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      In ihrer knapp bemessenen Freizeit musste sich Laura Merz einem Verhör der Polizei stellen, wurde aber nach einer eingehenden Befragung freundlich entlassen. Es war unbestritten, dass Achim Hübner freiwillig aus dem Leben geschieden war. Die gefundenen Opiate ordnete man einer anderen Quelle zu, so dass Laura frei von jeder Schuld ihres Wegs gehen konnte. Sie war zutiefst erleichtert, dass sich das Kapitel ›Achim‹ für sie für immer geschlossen hatte. Zumindest hoffte sie das inständig, als sie am nächsten Morgen in die Klinik kam. Die Ereignisse des vergangenen Tages erschienen ihr kaum mehr als ein böser Traum. Schon jetzt verblasste ihre Erinnerung an die chaotische Zeit mit dem Feuerwehrmann, und sie fragte sich, welchem Hirngespinst sie eigentlich nachgelaufen war.

      »Aus und vorbei!«, befahl sich Laura selbst, und nach einem Kaffee und einem belegten Brötchen in der Caféteria fühlte sie sich den neuen Herausforderungen des Tages gewachsen.

      Sie bedauerte sogar schon, so rüde mit Benedikt umgesprungen zu sein, und beschloss spontan, seine Tochter Sina auf der Station zu besuchen. Diesmal wollte sie sich mehr Zeit nehmen als nur ein paar Minuten.

      »Guten Morgen, Sina«, begrüßte sie die junge Frau, die aufrecht im Bett saß und missmutig auf ihr Frühstückstablett starrte.

      »Ich hab doch schon fünf Mal gesagt, dass ich keinen Bock auf Essen hab«, maulte die junge Frau statt einer Begrüßung. »Immer diese blöden Vorschriften. Hier fühlt man sich ja wie im Gefängnis.«

      Ungerührt zog sich Laura einen Stuhl ans Bett und setzte sich.

      »Gerade deshalb würde ich an deiner Stelle essen«, gab sie zu bedenken. Vor dem Besuch hatte sie sich noch einmal Sinas Akte vorgenommen und sie gründlich studiert. Nach einem unsachgemäß durchgeführten Schwangerschaftsabbruch in einer Frauenarztpraxis hatte sich ihre Gebärmutter entzündet. Nur durch eine Notoperation in der Behnisch-Klinik war es in letzter Minute gelungen, das Leben der jungen Frau und auch das Organ zu retten. Das war bereits über eine Woche her. Trotzdem wollte sich Sinas Zustand nicht bessern. Das lag vor allen Dingen daran, dass sie nur so viel wie unbedingt nötig aß. Außerdem erhob sich Sina nur aus dem Bett, um ins Bad zu gehen, wo sie das rabenschwarz gefärbte Haar kämmte und sich jeden Morgen die Augen düster schminkte.

      Aus diesen düsteren Augen starrte sie Laura jetzt an.

      »Ich glaub, Sie kapieren da was nicht. Ich will hier raus. Und zwar so schnell wie möglich.«

      »Genau deshalb würde ich an deiner Stelle essen«, erklärte die Gynäkologin in aller Seelenruhe. »Wenn du wieder bei Kräften bist, wirst du nämlich entlassen. Vorher nicht.«

      Nachdenklich wandte sich Sina wieder dem Tablett zu. Nach und nach wich der trotzige Ausdruck auf ihrem Gesicht. Wäre die furchteinflößende Schminke nicht gewesen, hätte sie mit einem Mal wie ein kleines, hilfloses Mädchen gewirkt.

      »Ich kann einfach nichts essen. Meine Kehle ist wie zugeschnürt«, gestand sie schließlich leise.

      Laura wurde hellhörig, ließ sich aber nichts anmerken.

      »Hast du eine Vorstellung davon, woher das kommt?«, wagte sie eine vorsichtige Frage.

      Zu ihrer Überraschung lachte Sina auf. Es war ein bitteres Lachen.

      »Machen Sie Witze? Hätten Sie Hunger, wenn Sie Ihr Kind wegen Ihrem Freund abgetrieben haben, weil er es verlangt hat? Und dann macht er trotzdem Schluss.«

      »O je«, entfuhr es Laura mitfühlend. »So war das?«

      »Ja, so war das. Und jetzt ist es zu spät. Zu spät für alles.« Sina versetzte dem Tablett einen unsanften Stoß, dass die beiden Brötchen vom Teller rutschten und der Orangensaft überschwappte und auf den Boden tropfte.

      Schnell zupfte Laura ein paar Papiertücher aus dem Spender und wischte die Bescherung auf.

      »Wenn es für mich nicht zu spät ist, wie sollte es dann für dich zu spät sein?«, bemerkte sie wie nebenbei.

      Verwirrt legte die unglückliche junge Frau den Kopf schief. Eine schwarze Strähne fiel ihr vor die geschminkten Augen. Unwillig schob sie sie zur Seite.

      »Sie? Sie sind doch Ärztin und haben wahrscheinlich einen Professor als Mann und ein paar schlaue Kinder. Eine riesige Villa mit Pool im Keller. Und eine Putzfrau und einen Chauffeur.«

      Diesmal war es Laura, die bitter auflachte.

      »Ha, schön wär’s!« Ich bin eine Diebin, die ihrem neuen Arbeitgeber gleich in der ersten Nacht Rauschmittel klaut. Mein ehemaliger Freund hat sich in die Luft gesprengt und viele Menschen verletzt. Kinder habe ich keine und nach der Diebstahl-Geschichte auch keinen Job mehr!, ging es ihr durch den Sinn. Laut sagte sie: »Weißt du, auch als Erwachsener läuft das Leben nicht immer so, wie man sich das vorgestellt hat. Und auch als Erwachsener ist man nicht davor gefeit, dumme Sachen zu machen.«

      »Sie?« Sina konnte es kaum glauben.

      »Ja, ich. Im Grunde genommen war es bei mir nicht viel anders als bei dir«, lächelte Laura Merz traurig. »Ich habe mein Herz auch an einen Mann gehängt, der mir ständig irgendwas versprochen hat. Gehalten hat er nichts. Trotzdem hab ich ihm immer wieder geglaubt.«

      Mit großen Augen hatte die junge Frau Lauras Geständnis gelauscht.

      »Hat er auch Schluss gemacht?«, fragte sie voller Mitgefühl.

      Doch diesmal konnte Laura den Kopf schütteln.

      »Nein, ich bin ihm zuvor gekommen.« Erstaunt stellte sie fest, dass sie diese Tatsache fast mit Stolz erfüllte. »Jetzt ist er nicht mehr am Leben.«

      »Oh, das tut mir leid.« Erschrocken schlug Sina die Hand vor den Mund.

      Zu ihrer eigenen Überraschung lächelte Laura Merz.

      »Im Grunde genommen hatte Achim schon lange keine Lust mehr, sah schon ewig keinen Sinn mehr in seinem Leben. Er hat Drogen konsumiert, um nichts mehr zu spüren«, erzählte sie. »Nicht, dass ich seine Entscheidung gutheiße. Aber ich muss sie akzeptieren. Und es fällt mir überraschend leicht.«

      Staunend hatte Sina den Worten der Ärztin gelauscht.

      »Sie sind eine tolle Frau. Ich wünschte, ich hätte eine Mutter wie Sie. Dann wäre vieles bestimmt nicht passiert«, erklärte sie.

      Unwillkürlich musste Laura wieder an ihr Gespräch mit Benedikt denken, und ihr Herz begann, schneller zu schlagen. Sie musste ihn unbedingt anrufen und um Verzeihung bitten. Ihm erklären, was passiert war ...

      »Und ich könnte mir keine bessere Tochter vorstellen«, murmelte sie, als es klopfte und sich gleich darauf die Tür öffnete.

      Der Kollege Schober trat ein. Im Gegensatz zum vergangenen Abend war seine Miene ernst, fast streng.

      »Frau Merz, Sie möchten bitte sofort zur kommen.«

      *

      Unruhig wanderte Jenny Behnisch in ihrem Büro auf und ab. Im Gegensatz dazu saß Daniel Norden ruhig auf dem Sessel in der gemütlichen Besucherecke. Das Versprechen, das er seiner Frau jüngst gegeben hatte, geriet angesichts, Tatjanas leckeren Petit Fours völlig in Vergessenheit. Genüsslich steckte er eines der zartschmelzenden Törtchen in den Mund, während er auch aus persönlichem Interesse auf Laura Merz’ Erscheinen wartete.

      »Wenn wir diesen Fall nicht umgehend lückenlos aufklären, steht der gute Ruf der Klinik auf dem Spiel«, bemerkte die Klinikchefin zutiefst besorgt.

      »War denn schon jemand von der Presse bei dir?«, fragte Daniel und leckte einen Rest Schokocreme von den Fingern.

      Jenny hielt in ihrem rastlosen Marsch inne und sah ihn an.

      »Nein, das nicht«, gestand sie. »Aber ...«

      »Na siehst du«, unterbrach Daniel Norden die sorgenvollen Gedankengänge seiner Freundin und Kollegin. »Dann wird das auch sicher nicht mehr passieren. Ich habe in der Zeitung gelesen, dass die Quelle, woher die Rauschmittel stammen, bekannt ist. Dieser

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