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er sich jeder Rasse und Religion entgegenkommend, ließ niemanden außer Acht und half jedermann. Er wollte der Welt ganz mit Liebe und Toleranz begegnen, zuerst in Europa, dann im Zuge weiterer Reisen nach Mexiko sowie Südamerika und abschließend nun wieder in den Norden.

      Im Vorjahr, zu Beginn dieses Unterfangens, war der Papst von einer Terroristenbande entführt worden, weshalb er seine Glaubensbotschaft nie hatte verkünden können. Jetzt, nach seiner Wiedergenesung, galt es, dieses Vorhaben nachzuholen, was ihm auch gelang: Seine Stimme erreichte mehr als eine halbe Million Menschen auf dieser Seite der Welt, ausgehend von Kanada bis nach Feuerland.

      Nachdem er seine Brille ausgezogen und auf die Armlehne gelegt hatte, fuhr sich Pius mit einer Hand durchs Gesicht, dessen Falten vor Müdigkeit noch tiefer geworden zu sein schienen. Dann rieb er sich die Augen, die brannten und früher leuchtend blau gewesen, während seiner Amtszeit aber trüber geworden waren. Die Intelligenz dahinter blieb indes erhalten, und die inzwischen stahlgraue Farbe deutete auf seine Willenskraft hin.

      Im Laufe eines leisen Gebetes, bei dem er den Mund fast nicht bewegte, verloren sich seine Worte.

      Papst Pius schlief ein.

      Die Erinnerungen suchten ihn jede Nacht heim.

      Hinter erstickendem Sand, dem Staubvorhang eines Sturms, waren ihm mehrere Gestalten auf den Fersen. In einer Welt, lohfarben wie die Wüste, wo wabernde Dunstwolken die Sonne verdunkelten, kam er sich vor wie in einem Sumpf, der alle Bewegungen erschwerte wie in einem schlechten Traum. Er drängte weiter vorwärts, trotz des kräftigen Windes, in dem sein verschlissenes Gewand hinter ihm flatterte wie eine Fahne bei böigem Wetter, und näherte sich einem unbekannten Horizont, das Gesicht teilweise bedeckt mit einem schmutzigen Tuch, das allzu deutlich von einer lebenslangen Pilgerschaft zeugte.

      Und die Toten folgten ihm.

      Durch den Wüstenschleier zogen zwei Schemen mit Gesichtern aus welligen Schatten statt greifbarer Form, und ihre Klagerufe vereinten sich mit dem Pfeifen des heißen Windes.

      Dann schloss der Mann seine Augen und blieb auf einer hohen Düne stehen, während Sandkörner wie Wellen übers Wüstenterrain rollten und sein Gewand immerzu gepeitscht wurde. Hier war er Herrscher, Diktator eines Königreichs, das niemand regieren wollte.

      Drum setzte er seinen Weg wie durch Morast fort, marschierte auf der Suche nach einem Retter durch ein fernes Land, das es vielleicht gar nicht gab.

      Und die Schatten stellten ihm nach, die beiden jungen Schäfer, die er vor Ewigkeiten getötet hatte.

      Ihre Stimmen glichen gottlosem Wehgeschrei, das die Luft nahezu gänzlich verwehte, doch ihre Ansage war klar: So weit du auch wegläufst, die Hölle wird dir immer folgen.

      In diesem Moment wurde Kimball Hayden stets mit heftigen Kopfschmerzen wach. Als habe ihm ein Maultier gegen eine Schläfe getreten. Für Freudsche Psychologen mochte das, was sich vor seinem geistigen Auge abspielte, leicht zu erklären sein, aber loszulassen fiel schwer.

      Mehrere Jahre zuvor hatte er die Force Elite geleitet, eine Spezialeinheit von Soldaten für Geheimoperationen, die nur dem Weißen Haus intern und den Stabschefs bekannt gewesen war.

      Seit des 1976 während der Amtszeit von Präsident Ford erfolgten Verbots gezielter Ermordungen gehörten unter Verschluss gehaltene Besprechungen unter den Sicherheitsdiensten zur Norm, wobei das Gesetz oft missachtet wurde, weil das Töten von Feindelementen in gewissen Situationen zugunsten eines übergeordneten Wohles unerlässlich sei.

      Deshalb hatte er kraft des Militärs als Geheimagent fungiert, der darauf spezialisiert war, im Ausland Morde zu begehen. 1990 hatte man ihn beauftragt, drei Schlüsselabgeordnete aus Saddam Husseins Kabinett zu beseitigen, die für Unterhandlungen mit russischen Abweichlern verantwortlich gewesen waren, bei denen es um waffenfähiges Plutonium ging. Man hatte die Männer jedoch tot in Tscheljabinsk gefunden, erschossen mit einem Rav-22 LR, der Vorzugswaffe des Mossad für Hinrichtungen. Wegen dieses Gewehrs war man auch auf eine falsche Fährte geführt und verleitet worden, Israel die Schuld zuzuweisen.

      Seitdem hatte der Irak nie wieder ernsthaft versucht, sich zu einem Kernwaffenarsenal zu verhelfen.

      1991 schließlich war Kimball Hayden gebeten worden, einen weiteren Mord zu begehen. Sein Ziel diesmal: Saddam Hussein persönlich.

      Sofort als Iraker auf kuwaitischem Boden einfielen, um im Land zu plündern und zu brandschatzen, verlangten die USA und ihre Verbündeten im Mittleren Osten, Hussein möge unverzüglich abrücken. Darauf folgten mehrwöchige erfolglose Verhandlungen, weshalb die Koalition der Vereinigten Staaten schließlich mit einem Gegenschlag eingriff. Just zu dem Zeitpunkt wandten sich mehrere bedeutsame Stabschefs an Hayden, der Hussein vor dem geplanten Angriff der Alliierten ausschalten sollte, denn sie glaubten, man könne Krieg verhindern, wenn sich die Republikanische Garde in Wohlgefallen auflöse, weil der Diktator sie nicht mehr befehlige. Der zeitige Rückzug aus kuwaitischem Gebiet würde den Eingriff der Koalitionsmächte im Falle von Kimballs Erfolg verhindern, so er Hussein aus dem Verkehr zog.

      Während die Zeit jedoch bei all den Verhandlungen knapper wurde, reiste Hayden heimlich in den Irak, ohne Fragen zu stellen, was sich von selbst verstand. Ebensolche Gesten eiskalter Stärke, die an eine herzlose Maschine denken ließen, stellten ihn dem Weißen Haus als schillernden Schatten dar, der weder ein Gewissen hatte noch Reue oder Sorge kannte. Mit diesem Image brüstete sich Kimball dann auch und betrachtete sich als überlebensgroße Persönlichkeit.

      Am siebten Tag auf seinem gewagten Weg gen Bagdad stieß er auf zwei Knaben mit einer Ziegenherde. Der eine war höchstens vierzehn, der andere ungefähr zehn Jahre alt, und beide trugen Stöcke aus krumm gewachsenem Olivenholz.

      Kimball blieb versteckt, indem er sich mit dem Rücken an die Sandböschung eines Ablaufkanals drückte. Dabei hörte er, wie die Tiere nur wenige Fuß über ihm blökten, und auf einmal fiel der Schatten des kleineren Jungen auf ihn. Dieser hatte Kimball von oben bemerkt. Seine schmächtigen Umrisse zeichneten sich vor der grellweißen Sonne ab, deren Licht hinter ihm streute wie ein Heiligenschein. Prompt stürzte der Knabe los und schlug lauthals Alarm.

      Kimball fuhr hoch und entsicherte unversehens seine Waffe, legte an und feuerte. Die Kugel traf den Jungen mit voller Wucht und riss ihn im Sand nieder, sodass eine Wolke aufstob, als er landete. Der ältere verharrte bewegungslos wie eine Salzsäule mit offenem, zu einem großen O geformten Mund, wie zum stummen Einspruch, während sein Blick abwechselnd auf den Toten – seinen Bruder – und den Schützen fiel. Als auch er davonlaufen wollte, gab Kimball noch einen einzelnen Schuss ab. Der Knabe war tot, bevor sein Körper am Boden aufschlug.

      An jenem Abend begrub er die beiden Jungen mit ihren Stöcken in dem Kanal. Kimball Hayden schüttete die Löcher mit Sand zu und verscheuchte die Ziegen. Als er fertig war, setzte er sich vor die beiden Erdhügel und erwog, die feinen Herren im Weißen Haus hätten möglicherweise doch recht. Vielleicht war er wirklich unmenschlich. Vielleicht vermochte er nicht, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden, getrieben einzig und allein von empfindungslosem Pflichtbewusstsein.

      Stundenlang überlegte er und hinterfragte sein Wesen in der Selbstbetrachtung.

      Als es dann ganz dunkel war – er hatte von der Sonne Blasen an die Lippen bekommen –, weigerte er sich, einen Unterschlupf zu suchen, legte sich mit je einer verkrampften Hand auf einem Haufen zwischen die Gräber und betete um Vergebung … nicht durch Gott, sondern die Erschossenen.

      Zur Antwort hörte er nur das leise Rauschen von Wüstensand, den der Wind verwehte.

      Während er dalag und beobachtete, wie der Mond am mit unendlich vielen Sternen gespickten Himmel entlangwanderte, traf Kimball Hayden eine Entscheidung.

      Am nächsten Morgen kehrte er zur syrischen Grenze zurück, woraufhin Präsident Bush und die Stabschefs nie wieder von ihm hören sollten. Im Weißen Haus glaubte man, er sei in Ausübung seiner Pflicht umgekommen. Weniger als zwei Monate nach Beginn des Feldzugs gegen den Irak wurde Hayden posthum von den Köpfen des Pentagons geehrt.

      Der Angriff der Amerikaner und Koalitionsmächte begann jedoch schon vierzehn Tage nach seiner Fahnenflucht,

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