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Wein und aßen ih­ren Käse gleich­falls auf der Ve­ran­da.

      Die Tü­ren nach dem Ess­saal wa­ren ge­öff­net.

      Plötz­lich setz­te ei­ner der Stu­den­ten has­tig sei­nen Knei­fer auf und beug­te sich vor. Drin­nen ging ein Mann in ei­nem grau­en An­zug mit ei­nem Stroh­hut vor­über.

      »Herr Pro­fes­sor«, rief der Stu­dent eif­rig, »da ist er – ich hat­te doch recht! War­ten Sie – er wird gleich un­ten aus der Tür tre­ten.«

      Der Zü­ri­cher Pro­fes­sor warf sei­ne Do­mi­no­stei­ne um in der Hast, mit der er auf­sprang und sich über das ei­ser­ne Ge­län­der bog. Auch die jun­gen Män­ner sa­hen hin­aus. Dann wand­te der Pro­fes­sor sich zu­rück und setz­te sich wie­der nie­der.

      »So – so – also das war der Gref­fin­ger … Hat mich doch in­ter­es­siert, ihn ge­se­hen zu ha­ben!«

      »Wel­chen Na­men nann­ten Sie da?« frag­te der Re­gie­rungs­rat.

      »Gref­fin­ger!« sag­te der Pro­fes­sor, als ge­nü­ge das und es brau­che kei­ne wei­te­re Er­klä­rung hin­zu­ge­fügt zu wer­den.

      »Papa!« rief Aga­the mit der plötz­li­chen Leb­haf­tig­keit, die sie zu­wei­len er­fass­te, »ob es am Ende Mar­tin war?«

      »Ich habe einen Nef­fen die­ses Na­mens«, er­klär­te Re­gie­rungs­rat Heid­ling oben­hin.

      Die schwei­zer Stu­den­ten be­ob­ach­te­ten den al­ten Herrn und die Dame mit In­ter­es­se. Es schie­nen wahr­haf­tig Ver­wand­te von Mar­tin Gref­fin­ger zu sein – und da­bei wuss­ten sie es selbst nicht ein­mal ge­nau!

      Heid­ling spiel­te mit der Hand in dem wei­chen grau­en Bart.

      »Ich habe lan­ge nichts von dem jun­gen Man­ne ge­hört«, sag­te er, über­le­gend, wie viel er den Frem­den von sei­nen Be­zie­hun­gen zu Mar­tin mit­tei­len dür­fe, »es freut mich aber, zu be­mer­ken, dass Sie mit Ach­tung von ihm re­den. Wenn wir in der Tat die­sel­be Per­sön­lich­keit mei­nen …«

      »Ha­ben Sie Mar­tin Gref­fin­gers letz­tes Buch nicht ge­le­sen?«

      »Hal­ten Sie et­was da­von?« er­kun­dig­te sich der Re­gie­rungs­rat.

      »Zwei­fel­los! Ich bin nicht mit al­lem ein­ver­stan­den. Aber es ist ein tüch­ti­ges und be­deu­ten­des Buch. Es wird sei­nen Weg schon ma­chen – in zwan­zig Jah­ren wird man mehr da­von re­den als heut. Die­ser Gref­fin­ger ist eine gan­ze, fes­te Per­sön­lich­keit. Ich woll­te, wir hät­ten mehr ih­res­glei­chen.«

      »Nun – das freut mich – das freut mich.« Der Re­gie­rungs­rat be­schloss, ge­le­gent­lich ein­mal in das Werk hin­ein­zu­se­hen. Er hielt es für rich­ti­ger, die Fra­ge, ob er es ken­ne, of­fen zu las­sen.

      »Ich den­ke mir, dass Gref­fin­ger heut Abend wie­der hier vor­spricht«, mein­te der Stu­dent, der den Pro­fes­sor auf den Vor­über­ge­hen­den auf­merk­sam ge­macht hat­te.

      »Wir wol­len doch un­se­re Frau Wir­tin fra­gen, ob er Nacht­quar­tier ge­nom­men hat«, rief der Pro­fes­sor leb­haft. »Es soll­te mich wirk­lich freu­en, wenn ich durch Sie Ge­le­gen­heit fän­de, den Mann per­sön­lich ken­nen zu ler­nen!«

      »Wir sind uns ziem­lich, fremd ge­wor­den«, be­merk­te der Re­gie­rungs­rat aus­wei­chend.

      Aga­the amü­sier­te sich heim­lich. Ihr Va­ter wur­de den Men­schen be­deu­tungs­voll, weil er ein Ver­wand­ter von Mar­tin war! Man er­bat sich von ihm die Freu­de, Mar­tin ken­nen zu ler­nen! Wer das je ge­dacht hät­te … Das war­me Ge­fühl für den Ju­gend­freund er­wach­te wie­der. Käme er doch!

      Der Nach­mit­tag wur­de ihr lang bei dem stil­len War­ten. Sie nahm ih­ren Hut, ein Stück­chen durchs Dorf zu ge­hen.

      Die Stu­den­ten stan­den jetzt vor dem Ho­tel bei­ein­an­der und un­ter­hiel­ten sich la­chend.

      »Köst­li­cher al­ter Kun­de«, hör­te Aga­the den Äl­tes­ten sa­gen, als sie vor­über­ging.

      Sie wuss­te, dass er da­mit ih­ren Va­ter mein­te – ih­ren Va­ter, der ihr trotz al­lem, wo­durch er sie ge­kränkt, als ein Mann er­schi­en, an den ein ab­fäl­li­ges Ur­teil sich über­haupt nicht her­an­wa­gen wür­de.

      Köst­li­cher al­ter Kun­de – sag­te der Stu­dent von ihm … Das Wort schnitt Aga­the ins Herz. Sie fand es roh. Doch der jun­ge Mann hat­te ihr vor­her kei­nen ro­hen Ein­druck ge­macht – er sah im Ge­gen­teil in­tel­li­gent und be­geis­tert aus.

      Trau­rig ging sie an ho­hen Stein­mau­ern ent­lang. Sie um­grenz­ten die Gär­ten der wohl­ha­ben­den schwei­zer Bür­ger, wel­che hier ihre Vil­len be­sa­ßen, und schlos­sen sie vor al­lem Frem­den ab. Di­cker, al­ter Epheu hing an ih­nen nie­der. So be­stand der Ort aus ei­nem weit­läu­fi­gen La­by­rinth en­ger Gän­ge. Nie­mals konn­te Aga­the sich zu­recht­fin­den und wuss­te sel­ten, in wel­chem Teil sie her­aus­kom­men wür­de.

      Am Ende der feuch­ten, grau­en Gas­se schim­mer­te bläu­lich der See.

      Aga­the ging schnell und im­mer schnel­ler, als flie­he sie vor et­was hin­ter ihr Lie­gen­dem, die­sem fer­nen blau­en Schein ent­ge­gen. Frei­lich wür­de es zu spät sein, ihn heut noch zu er­rei­chen, aber sie woll­te we­nigs­tens einen un­ge­hemm­ten Aus­blick ge­win­nen.

      Und sie konn­te nicht mehr trau­rig sein. Wenn sie heim kam, wür­de sie Mar­tin fin­den! Sie war ganz si­cher, dass sie ihn se­hen wür­de!

      Plötz­lich ließ sie den Ge­dan­ken an den See, wen­de­te sich um und lief ei­lig heim­wärts. Aber nun hat­te sie einen falschen Gang ein­ge­schla­gen, und es dau­er­te ziem­lich lan­ge, bis sie das Ho­tel er­reich­te.

      Als sie heim kam, sah sie am Ge­län­der der Ve­ran­da einen Herrn ne­ben der Kell­ne­rin ste­hen und über die ro­ten Nel­ken zu ihr hin­un­ter bli­cken.

      Sie er­kann­te Mar­tin gleich, ob­schon er vol­ler und äl­ter ge­wor­den war. Mit aus­ge­streck­ten Hän­den kam er ihr ent­ge­gen.

      »Aga­the! Das freut mich aber, Dich hier zu se­hen!«

      La­chend, be­wegt und er­hitzt stan­den sie vor­ein­an­der und blick­ten sich glück­lich an. Es war, als sei­en die Jah­re aus­ge­löscht und sie wie­der der be­geis­ter­te Schü­ler und der fri­sche Back­fisch, die un­ter der Som­mer­son­ne im ho­hen Gra­se la­gen und von Frei­heit und Men­schen­glück träum­ten.

      Mar­tin ließ Aga­thes Hän­de nicht aus den sei­nen.

      »Du hast Dich gar nicht ver­än­dert«, be­haup­te­te er kühn.

      »Ist es denn wirk­lich so lan­ge her, dass wir uns nicht ge­se­hen ha­ben? Un­glaub­lich!«

      Sie konn­ten nicht mehr nach­rech­nen, wie lan­ge es wohl war.

      »Seit ich Dir die ver­bo­te­nen Bü­cher brach­te? – Ach, war das ein Un­sinn! Du warst doch viel zu fest an­ge­ket­tet. Sag’ mal – bist Du denn jetzt al­lein hier?«

      »Nein – na­tür­lich mit mei­nem Va­ter«, ant­wor­te­te Aga­the er­staunt.

      »Ach so – na­tür­lich! Ich ver­gaß – jun­ge Da­men rei­sen ja nicht al­lein.«

      Er sah sie schalk­haft von der Sei­te an. Die Stel­le sei­ner

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