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ich mir dachte«, fuhr Powers fort. »Es sind nicht mehr als die üblichen öden Einzelheiten menschlicher Vergehen, Fahrlässigkeit oder Dummheit, nicht wahr?«

      »Aber … genau das sind die Dinge, die üblicherweise mit Strafverfahren geahndet werden.«

      »Ganz genau, denn darum geht es beim Dienst für das Volk. Ich frage Euch nur, Matthew, ob Ihr wirklich Euer ganzes Leben diesen – wie soll ich sagen – profanen Dingen widmen wollt?«

      »Euch hat das aber doch gut gepasst, oder nicht, Sir?«

      Der Richter lächelte schwach und hielt seinen zerfransten Ärmelbund hoch. »Ungefähr so gut wie dieses Hemd. Aber es stimmt schon, ich bin mit meinem gewählten Beruf glücklich. Oder … er gefällt mir, wäre wohl eine zutreffendere Bezeichnung. Aber erfüllt oder fordert er mich? Da bin ich mir nicht so sicher. Ich habe mir diese Position hier ja nicht freiwillig ausgesucht, Matthew. Im Laufe meines Londoner Berufslebens habe ich einige Urteile gefällt, mit denen ich mir leider einflussreiche Feinde gemacht habe. Ehe ich mich versah, wurde ich aus meinem Amt gedrängt, und der einzige Weg, der meiner Familie und mir noch offenstand, führte über den Atlantik, entweder nach Barbados oder New York. Angesichts der Umstände habe ich das Beste daraus gemacht, aber jetzt …« Er verstummte.

      Matthew hatte das Gefühl, dass es in diesem Gespräch um mehr ging, als die Worte zu vermitteln wussten. Er hakte nach: »Ja, Sir?«

      Der Richter kratzte sich am Kinn und holte Luft, um etwas zu sagen. Dann stand er auf und ging ans Fenster, lehnte sich an den Rahmen und schaute auf die Straße hinab. Matthew drehte sich auf seinem Stuhl, um ihn weiter anzusehen.

      »Ende September werde ich mein Amt niederlegen«, sagte Powers. »Und zugleich auch New York verlassen. Das ist es, was ich heute mit Richter Dawes zu besprechen habe … obwohl er davon noch nichts weiß. Ihr seid der Erste, dem ich es sage.«

      »Ihr geht fort?« Das hatte Matthew nicht kommen sehen. Sein erster Gedanke war, dass der Mann von gesundheitlichen Problemen zu diesen Schritten gezwungen wurde. »Erfreut Ihr Euch nicht bester Gesundheit, Sir?«

      »Mir geht es gut. In der Tat geht es mir, seit ich diese Entscheidung getroffen habe, geradezu ausgezeichnet. Und ich bin erst in den letzten paar Tagen zu diesem Entschluss gekommen, Matthew. Es ist nichts, das ich vor Euch geheim gehalten habe.« Er wandte sich vom Fenster ab, um dem jungen Mann seine ganze Aufmerksamkeit zu schenken. Sonnenlicht strömte ihm über die Schultern und den Kopf. »Ihr habt mich hin und wieder von meinem älteren Bruder Durham sprechen hören?«

      »Jawohl, Sir.«

      »Ich glaube, ich habe Euch erzählt, dass er Botaniker ist. Und dass er in der Carolina-Kolonie für Lord Kent eine Tabakplantage führt?«

      Matthew nickte.

      »Durham hat mich gebeten, ihm zu helfen, da er sich ganz auf die botanischen Aspekte konzentrieren möchte. Lord Kent kauft immer mehr Land, und die Plantage ist inzwischen so groß geworden, dass es zu viel Arbeit für ihn ist. Es würde sich für mich um juristische Arbeit handeln, Verträge mit Lieferanten und dergleichen, und zugleich auch ein verwaltender Posten sein. Und der Verdienst ist das Dreifache von dem, was ich jetzt bekomme.«

      »Oh«, sagte Matthew.

      »Judith hat sich sehr dafür ausgesprochen«, fuhr der Richter fort. »Die besseren New Yorker Kreise haben sie nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Aber in der Nähe der Plantage wächst eine Stadt heran, und Durham erwartet davon große Dinge. Meinen Söhnen gegenüber habe ich noch gar nichts erwähnt. Ich nehme an, dass Roger mit uns kommen wird, aber Warren wird vermutlich bleiben, da seine Arbeit so wichtig ist. Abigail hat natürlich ihre eigene Familie und die Enkelkinder werden mir fehlen, aber mein Entschluss steht fest.«

      »Aha«, war Matthews Antwort darauf. Seine Schultern fielen nach vorn. Er fragte sich, ob Cecily diesen Morgen sein Pech an ihm gerochen hatte. Alles in allem sollte er sich am besten betrinken und dann wieder ins Bett legen.

      »Das ist nicht alles, was ich an Neuigkeiten für Euch habe«, sagte Powers. Der helle Klang seiner Stimme ließ Matthew aufhorchen, wobei er nicht wusste, ob er noch mehr schlechte Nachrichten zu erwarten hatte. »Glaubt nicht, dass ich weggehe, ohne einen neuen, interessanten Posten für Euch zu finden. Möchtet Ihr weiter einem Richter dienen?«

      Was für eine Wahl habe ich denn?, fragte sich Matthew, sprach es aber nicht aus.

      »Wenn ja, ist das ganz einfach. Sowohl Dawes als auch Mackfinay würden Euch noch heute übernehmen, wenn sie die Gelegenheit bekämen. Aber ich möchte Euch erzählen, wo ich heute Morgen gewesen bin.«

      »Sir?« Matthew vermochte nicht, ihm zu folgen.

      »Wo ich gewesen bin«, wiederholte der Richter, als würde er mit einem Schwachsinnigen sprechen. »Oder vielmehr – und viel wichtiger –, mit wem ich mich getroffen habe. Gestern Abend erhielt ich eine Nachricht mit der Frage, ob ich mich im Dock House Inn mit einer Katherine Herrald treffen könnte. Anscheinend haben wir ein paar gemeinsame Feinde, und zwar von solcher Bedeutung, dass sie mit mir darüber sprechen wollte. Diesen Morgen bin ich hingegangen und … obwohl ich ihr zu meinem Bedauern nicht weiterhelfen konnte, sagte ich ihr, dass ich jemanden kenne, der ihr zu Diensten sein könnte. Und dass ich Euch morgen um dreizehn Uhr zu ihr schicken werde.«

      »Mich?« Matthew hatte das Gefühl, dass der Richter den Verstand verloren hatte. »Wieso?«

      »Weil …« Powers hielt inne und schien sich dagegen zu entscheiden, ihm den Grund zu nennen. »Mehr sage ich dazu nicht. Um zehn haben wir die Anhörung der Witwe Muckleroy, nicht wahr? Das lässt Euch genügend Zeit für ein vernünftiges Mittagessen, und dann seht zu, dass Ihr zum Dock House geht.«

      »Sir … ich möchte wirklich gern wissen, worum es hier geht. Ich meine, ich schätze jegliche Hilfe von Euch sehr, aber … wer ist denn Mrs. Katherine Herrald?«

      »Eine Geschäftsfrau«, lautete die Antwort, »mit einem äußerst interessanten Vorhaben. Und jetzt Schluss mit den Fragen. Nehmt Euch zusammen. Stellt die Abschrift bis zwölf Uhr fertig, und dann lade ich Euch zu Sally Almonds ein – aber nur, wenn Ihr die Lammbrühe mit Brot bestellt.« Damit setzte er sich wieder an seinen Schreibtisch und begann, die Fragen für den Termin mit der Witwe zusammenzustellen, während Matthew seinen Rücken anstarrte und sich fragte, ob heute die gesamte Stadt verrückt geworden war.

      »Sir?«, versuchte er es noch einmal, aber Powers winkte nur ungeduldig ab und signalisierte ihm damit das definitive Ende aller Diskussionen über die geheimnisvolle Mrs. Herrald.

      Da es nichts weiter zu erfahren gab, musste Matthew seine Neugierde schließlich verdrängen. Er tauchte seine Feder ins Tintenfass und legte wieder Hand ans Papier, da er das Dokument tatsächlich fertigstellen musste und die Einladung in Sally Almonds Wirtshaus nichts war, das man verpassen wollte.

      Vier

      Im Konferenzsaal des Rathauses herrschte Gedränge. Als Lord Cornburys Eintreffen nahte, wurde es so eng, dass die Menschen sich kaum noch bewegen konnten, und schließlich flossen die Bürgermassen bis nach draußen über. Matthew, der sich in der dritten Bankreihe einen Sitz mit Richter Powers zu seiner Linken und dem Zuckergroßhändler Solomon Tully zu seiner Rechten gesichert hatte, beobachtete die brodelnde Menge mit großem Interesse. In dem mit buttergelbem Kiefernholz ausgelegten Gang bewegten sich die illustren sowie die verrufenen Berühmtheiten New Yorks, die alle im durch die hohen Butzenscheiben hereinströmenden goldenen Nachmittagslicht gebadet wurden, als handelte es sich bei diesem Gebäude und seiner Akzeptanz des Guten, Bösen und Hässlichen um einen Rivalen der Trinity Church.

      Hier kamen die erfolgreichsten Kaufleute der Stadt, deren Stiefel auf den Brettern klapperten, als sie sich durch den Pöbel schoben; dort schlenderten die Ladenbesitzer und Lagerhallenmeister einher, um sich ein Plätzchen hinter den Kaufleuten zu suchen; hier schoben sich die Anwälte und Ärzte durch die Massen und zeigten, dass auch sie sich im Licht der öffentlichen Anerkennung sonnen wollten. Und dort waren die Mühlenbesitzer und Wirte, die

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