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      *

      Für Laura Merz war ihr Erlebnis in der Behnisch-Klinik noch nicht ganz beendet. Einen schweren Gang hatte sie noch vor sich und klopfte eine halbe Stunde später an Sina Meurers Tür.

      »Herein!«, tönte eine erstaunlich freundliche Stimme an ihr Ohr, und als sie eintrat, war sie gespannt auf das, was sie erwartete.

      Um ein Haar hätte Laura die junge Frau im Bett nicht wiedererkannt. Das schwarze Haar war zu einem ordentlichen Pferdeschwanz gebändigt, und die blauen Augen strahlten ohne düstere Umrandung hell und fröhlich in die Welt.

      »Frau Dr. Merz, ich hab gewusst, dass Sie kommen!«, begrüßte Sina die Ärztin und deutete freudestrahlend auf das Tablett. Ein blitzeblank leer gegessener Teller sprach eine deutliche Sprache. »Sehen Sie, ich hab mir Ihre Worte zu Herzen genommen.«

      Aus dem Bad kamen Geräusche, und Lauras Blick fiel auf das leere Bett am Fenster. Offenbar hatte Sina eine Nachbarin bekommen, die sich eben frisch machte. Laura war froh, dass sie im Bad war, so dass sie halbwegs ungestört sprechen konnten.

      »Sina, das ist ja toll!« Sie freute sich wirklich über ihren Erziehungserfolg. Und doch war ihre Stimmung getrübt, als sie sich auf die Bettkante setzte. Das, was sie Sina zu sagen hatte, war wenig erfreulich. »Ich hoffe, du machst weiter so.«

      Ihre Stimme war so ernst, dass das Mädchen hellhörig wurde.

      »Wie meinen Sie das? Kommen Sie mich denn nicht mehr besuchen?«

      Mit dieser Frage hatte Laura Merz natürlich gerechnet. Trotzdem wurde ihr das Herz schwer, als sie Sina erklärte, was geschehen war. Nicht das kleinste Detail ließ sie bei ihrem Geständnis aus, erzählte von Achim, von Annekas verpatzter Diagnose und der Notoperation. Zuletzt gestand sie ihren Diebstahl und verschwieg auch nicht, dass sie ihre Stelle verloren hatte.

      Schweigend und mit großen Augen lauschte Sina den entwaffnend offenen Worten der Ärztin.

      »Aber dann können Sie uns doch daheim besuchen«, machte sie schließlich einen kindlichen Vorschlag und sorgte dafür, dass Lauras Herz wenn möglich noch ein bisschen schwerer wurde.

      Unwillkürlich streckte sie die Hand aus und strich über eine seidenweiche, schwarze Strähne, die sich aus Sinas Pferdeschwanz gelöst hatte.

      »Das würde ich wirklich wahnsinnig gern tun.« Und noch viel mehr!, dachte sie bei sich. »Aber ich fürchte, dass dein Vater jetzt nichts mehr mit mir zu tun haben will.«

      In diesem Moment wurde Laura klar, dass nichts, was passiert war, sie so traurig machte wie die Tatsache, Benedikt ein zweites Mal zu verlieren. Sie war so vertieft in diesen Gedanken, dass sie nicht bemerkte, wie sich die Badezimmertür leise öffnete und nicht etwa eine Unbekannte, sondern ausgerechnet ihr Jugendfreund mit einem breiten Lächeln auf den Lippen heraustrat. Nur mit Mühe konnte Sina ein Kichern verkneifen.

      »Was macht dich da so sicher?« Es war Benedikts Stimme, die den Raum erfüllte.

      Laura begriff nicht sofort. Wie aus einer Trance erwacht, zuckte sie zusammen und starrte Sina fragend an.

      »Hast du das gerade gesagt?«

      Vor unterdrücktem Lachen war Sinas Kopf knallrot. Sie schüttelte nur den Kopf.

      »Nein, hat sie nicht«, fuhr die Stimme fort. »Ich war’s!«

      Endlich begriff Laura, was vor sich ging. Sie sprang von der Bettkante und fuhr zu Benedikt herum.

      »Du? Was machst du denn hier?«, stammelte sie verwirrt und versuchte, sich einen Reim auf die Situation zu machen. »Wann bist du reingekommen? Ich hab dich gar nicht gehört.«

      »Konntest du auch nicht. Ich war nämlich schon drin, als du gekommen bist«, grinste Benedikt triumphierend und deutete auf die Badtür hinter sich. »Ich war im Bad und muss mich entschuldigen. Ich habe alles mit angehört. Leid tut es mir aber nicht.« Er legte die Hände auf Lauras Schultern und sah ihr tief in die Augen.

      Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, als ihre Blicke ineinander ertranken.

      »Soll das heißen, du willst mich trotzdem noch sehen?«

      »Und nicht nur das«, erwiderte er mit rauer Stimme.

      Obwohl er bereits mit Sina über Laura gesprochen hatte, verzichtete Benedikt darauf, die Frau seines Herzens vor seiner Tochter zu küssen. Zu viel auf einmal wollte er ihr dann doch nicht zumuten und begnügte sich damit, Laura tief in die Augen zu sehen.

      »Mann, Dad, jetzt hab dich mal nicht so!«, ertönte da belustigter Protest aus den hinteren Reihen. »Du stellst dich an, als hättest du noch nie eine Frau geküsst. Los, jetzt mach schon!«, forderte Sina ihren Vater auf, der sich das nicht zwei Mal sagen ließ.

      Als Laura die Augen nach einer gefühlten Ewigkeit wieder öffnete und sie in Sinas strahlendes Gesicht blickte, wusste sie, dass nichts mehr so war wie zuvor, nie wieder sein würde. Und das war gut so.

      *

      »Was ist denn hier los?« Dr. Daniel Norden musste die Stimme heben, damit überhaupt jemand von ihm Notiz nahm.

      Er hatte die Gunst der Stunde genutzt und machte nach dem Gespräch bei Jenny einen Abstecher zu seiner Tochter. Überrascht stellte er jedoch fest, dass Anneka mitnichten einsam und allein in ihrem Bett lag. Ein Gutteil ihrer Familie umringte sie – natürlich war auch Noah mit von der Partie. Es wurde gelacht und erzählt, und die Stimmung war richtiggehend ausgelassen.

      »Hat jemand Geburtstag und ich habe es vergessen?«, rief er noch einmal in die Menge.

      Endlich wurde Fee auf ihren Mann aufmerksam.

      »Dan, mein Lieber, da bist du ja! Ich hab schon auf dich gewartet.« Sie kam auf ihn zu und stupste zur Begrüßung frech den Zeigefinger in seine Mitte. »Nanu, wo ist denn der Schwimmreifen hin?«, wunderte sie sich, als sie direkt auf seine Rippe traf.

      Daniel nahm seine vorwitzige Frau in die Arme und küsste sie, ehe er sagte:

      »Stell dir vor, in den letzten Tagen habe ich gelernt, mich ohne Schwimmhilfe über Wasser zu halten.«

      Argwöhnisch legte Felicitas den Kopf schief.

      »Sag bloß, du hast dich an dein Versprechen gehalten und keine Süßigkeiten mehr von Tatjana gegessen?«, erkundigte sie sich ungläubig und schickte ihrer Schwiegertochter in spe einem forschenden Blick. Tatjana hatte es sich auf einem Stuhl neben Annekas Bett bequem gemacht, eine große Schachtel mit Kuchen auf den Knien. Fee wusste, dass Tatjana inzwischen zu Jennys Kuchenlieferantin Nr. 1 aufgestiegen war. Dass Danny ohnehin jeden Morgen eine große Tüte Leckereien mit in die Praxis brachte, war ebenfalls ein offenes Geheimnis. »Hast du nur, um mir zu gefallen, auf all die Köstlichkeiten verzichtet?« Fast gerührt forschte sie im Gesicht ihres Mannes nach der Wahrheit und brachte ihn damit in Schwierigkeiten.

      »Na ja«, erwiderte Daniel gedehnt, als ihm glücklicherweise Felix zu Hilfe eilte.

      Auch er hatte sich Zeit für einen Besuch bei seiner Schwester genommen und lächelte seine Mutter jetzt engelsgleich an.

      »Hin und wieder hat Dad ein bisschen gemogelt«, half er seinem Vater augenzwinkernd aus der Verlegenheit. »Aber dafür solltest du ihm dankbar sein. Stell dir vor, was bei dem Stress der vergangenen Tage alles hätte passieren können? Herzinfarkt, Schlaganfall, Kreislaufzusammenbruch«, malte er mit dramatischer Miene ein Horrorszenario nach dem anderen aus. »Durch die Kalorienzufuhr hat mein kluger Vater jedoch dafür gesorgt, dass seine Nerven ausreichend geschützt waren gegen jegliche Gefahr.« Er schickte seiner Mutter einen treuherzigen Blick, und Felicitas brach in ungläubiges Gelächter aus.

      »War ja klar, dass ihr beiden Männer unter einer Decke steckt«, stellte sie dann fest und wandte sich hilfesuchend an Annekas Freund Noah, der neben Tatjana am Bett seiner Freundin stand. Doch mit den vollen Backen schien auch er nicht der richtige Ansprechpartner zu sein.

      Tatjana bemerkte Fees hilfesuchenden Blick und hielt ihr lächelnd die geöffnete Schachtel hin.

      »Keine

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