.

      »Ich finde, wir sollten den Mann in Ruhe lassen. Unsere Lehrerin hat gesagt, daß man Frieden im Kleinen pflegen muß. Immer sind es die Männer, die sich nicht vertragen wollen und Ärger machen. Immer sind es Männer, die Krieg führen.«

      Natürlich erwartete sie Thomas’ empörte Reaktion. Aber er sagte nichts. Manchmal waren Jungens wirklich komisch, auch mit Hannes war heute wenig anzufangen.

      Fridolins Jauchzen klang in Leas Ärger hinein. Sofort lief sie zu dem kleinen Bruder, sie rannte ins Waser, es spritzte nach allen Seiten, aber Fridolin heulte nicht, er wischte sich das Wasser aus den Augen und krähte vor Vergnügen. Bekleidet war er mit einem winzigen roten Höschen, zum Anbeißen süß sah er aus.

      Lea setzte sich zu ihm, plantschte ein wenig mit den Händen auf dem Wasser.

      »Ich finde, er müßte doch langsam richtig sprechen, Susanne, oder?« sorgte Lea sich. Susanne saß auf dem flachen Stein, die Füße im Wasser.

      »Er kann ja sprechen«, beruhigte sie das Kind. »Aber warum soll er sich groß anstrengen? Er braucht ja nur die Hand auszustrecken oder ein Ton auszustoßen, und sofort ist jemand da, der versteht, was er will.«

      »Du bist also ein verwöhnter, fauler junger Mann«, stellte Lea vergnügt fest. »Sanne, du hast doch mächtig viel zum Essen mitgenommen? Ich hab nämlich jetzt schon Hunger.«

      »Aber ich will vorher schwimmen«, erklärte Thomas. »In diesem Tümpel ist das aber wohl unmöglich. – Ich finde ihn toll«, setzte er schnell hinzu, als er Susannes Blick begegnete. »Ja, wirklich. Ich möchte nur so gern schwimmen. Meinst du, daß man das hier im Meer kann? Es ist doch – Flut, oder?«

      Susanne blickte ängstlich auf die bewegten Wellen, die über die Steine liefen und wieder zurückflossen, wie im Spiel.

      »Ich weiß nicht, Thomas.«

      »Aber es ist Flut, Sanne. Und das Wasser ist hier überhaupt nicht tief.«

      »Der Himmel sieht aus, als wenn er ins Meer fallen wollte. Im Märchen würde man sagen, das ist am Ende der Welt.« Laura hatte Gräser gepflückt und ließ sich jetzt neben Fridolin ins Wasser fallen. »Pu, ist mir heiß.«

      »Au ja, Susanne, erzähl’ uns das Märchen von den sieben Raben. Darin geht doch das Mädchen, das ihre Brüder erlösen will, bis ans Ende der Welt.«

      »Ich wollte Thomas gerade fragen, ob wir nicht zusammen schwimmen.« Aber als sie Thomas’ Augen begegnete, lächelte sie schuldbewußt. »Du hast mich natürlich durchschaut, Thomas. Ich muß mich bei dir entschuldigen. Natürlich bist du groß genug, um allein ins Meer zu gehen. Es ist nur, ich weiß über das Gewässer hier zu wenig Bescheid. Ich muß mir unbedingt die ständige Angst um euch abgewöhnen.«

      »Nee, Sanne, bleib man, wie du bist«, grinste Thomas gönnerhaft. »Du bist schon in Ordnung. Ich paß schon auf mich auf. Ich hab doch nicht umsonst meinen Fahrtenschwimmer gemacht. Mir passiert schon nichts, ist doch logo.«

      Sie waren so mit sich beschäftigt, daß sie den Mann nicht bemerkten, der langsam über den Weg kam. Der Weg war schmal, und oft versperrten Steine ihn, er kletterte geschickt darüber hinweg. Die kleine Gruppe ließ er dabei nicht aus den Augen.

      Jonathan war unsicher, ein Zustand, der sehr neu für ihn war. Für gewöhnlich drängte er niemandem seine Gesellschaft auf, bisher hatte er das auch nicht nötig gehabt.

      Er war auch nicht wütend über den Streich, den die Kinder ihm gespielt hatten.

      Er wollte eigentlich nichts weiter, als mit ihnen zusammen sein. Dabei redete er sich ein, daß es die Kinder waren, die ihn interessierten.

      Er sah Thomas zum Wasser gehen. Gehen konnte man es beinahe nicht nennen. Wie ein Storch stolzierte er über die Steine, als hätte er Angst, richtig aufzutreten.

      Jetzt hatte der Junge den nassen Sand erreicht, eine Welle leckte über seine Füße.

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