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Vom schwin­den­den Abend­licht wur­den sie in braun­vio­let­te Tin­ten ge­taucht und stan­den mit ih­ren ge­wal­ti­gen Li­ni­en ge­gen den süd­lich war­men blau­en Him­mel.

      Gott – war das schön! – Auf alle erns­ten, tie­fen Men­schen wirkt die große Na­tur be­ru­hi­gend, er­he­bend, hei­lend. Sol muss­te denn auch Aga­the be­ru­higt, er­ho­ben, ge­heilt wer­den. Es war das letz­te Mit­tel. Es muss­te hel­fen!

      War es um­sonst – dann – Ja dann? –

      Sie woll­te nicht dar­an den­ken, an die schreck­li­che Angst, die im­mer in ih­rer Nähe lau­er­te, be­reit, über sie her­zu­stür­zen …

      Nur die Näch­te …

      Durch die lan­ge Zeit des Wa­chens am Kran­ken­la­ger ih­rer Mut­ter hat­te sie das ru­hi­ge Schla­fen ver­lernt. Zwar nach den wei­ten Spa­zier­gän­gen mit Va­ter sank sie, trun­ken von der Ge­birgs­luft, über­mü­det in ihre Kis­sen und ver­lor so­fort das Be­wusst­sein. Doch nach kur­z­em fuhr sie mit jä­hem Schre­cken em­por – es war, als hät­te sie einen Schlag emp­fan­gen. – Et­was Furcht­ba­res war ge­sche­hen …! Sie konn­te sich nicht be­sin­nen, was es ge­we­sen … Der Schweiß rie­sel­te an ihr nie­der, das Herz klopf­te ihr … O Gott, was war es denn nur?

      Je­mand war im Zim­mer – dicht in ih­rer Nähe! – Es soll­te ihr et­was Bö­ses ge­sche­hen – sie fühl­te es deut­lich.

      Mit weit auf­ge­ris­se­nen Au­gen starr­te sie in die Dun­kel­heit.

      Sie muss­te sich ge­wal­tig zu­sam­men­neh­men, dass sie nicht laut auf­schrie in Furcht und Grau­en.

      Dann re­de­te sie sich Ver­nunft ein. Ihr Va­ter war ja ne­ben­an. Sie horch­te, es drang kein Laut zu ihr. Papa schlief ganz fried­lich.

      Die­be …? In dem frem­den Ho­tel. Es konn­te ja sein – es war so­gar wahr­schein­lich.

      Wie­der horch­te sie an­ge­strengt.

      Aber vo­ri­ge Nacht hat­te sie das­sel­be durch­ge­macht und die vo­ri­ge auch. Ein­bil­dung – al­les war nur Ein­bil­dung.

      Kaum leg­te sie sich auf ih­rem La­ger zu­recht – da war es auch schon wie­der … Das Frem­de – Geis­ter­haf­te – Un­be­greif­li­che … Was konn­te es nur sein?

      »O Gott, lie­ber, lie­ber Gott, hilf mir doch«, be­te­te sie schau­dernd und kroch mit dem Kopf un­ter die De­cke. »O Gott, lie­ber Gott, lass mich end­lich wie­der ein­schla­fen!«

      Aber kein Ge­dan­ke an Schla­fen. Und sie lag und lausch­te auf das har­te Plät­schern des Spring­brun­nens vor ih­rem Fens­ter.

      Er hat­te eine Spra­che – aber sie ver­stand sie nicht. Er sang einen Rhyth­mus – sie muss­te ihn doch end­lich her­aus­hö­ren … Ver­ge­bens. Im­mer das glei­che har­te Plät­schern. Wenn es doch ein­mal en­den woll­te – nur für eine Se­kun­de … Es war ihr, als läge sie dort im Brun­nen und das Was­ser plät­scher­te auf ihre Stirn – im­mer­fort – wie weh es tat.

      Heut Mit­tag – der Herr ihr ge­gen­über an der Ta­ble d’hôte … Son­der­bar sah er sie an … Wenn er ihr auf ei­nem ein­sa­men Spa­zier­we­ge be­geg­ne­te.

      Und der Schif­fer, der sie über­ge­fah­ren, hat­te sie auch mit dem Blick ver­folgt. Er war ei­gent­lich ein schö­ner Kerl …

      Mein Gott, mein Gott – was er­griff sie denn?

      War sie so tief ge­sun­ken, sich mit ei­nem Schif­fer­knecht zu be­schäf­ti­gen?

      Straf­te Gott sie für ihr Ab­fal­len vom Glau­ben, in­dem er sie der Ge­walt des Teu­fels über­ließ? Wenn es nun doch eine Höl­le gab? Ewi­ge Ver­damm­nis – ewi­ge … Ewi­ges Be­wusst­sein sei­ner Qual … Schon fühl­te sie ihre Schre­cken in die­ser Ver­las­sen­heit – die­sem Ekel an sich selbst.

      Adri­an … Adri­an Lutz … Ja, den al­lein hat­te sie ge­liebt. O du Ein­zi­ger, Schö­ner – Sü­ßer …

      Nein – es war ja gar nicht Adri­an, an den sie eben dach­te – es war Rai­ken­dorf. Und Rai­ken­dorf auch nicht … Mar­tin – Mar­tin Gref­fin­ger! Da­mals in Bor­nau hat­te er sie doch lieb ge­habt! Hät­te sie ihm den Kuss ge­ge­ben, um den er sie bat … Sich dann mit ihm ver­lobt! So vie­le Mäd­chen ver­lo­ben sich mit Schü­lern … Mar­tin hät­te sie mit sich hin­aus­ge­nom­men in sein frem­des, aben­teu­er­li­ches Le­ben … Sie hät­ten für eine große Sa­che ge­kämpft, und sie wä­ren selbst groß und frei und stark da­bei ge­wor­den. O ja – sie hät­te schon eine ganz tüch­ti­ge So­zia­lis­tin ab­ge­ge­ben!

      Wie konn­te sie nur von sei­ner war­men, schö­nen jun­gen Lie­be da­mals so un­ge­rührt blei­ben?

      Wenn Adri­an sie ver­führt hät­te – wie die Da­niel?

      O mein Gott!

      Sie rich­te­te sich auf und zün­de­te Licht an. Die end­lo­se Nacht war nicht zu er­tra­gen! Mit blo­ßen Fü­ßen lief sie zum Fens­ter, lehn­te sich hin­aus und at­me­te die fri­sche, düf­te­ge­tränk­te Ber­g­luft.

      Wie müde – wie müde …

      In der Mor­gen­däm­me­rung schlief sie zu­wei­len noch ein.

      Un­glück­li­cher­wei­se hat­te Papa die Lei­den­schaft der frü­hen Aus­flü­ge. So wur­de sie oft nach ei­ner hal­b­en Stun­de schon wie­der ge­weckt. Und sie wag­te ihm nicht zu sa­gen, dass sie schlecht schlief. Es wür­de ihm die Som­mer­fri­sche ver­dor­ben ha­ben.

      Der Be­ginn des Ta­ges war ja auch köst­lich. Aber um zehn Uhr be­fand sich das Mäd­chen schon in ei­nem Zu­stand von Ab­span­nung und ner­vö­ser Un­ru­he, der nur durch eine krampf­haf­te An­stren­gung al­ler Selbst­be­herr­schung ver­bor­gen wer­den konn­te.

      Es war auch so schwül. Früh brann­te und stach die Son­ne in das wei­te, schat­ten­lo­se, von den ho­hen Fel­sen­ge­bir­gen um­schlos­se­ne Tal. Abends ent­lu­den sich schwe­re Ge­wit­ter. Sie kühl­ten die Luft kaum. Nur ein feuch­ter Dampf quoll von den Mat­ten, aus den Obst­gär­ten, schweb­te über dem wil­den rau­schen­den Berg­was­ser, das den Ort durch­ström­te, und der war­me Dunst senk­te sich er­mat­tend auf die nach Er­qui­ckung schmach­ten­den Men­schen nie­der.

      Da­bei ver­ging dem Re­gie­rungs­rat die Lust, wei­te­re Par­ti­en zu un­ter­neh­men. Man saß auf der Ve­ran­da oder un­ter ei­ner Edel­kas­ta­nie des Ho­tel­gärt­chens – Aga­the mit ih­rer Hand­ar­beit, Papa mit ei­ner Zi­gar­re und der Zei­tung – so ziem­lich, wie man da­heim im Har­mo­nie­gar­ten auch ge­ses­sen hat­te.

      War das Ge­wit­ter schon ge­gen Mit­tag ein­ge­tre­ten, so schlen­der­te man um die Zeit des Son­nen­un­ter­gan­ges zum See hin­aus.

      Sie hat­ten eine Ge­richts­rats­fa­mi­lie mit ei­ner ält­li­chen Toch­ter zum Um­gang ge­fun­den – so blieb man hübsch in dem ge­wohn­ten Ge­lei­se der Un­ter­hal­tung.

      Aga­the frag­te sich zu­wei­len, warum sie ei­gent­lich nach der Schweiz ge­reist wa­ren.

      Sie sah die Fel­sen­ber­ge an in ih­rer stum­men, ge­wal­ti­gen Grö­ße – sie starr­te in das ei­lig brau­sen­de Ge­wäs­ser – sie be­trach­te­te die Kas­ta­ni­en und Nuss­bäu­me, die thau­fun­keln­den Far­ne – die Gra­na­ten in den Gär­ten – die gan­ze schon süd­lich sie an­mu­ten­de Ve­ge­ta­ti­on

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