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Fin­gern miss­han­del­te, konn­te einen ner­vös ma­chen – es zeig­te sich dar­in et­was Fried­lo­ses. Und auch in dem fort­wäh­ren­den Wech­sel des Aus­druckes auf dem be­weg­li­chen Ge­sicht. Aber das Mär­chen­prin­zen­pro­fil …

      Der Ma­ler und Heid­lings wur­den auf­ge­for­dert, zum Abend zu blei­ben. Bei Tisch ge­riet plötz­lich die Rede auf Hei­ra­ten.

      Wal­ter sag­te, vor der Ehe wis­se man über­haupt nicht, was Lie­be sei.

      Aga­the blick­te er­staunt zu ih­rem Bru­der hin­über, sei­ne Au­gen ruh­ten mit in­ni­gem Stolz auf Eu­ge­nie.

      »Der Trau­schein vom Stan­des­amt muss eine große Si­cher­heit ge­ben«, rief Lutz la­chend. Re­gie­rungs­rat Heid­ling zog die Stirn miss­bil­li­gend in Fal­ten.

      »Wie das kommt«, warf Lutz hin, »man sieht ein Mäd­chen so und so oft und hat sie doch nicht be­merkt – da hört man aus der Fer­ne ein Wort von ihr zu ei­nem an­de­ren – das trifft – ir­gend­wie – ir­gend­wo – man sieht sie ei­gent­lich in die­sem Au­gen­blick zum ers­ten Mal.«

      Aga­the saß ver­wirrt und ban­ge lä­chelnd ne­ben ihm. Wie son­der­bar – er konn­te sie doch nicht mei­nen? In al­lem, was er sag­te, ent­deck­te sie einen ge­hei­men Sinn, für sie al­lein be­rech­net.

      Ja – ganz ge­wiss – er wen­de­te sich am meis­ten zu ihr. Eu­ge­nie, wel­che die Män­ner sonst so sehr an­zog, schi­en ihn nicht zu in­ter­es­sie­ren.

      *

      Frau Heid­ling sag­te ih­rer Toch­ter ei­nes Abends sanft und scho­nend:

      »Lie­bes Kind – Du bist ein ver­stän­di­ges Mäd­chen – Papa hat mir ges­tern er­zählt: Herr von Lutz steht gar nicht in gu­tem Ruf, und Papa wünscht nicht, dass er in un­ser Haus kommt.«

      On­kel Gu­stav aber be­such­te Lutz in sei­nem Ate­lier und mach­te Aga­the eine aus­führ­li­che Be­schrei­bung von der sil­ber­blau­en Chai­se­longue, den Louis-quin­ze-Stüh­len, dem gan­zen In­te­rieur, das – ach wie lan­ge schon – Her­ber­ge und Hei­mat ih­rer lei­den­schaft­li­chen Träu­me war.

      Aga­the frag­te sich trot­zig, warum Adri­an Lutz schlim­mer sein soll­te als ihr Bru­der Wal­ter? Wenn die El­tern nur wüss­ten … si­cher­lich wür­den sie dann Adri­an nicht so un­ge­recht ver­ur­tei­len. Er war ih­nen nicht sym­pa­thisch – das war’s im Grun­de.

      Un­be­stimm­te Erin­ne­run­gen al­ter Volks­mär­chen, die aus tie­fen, ver­bor­ge­nen Quel­len ihre Fan­ta­sie tränk­ten, weil sie des klei­nen Mäd­chens ers­te Geis­tes­nah­rung ge­we­sen, re­de­ten ihr nun tröst­lich von den Prü­fun­gen zur Treue, zum Aus­har­ren, der der Kö­nig die Ge­lieb­te un­ter­wirft – durch bren­nen­des Feu­er und ste­chen­de Dor­nen muss sie wan­dern und durch tie­fe, dunkle Nacht – al­les muss sie ver­las­sen, was ihr lieb war – an der Hand der an­de­ren, der Fal­schen, tritt er ihr ent­ge­gen … Und am Schlus­se läu­ten doch die Hoch­zeits­glo­cken, und er hebt sie zu sich em­por – sie, die nicht an ihm ge­zwei­felt hat.

       Lass ad­ler­mu­tig Dei­ne Lie­be schwei­fen

       Bis dicht an die Un­mög­lich­keit hin­an.

       Kannst Du des Freun­des Tun nicht mehr be­grei­fen,

       So fängt der Freund­schaft from­mer Glau­be an.

      Das flüs­ter­te Aga­the sich zu mit der Nei­gung des jun­gen emp­fin­dungs­vol­len Men­schen für das Pa­thos, für die ho­hen, tö­nen­den Wor­te und die ho­hen, be­geis­te­rungs­trun­ke­nen Ge­füh­le.

      Sie lieb­te Lutz – und sie glaub­te an sei­ne Rein­heit wie an sei­ne Schön­heit, wie an ihre Lie­be – glaub­te blind, mit Fa­na­tis­mus – dem Mär­ty­rer gleich, der sei­nem Got­te Ju­bel­lie­der singt, wäh­rend die wil­den Tie­re sei­ne Glie­der zer­rei­ßen und er das Herz­blut zu des Herrn Ehre op­fern darf.

      XIV.

      Heid­lings hör­ten lan­ge nichts von Mar­tin Gref­fin­ger.

      Nach­dem der Re­gie­rungs­rat es durch hef­ti­ge Sze­nen und ein­dring­li­che Er­mah­nungs­brie­fe ver­sucht hat­te, ihn von sei­nen tö­rich­ten, ver­wor­re­nen Plä­nen ab­zu­hal­ten und er den vä­ter­li­chen War­nun­gen nur einen hart­nä­cki­gen Wi­der­stand ent­ge­gen­setz­te, ver­bot ihm der On­kel sein Haus. Man ließ ihn sei­ner Wege ge­hen, und die Ver­wandt­schaft küm­mer­te sich nicht mehr um ihn. Denn er war mün­dig, el­tern­los und be­saß ein klei­nes Ver­mö­gen, von dem er zur Not le­ben konn­te. Frei­lich war bei sei­nen un­glück­li­chen Grund­sät­zen und sei­ner Ver­spot­tung je­der Au­to­ri­tät nichts an­de­res an­zu­neh­men, als dass er sein Geld auf ir­gend eine un­sin­ni­ge Wei­se un­ter die Leu­te brin­gen und schließ­lich mit dem Bet­tel­stab reu­mü­tig bei der Fa­mi­lie wie­der an­klop­fen wer­de. Wal­ter und der Re­gie­rungs­rat spra­chen oft von die­ser Aus­sicht – mit Zorn, aber doch mit dem heim­li­chen Wunsch, den Tri­umph in nicht all­zu fer­ner Zeit zu er­le­ben.

      Nicht ein­mal sei­nen Dok­tor hat­te Mar­tin ge­macht. Jetzt re­di­gier­te er eine Zei­tung, von der Aga­the nur wuss­te, dass kei­ne ih­rer Be­kann­ten sie las, und je­des Mal, wenn je­mand ih­ren Na­men er­wähn­te, bra­chen alle in ein ver­ächt­li­ches La­chen aus. Sie muss­te also wohl nichts wert sein.

      Ein­mal kam ihr eine Num­mer in die Hand, man hat­te ihr in ei­nem La­den et­was hin­ein­ge­wi­ckelt. Es war schlech­tes Pa­pier, elen­der Druck – und da­bei hieß das Blatt so lä­cher­lich prah­le­risch: Die Fa­ckel. Aga­the las dar­in – der Ton schi­en ihr un­fein.

      Wie scha­de, dass Mar­tin so her­un­ter­ge­kom­men war. Sie hat­te großes Mit­leid mit ihm.

      Er war ge­wiss sehr ver­bit­tert und un­glück­lich. Sie hät­te gern ir­gend wel­chen Ein­fluss auf ihn ge­übt, aber wie soll­te sie das an­stel­len? Trotz­dem er jetzt in M. wohn­te, war er seit Eu­ge­nies Hoch­zeit gleich­sam in eine an­de­re, un­ter­ir­di­sche Welt hin­ab­ge­sun­ken, zu der Aga­the nicht ein­mal den Zu­gang ge­fun­den ha­ben wür­de. Er war der ein­zi­ge, mit dem sich ihre Ge­dan­ken au­ßer mit Herrn von Lutz zu­wei­len be­schäf­tig­ten. Sie konn­te ihn nicht ver­dam­men – was er auch tat, sie fühl­te ihm den Weg nach, der dort­hin führ­te, wo es dun­kel und schau­rig war.

      Als sie ihn ein­mal auf der Stra­ße traf und er mit ei­li­gem Gruß an ihr vor­über woll­te, stand sie still, gab ihm die Hand und frag­te schüch­tern, wie es ihm gin­ge.

      Ein freund­li­cher Schein kam in sein düs­te­res, hart ge­wor­de­nes Ant­litz. Er schüt­tel­te ihr sehr herz­lich die Hand und sah sich noch ein­mal nach ihr um. Et­was von der al­ten Kin­der­freund­schaft für ihn leb­te plötz­lich in ihr auf. Sie hü­te­te die flüch­ti­ge Be­geg­nung als ihr Ge­heim­nis.

      Papa und Mama wa­ren ver­reist, sie woll­ten das Os­ter­fest in Bor­nau zu­brin­gen. Aga­the soll­te erst die Wä­sche fer­tig be­sor­gen und ih­nen dann fol­gen. Es hat­te so viel ge­reg­net, dass die Sa­chen nicht zur rech­ten Zeit tro­cken ge­wor­den wa­ren, und Papa woll­te sich von sei­ner Ur­laubs­zeit nicht noch ein paar Tage rau­ben las­sen. Der Arzt hat­te die Er­ho­lung drin­gend für ihn ge­for­dert.

      Wa­rum muss­te er nur ge­ra­de jetzt so an­ge­grif­fen sein? Gera­de jetzt M. ver­las­sen … es wur­de Aga­the furcht­bar schwer. Zu­wei­len sag­te sie sich: die Rei­se konn­te

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