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wie wir. Das muss sich fortsetzen. Deshalb darf die Tat eines Einzelnen, der wahrscheinlich sogar in seinem Geist verwirrt ist, nicht dazu führen, dass wir uns umbringen. Nein, niemals und nein.“

      Daniels Rede hatte großen Eindruck auf die Gemeinde gemacht. Nun schauten fast alle auf Tamrud. Er war zwar zurückhaltender als der Eiferer Selass, doch schon wegen seines höheren Alters sehr geachtet.

      „Lukas hat richtig gesprochen“, sagte nun Tamrud mit erhaben klingender Stimme. „Er hat nicht aus sich selbst geredet, sondern die Worte wiederholt, die der ‚Alte vom Berge‘ an uns gerichtet hat. Der große Prophet hat mich gelehrt und zum Priester geweiht. Jeder fromme Mann in unserem Land kennt und verehrt ihn. Nie kann ich zulassen, dass seine Lehren nicht befolgt werden.“

      Gerne wäre Daniel noch eine böse Bemerkung über Selass losgeworden, doch er verkniff sie sich aus Rücksicht auf Tamrud. Das war auch gut so. Selass ging zwar aus diesem Streit als Verlierer hervor, doch hatte er in der Gemeinde immer noch viele Anhänger. In deren Augen war es auch keine Schande, sich dem „Alten vom Berge“ unterordnen zu müssen. Schließlich hatte Selass, im Gegensatz zu Tamrud, nie das Glück gehabt, in dessen Schule aufgenommen zu werden. Wie immer die Gemeindemitglieder dachten, in Wirklichkeit waren sie aber auch froh, so gut aus der heiklen Angelegenheit entkommen zu sein. In den folgenden Tagen ging Daniel den beiden Priestern so weit wie möglich aus dem Weg. Auch sie hatten offenbar keinen Gesprächsbedarf. Stattdessen unterhielt er sich mit den Religionsschülern und ließ sich immer wieder beim Gebet beobachten.

      Er kümmerte sich um die Reinigung der Mauern, was seine Aufgabe war. Das war ein Grund für ihn, häufiger in die Stadt zu gehen. Mit normalem Wasser konnten die Graffiti nicht abgewaschen werden. Er musste nach besonderen Lösungen suchen und ließ sich dabei beraten.

      Während einer Pause setzte er sich auf eine Bank auf dem zentralen Marktplatz von Jana. Er dachte nach, wie es weitergehen sollte. Sich den deutschen Behörden zu stellen, kam für ihn nicht in Frage. In Betanien bleiben wollte er auch nicht. Einige Religionsschüler hatten ihm versichert, dass es bald zu einem Bürgerkrieg kommen würde. Die Religionsgemeinschaften und Stämme des Landes waren heillos zerstritten. Daniel fasste den Entschluss, zum Uhrmacher zu gehen und ihm einen Brief an Alexander zu übergeben. Der stand bei Lore im Wort. „Ich will raus hier, und zwar so schnell wie möglich“, würde am Ende des Briefes stehen.

      Plötzlich fühlte er wieder einmal eine Hand auf seiner Schulter. Er schaute auf und sah in das freundliche Gesicht eines älteren Mannes. „Erschrecken Sie nicht“, sagte der. „Ich habe Sie schon länger beobachtet.“

      „Darf ich fragen, was Sie von mir wollen?“, fragte Daniel misstrauisch. Auch der Zielfahnder hatte freundlich dreingeschaut. Der Mann setzte sich zu ihm auf die Bank. „Junger Freund, ich weiß nicht, woher Sie kommen. Doch ich sehe Ihnen an, dass Sie Arbeit suchen. Hier in unserem Land werden Sie nicht glücklich werden. Die Arbeitslosigkeit ist hoch und es ist zu befürchten, dass schon bald ein Bürgerkrieg ausbricht. Auf der gegenüberliegenden Seite des Meeres liegt das Fürstentum Hegedon. Es ist klein, aber reich an Erdölvorkommen. Dort werden dringend Arbeitskräfte gesucht. Der Großvater des jetzigen Fürsten war ein leidenschaftlicher Kunstsammler und engagierter Künstlerfreund. In einem Anfall von Wohlwollen hat er angeordnet, dass alle Künstler seines Landes, ob Maler, Bildhauer, Schriftsteller oder Musiker, gleich welchen Alters, eine monatliche Rente erhalten sollen. Die Höhe dieser Rente bemisst sich am Gehalt eines Schuldirektors. Die fürstliche Anordnung ist in die Verfassung des Landes aufgenommen worden, und niemand traut sich, sie zu ändern. Eine starke Künstlergewerkschaft wacht darüber, dass sie genauestens eingehalten wird. Kaum, dass das Gesetz in Kraft getreten war, haben 80 Prozent der Bevölkerung behauptet, Künstler zu sein und die versprochene Rente für sich beantragt. Das hat die Möglichkeiten selbst dieses reichen Landes überstiegen. Deshalb wurde im Gesetz festgelegt, dass nur der als Künstler anerkannt wird, der etwas völlig Neues schafft. Es darf kein Plagiat, kein Gebrauchsgegenstand und nicht zu irgendetwas nützlich sein. Ein einziges Kunstwerk reicht. Wer einmal in die Künstlergewerkschaft aufgenommen wurde, behält seinen Status bis an sein Lebensende.“

      „Wer bohrt dann noch nach Öl?“, fragte Daniel erstaunt.

      „Das genau ist das Problem in Hegedon. Die Ingenieure bekommen so hohe Gehälter, dass sie nicht in Versuchung geraten, etwas Künstlerisches zu tun. Im Ausland werden ständig geeignete Arbeitskräfte angeworben. Sie werden sehr gut bezahlt, müssen sich aber, bevor sie ins Land dürfen, schriftlich verpflichten, sich jeder künstlerischen Betätigung zu enthalten.“

      „Dazu will ich mich gerne verpflichten. Außer einem Liebesgedicht an eine 12-jährige Mitschülerin habe ich in meinem Leben nie ein Kunstwerk geschaffen. Gelernt habe ich den Kaufmannsberuf. Darin würde ich auch gerne wieder arbeiten.“ „Gesucht werden vor allem häusliche Bedienstete, Köche, Kellner, Kraftfahrer, Kinderbetreuer und Krankenpfleger. Die Gehälter lohnen sich, sie sind ungewöhnlich hoch.“ Der Mann legte erneut seine Hand auf Daniels Schulter und ging dazu über, ihn zu duzen. Er fragte Daniel nach dessen Namen und stellte sich selbst mit seinem Vornamen „Alwedo“ vor. „Ich will dir ehrlich sagen, was ich persönlich davon habe, wenn es mir gelingt, dich nach Hegedon zu vermitteln. Von der Provision können meine Familie und ich hier in Betanien ein ganzes Jahr lang leben.“

      „Es gibt ein Problem“, erwiderte Daniel. „Ich bin aus Deutschland geflohen, weil dort nach mir gefahndet wird. Ich schwöre Stein und Bein, dass ich nichts ausgefressen habe, doch die Verdachtsmomente gegen mich waren erdrückend. Da habe ich die Nerven verloren und bin getürmt.“

      „Mit etwas Ähnlichem habe ich gerechnet“, sagte der Mann, „darauf bin ich eingestellt. Überlass es mir, dich über die Grenze zu bringen.“

      „Ich will kein Versteckspiel mehr treiben müssen, in dem ich mich nur immer mehr verheddere. In Hegedon will ich mit meinem richtigen Namen und meiner wahren Identität leben können. Nur ausgeliefert werden will ich nicht.“

      „Mach dir darüber keine Sorgen, junger Mann. Das können sie sich dort gar nicht leisten.“

      Sie verabredeten sich für den folgenden Morgen. Daniel ging zurück in seine Klosterzelle, um seine wenigen Sachen zu packen. Er fand einen geöffneten Brief vor, in dem ihn die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland aufforderte, zu einem von ihr festgelegten Termin vor ihrer Rechtsabteilung zu erscheinen. Daniel steckte den Brief in sein Jackett. Er überlegte, ob er für Tamrud einen Abschiedsbrief hinterlassen sollte. Doch kam er zum Ergebnis, dass es besser wäre, das bleiben zu lassen. Würde irgendetwas mit seiner Flucht schiefgehen, dann hätte er für sein Verschwinden keine Ausrede mehr gehabt. Die Erfahrungen der vergangenen Monate hatten Daniel sehr vorsichtig werden lassen. Schlafen konnte er nicht. Zu früher Stunde verließ er das Kloster und machte sich auf zum Treffpunkt, den er mit dem Berufsvermittler vereinbart hatte.

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