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versteh dich schon, aber Menschen verbrennen, ertrinken, es gibt verschiedene Arten zu sterben, ohne dass es hinterher eine Beerdigung gibt mit jemandem im Sarg.«

      »Ja, ja, alles richtig, aber bei Jörg vermutet man nur, dass er den Absturz nicht überlebt hat.«

      »Bettina, er ist tot, finde dich damit ab, und fange an, dir Gedanken darüber zu machen, was mit Chateau Dorleac geschehen soll, hinziehen willst du vermutlich ja nicht.«

      »Um Gottes willen, nein, ich werde doch mein Paradies hier nicht verlassen, ich gehöre auf den Fahrenbach-Hof und sonst nirgendwohin … Jan will mich begleiten, dann habe ich wenigstens jemanden an meiner Seite, wenn die Gefühle mich zu überfluten drohen. Es wird schon schwer, nach Frankreich unter so ganz anderen Voraussetzungen zu fahren.«

      »Das glaub ich, wenn ich dir irgendwie behilflich sein kann, lass es mich wissen.«

      »Danke, Toni, das ist wirklich sehr lieb von dir, aber komm, lass uns nicht mehr darüber reden. Ich habe es angekurbelt, es wird sich zeigen, wie es dort unten weitergehen soll, verkaufen werde ich auf jeden Fall nicht, wenigstens nicht so schnell, das kann ich nicht so schnell nach Jörgs Verschwinden.«

      Er sagte nichts mehr dazu, sondern hielt ihr eine Bestellung hin.

      »Diese Firma Glogens hat jetzt schon ein paar Mal bestellt, im Grunde genommen quer durch das Sortiment, nun wollen sie ein verlängertes Zahlungsziel haben und außerdem zehn Prozent Skonto abziehen, und das nach sechzig Tagen. Ich weiß nicht, wie du dazu stehst, ich finde es ziemlich dreist. Solche Konditionen verlangen nicht einmal unsere Großabnehmer. Was machen wir?«

      »Auf unsere Zahlungsbedingungen verweisen.«

      »Wenn wir auf ihre Bedingungen nicht eingehen, wollen sie nichts mehr bestellen«, wandte Toni ein. »Sie bestellen ganz nett, aber das Auftragsvolumen ist nicht umwerfend.«

      »Toni, wir lassen uns nicht erpressen, entweder zu unseren Konditionen oder dann eben nicht.«

      »Der Meinung bin ich auch, ich wollte mich nur noch mal rückversichern. Weißt du, Bettina, ich bin ganz schön froh, dass wir inzwischen auf den einen oder anderen Kunden verzichten können. Wir haben zwar noch einen gehörigen Anstieg vor uns, bis wir oben auf dem Gipfel sind, aber es geht doch ganz schön voran, besonders jetzt mit unserem Kräutergold, das ist eine wahre Freude zu sehen, wie die Kunden bestellen, Finnmore eleven ist zwar noch immer unser bestes Pferd im Stall, und Brodersen und Horlitz liegen noch vor uns, auch der holländische Eierlikör verkauft sich derzeit noch besser oder ›Fire‹, aber den Marillenbrand haben wir bereits überholt.«

      »Ja, Toni, ich bin auch sehr glücklich, dass wir unser Kräutergold wieder produzieren können und dass es so gut angenommen wird. Da lässt sich noch mehr machen mit entsprechender Werbung.«

      »Das weiß ich, und da ist mir auch nicht bang, dir ist es gelungen, alle Umsätze zu steigern dank deiner hervorragenden Strategien, und das in diesen Zeiten … aber, was soll’s, vielleicht sogar wegen dieser Zeiten?« Er blinzelte ihr zu. »Vielleicht müssen sich die Leute ihren Kummer herunterspülen.«

      »Alkohol ist keine Lösung und kein guter Freund. Aus dem Unglück kann man sich nur selber herausziehen. Leni würde jetzt sagen – hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner.«

      Toni lachte.

      »Ja, ja unsere Leni, sie sollte wirklich ein Buch schreiben mit einem Titel wie Leni’s weise Sprüche, oder Sprüche für alle Lebenslagen, denn die hat sie immer parat.«

      »Das stimmt«, kicherte Bettina. »Aber was Wahres ist ja immer dran.«

      Toni stand auf, was zu besprechen gewesen war, war besprochen.

      »Ja, dann will ich mich mal wieder an die Arbeit machen. Wir sehen uns später.«

      »Ja, bis später, Toni«, antwortete sie.

      Er verließ Bettinas Büro, die blickte versonnen auf die Fotos ihres Vaters, Jans, und sie hatte ein Bild von Jörg aufgestellt. Er strahlte sie an auf seine lebensbejahende, optimistische Art.

      Vielleicht hatte er sein Leben genossen und sich Träume erfüllt, weil er irgendwo geahnt hatte, dass es bald zu Ende sein würde?

      Bettina stand auf, um das Fenster zu öffnen, sie brauchte frische Luft.

      Ihr Gast Rolf Möbius stand auf dem Hof und unterhielt sich mit Leni.

      Er musste ihr etwas sehr persönliches erzählt haben, denn Leni hatte seine Hand ergriffen und hielt sie fest umschlossen.

      Was er ihr wohl gesagt hatte?

      Bettina fröstelte. Solange das Fenster offen war, würde sie ihr Büro verlassen, sie wollte sich von Inge Koch die Offene-Posten-Lis­ten holen. Sie war ja so froh, dass Inge bei ihr arbeitete, sie nahm ihr viel Arbeit ab und machte mittlerweile die komplette Buchhaltung, den Steuerberater brauchten sie nur noch für die Abschlüsse. Das sparte eine Menge Geld und war auch sehr viel angenehmer, denn alle Zahlen, die sie brauchten, hatten sie jederzeit parat.

      Sie nahm von ihrem Schreibtisch die Unterlagen mit, die sie bereits durchgesehen hatte, dabei fiel ihr Blick nochmals auf Jörgs Foto.

      Sie konnte und wollte es nicht glauben, dass Jörg tot war. Sie war so manches Mal genervt gewesen von ihm, hatte vieles nicht verstehen können von dem, was er getan hatte, aber im Gegensatz zu Grit und Frieder war Jörg niemals ausfallend geworden, er hatte auch sich gefreut, sie zu sehen, hatte angerufen … Nun, eigentlich nur, wenn er was von ihr wollte. Aber im Nachhinein idealisierte sie ihn, vermutlich neigte man dazu. Bettina war sich jedoch sicher, dass Jörg sie auf seine Weise wirklich gemocht hatte, er hatte ihr Zimmer auf dem Chateau unverändert gelassen, ihr selbstverständlich angeboten, das Chateau auch als ihr Zuhause zu betrachten. Außerdem, wenn er etwas gegen sie gehabt hätte, hätte er sie niemals zu seiner Alleinerbin eingesetzt.

      Ach, Jörg, murmelte sie unglücklich, warum musstest du dich zu dieser unseligen Reise entschließen? Konntest du nicht in Frankreich bleiben? Dann wärest du jetzt noch am Leben.

      In Frankreich hätte ein Baum auf ihn stürzen können, er hätte von einem Stein erschlagen werden können.

      Sie erzählte doch allen, die es hören oder nicht hören wollten, dass jeder Mensch sein Schicksal hatte. Warum wollte sie das ihres Bruders nicht einfach akzeptieren? Warum suchte sie nach Wenn’s und Aber’s?

      Weil es sich gut reden ließ, wenn man nicht betroffen war.

      Bettina wandte sich endgültig ab und verließ das Büro, in das schon klirrende Kälte strömte.

      *

      Als Bettina zu ihrer Freundin Linde in den Gasthof kam, spürte sie sofort, dass etwas nicht stimmte.

      Linde war sehr ernst, wirkte irgendwie bedrückt.

      »Was ist los?«, wollte Bettina wissen, als sie sich am gemütlichen Stammtisch gegenübersaßen, vor sich dampfenden Pfefferminztee mit frischer Minze, die wunderbar duftete.

      Linde stampfte mit ihrem Löffel auf der Minze herum, als gelte es in dem Glas einen Dämon zu verjagen.

      »Ich werde nach Portugal fliegen, mit den Zwillingen«, sagte sie schließlich.

      Bettina setzte ihr Glas wieder ab, aus dem sie gerade trinken wollte.

      »Du wirst bitte was?«

      »Ja, du hast schon richtig gehört, ich werde nach Portugal fliegen.«

      »Linde, die Zwillinge sind noch viel zu klein, außerdem ist das Wetter dort jetzt auch nicht gerade berauschend.«

      »Es ist schöner als hier.«

      »Das schaffst du doch nicht allein mit den Kindern …, wenn es dir so wichtig ist, soll ich mitkommen? Für ein paar Tage könnte ich mich frei machen.«

      »Das ist lieb, aber ich muss allein sein, ich muss an den Ort zurückkehren, an dem ich mit Martin die glücklichste Zeit meines Lebens verbrachte, und an dem ich seine Asche ins Meer gestreut habe … Es gibt dort

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