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ihn daher, „sich Gedanken um die Prävention zu machen: Wie kann verhindert werden, dass so etwas wieder passiert?“ Daran müssten Eltern, Schulen und auch die Medien arbeiten.

      Mit einem erstickten Aufschrei reagiert Stefanies Mutter Martina auf die Feststellung des Vorsitzenden Richters, dass man die Angeklagten „ohne Zweifel zu lebenslanger Haft“ verurteilt hätte, wenn sie bereits 21 Jahre alt gewesen wären.

      „Das Urteil ist eine Veralberung des Opfers“, sagt Martina Dom nach Prozessende. „Die Mehrheit der Bevölkerung bei uns in Güsen ist für lebenslange Haft gewesen. Ich hätte wenigstens eine Sicherungsverwahrung erwartet, damit so etwas nie wieder passieren kann.“ (Sicherungsverwahrung ist allerdings im Jugendstrafrecht nicht vorgesehen.) Die gezeigte Reue der Verurteilten nennt sie „eine reife schauspielerische Leistung“.

      Drei Jahre später spricht das Landgericht Stendal das letzte Urteil im Mordfall Stefanie. Die Tante des Mörders Sandro Penn, Corinna Vasal, wird der Beihilfe zum Mord und zur Vergewaltigung schuldig gesprochen. Die Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monate wird zur Bewährung ausgesetzt.

       Zwischen Filmriss und Halbschlaf

      „Erst morgens, wenn ich aufgestanden bin, habe ich gesehen, was ich am Vortag getrunken habe.“ Um die 15 Bier am Tag sollen es nach vorsichtigen Schätzungen gewesen sein. Und das exzessive Saufen führte dazu, dass Frank Dall* nur zwischen Filmriss und Halbschlaf taumelte. Ab 13. September 2000 muss er sich vorm Magdeburger Landgericht wegen Totschlags verantworten.

      Viel ist es nicht, was der 35-Jährige von jenem Morgen nach der Tat in Halberstadt weiß. Selbst ob es der 5. oder 6. Juli 1998 war, als er seinen Fußballkumpel Peter Herr* umgebracht hat, ist vom Alkohol weggeschwemmt.

      Sicher hingegen ist, dass Frank Dall im Gästezimmer der Wohnung von Herr aufwachte. Dort übernachtete er immer, wenn er es nicht mehr bis ins eigene Bett schaffte. Als er in die Stube ging, sah er dort seinen Bekannten neben der Tür liegen. Der Kopf war blutig und auch unter dem Körper hatte sich eine rote Lache gebildet. „Irgendwas ist passiert“, quälten sich die Gedanken durch das benebelte Gehirn.

      Der 8-Klassen-Schüler setzte sich neben den Toten aufs Sofa und versucht die Erinnerung durch ein paar Bier aufzuhellen. Nichts. Dasselbe wiederholt sich im Gästezimmer: trinken, grübeln. Nichts.

      Dann das „Ritual“, wie es der Psychiater Andreas Marneros nennt: Frank Dall stellte sich vor den Spiegel und schaute an sich herab, ob er blutbeschmiert ist. Das habe er jeden Morgen gemacht, um sicher zu sein, dass in der Nacht nichts passiert ist.

      Ob er ein Tischtuch über den Toten deckte, ob er zuvor dem Toten die Geldbörse klaute und am 7. September mit der EC-Karte, deren PIN er kennt, 850 Mark am Automaten abhob, kann er vor der Magdeburger Schwurgerichtskammer nicht sagen.

      Diese Dinge, die er nach seiner Festnahme im polizeilichen Vernehmungsprotokoll mit seiner Unterschrift bestätigt hatte, habe er zugegeben, weil doch nur er und das Opfer in der Wohnung gewesen sind. „Es kann ja nur so gewesen sein“, sagt er.

      Wohnungsinhaber Peter Herr war mit Tritten traktiert und mit einem zehn bis zwölf Zentimeter langem Messer neunmal kräftig in den Rücken gestochen worden. Er war verblutet.

      Damit die Tat länger geheim bleibt, habe er jeden Tag den Briefkasten des Toten geleert. So sollte sich niemand Gedanken über einen überquellenden Postbehälter machen.

      Das Verbrechen blieb wochenlang unentdeckt. Erst am 4. November 1998 verhaftete die Polizei Frank Dall. Ab Anfang 1999 wurde er zeitweilig im Maßregelvollzug Uchtspringe untergebracht.

      Das Leben des Hilfsschlosser dreht sich seit seinem 16. Lebensjahr – wie er sagt – mehr oder weniger um Alkohol. in den letzten Jahren sei es so schlimm gewesen, dass er morgens gleich mit dem Trinken anfangen musste, um überhaupt etwas essen zu können. Immer öfter habe er gar nicht mehr gewusst, wo er ist. So sei er einmal in Hamburg zu sich gekommen. „Ich habe nicht gewusst, was ich da soll und wie ich da hingekommen bin“, sagt der Alkoholiker.

      Die Liste seiner Straftaten ist stattlich. Immer ist der Suff im Spiel. Mit 18 Jahren Diebstähle. Verurteilung. Die Reststrafe von vier Monaten zur Bewährung ausgesetzt. Widerruf, weil Frank Dall gegen die so genannte Arbeitsplatzbindung verstößt.

      Am 28. März 1988 tötete der damals 23-Jährige bereits einen Menschen. Er wollte bei einem Bekannten in der Magdeburger Brecht-Straße einen Fernseher reparieren. Dabei kam es zum Streit. Der betrunkene Dall schlug den Freund. Der fiel mit dem Kopf gegen eine Kante. Obwohl sich sein Kumpel nicht mehr wehren konnte, schlug er mit dem Hammer wuchtig gegen den Kopf des Liegenden. Dann holte er ein Messer und stach sechsmal in Brust und Bauch des Mannes. Selbst für den Laien sind Parallelen zum aktuellen Fall augenfällig.

      Das Magdeburger Bezirksgericht erkannte am 3. Juli 1989 auf Mord und verurteilte den Täter zu einer Haftstrafe von 15 Jahren. Im Zuge der Wende wurde das Urteil überprüft. Das Landgericht Halle setzte den Mörder am 27. November 1995 auf freien Fuß. Der Rest der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.

      „Im Brandenburger Knast und später in Naumburg hat es genug zu trinken gegeben“, sagt der Angeklagte am 13. September. „Deshalb habe ich auch keine Entzugserscheinungen gekriegt.“ Beim Entlassungsgespräch habe sich niemand darum gekümmert, ob er alkoholkrank ist.

      Noch unter Bewährung soll Dall in einer Halberstädter Wohnung mit der Schere auf ein Rentnerehepaar eingestochen und mit neun bzw. vier Stichen schwer verletzt haben. Daran kann sich der Angeklagte jedoch gar nicht erinnern. Weder an die Tat, noch die Opfer je gekannt oder gesehen zu haben.

      Lediglich ein halbverwischter Brief, den die Kripo bei der Haussuchung aus dem Klo fischte, gibt Aufschluss darüber, in welcher Beziehung die drei standen. In dem Schreiben, das die Vorsitzende Richterin Claudia Methling verliest, antwortet Dall auf eine Anzeige der Rentner, die einen Sex-Partner für Sadomaso-Spiele suchten. Er beschreibt darin seine Qualitäten und Erfahrungen in einer Deutlichkeit, die nichts zu wünschen übrig lässt.

      Bei dem Angriff auf das Ehepaar sei es jedoch nicht um Sex gegangen, sondern um „Geld, Geld, Geld“, wie Dall laut Anklage gerufen haben soll.

      Am 5. Oktober 2000 verurteilt die Schwurgerichtskammer den 35-Jährigen wegen Totschlags zu einer Gefängnisstrafe von acht Jahren. Gleichzeitig ordnete das Gericht die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor für neun Jahre Gefängnis plädiert. Die Verteidigung hatte sich für eine Strafe von unter siebeneinhalb Jahren ausgesprochen.

      Für die Strafkammer ist erwiesen, dass der gebürtige Magdeburger zwischen dem 5. und 7. Juli 1998 seinen Arbeitskollegen und Fußballkumpel Peter Herr ermordet hat.

      Wie die Vorsitzende Richterin, Claudia Methling, erklärt, verblutete das Opfer, nachdem ihm Frank D. neun Messerstiche in den Rücken und eine Vielzahl von Fußtritten versetzt hatte. Wie es zu dem schrecklichen Verbrechen gekommen sei und was sich im Einzelnen an einem nicht genau zu benennenden Abend zwischen beiden Männern abgespielt hat, konnte das Gericht nicht bis ins Letzte ergründen. Der Angeklagte habe zwar gestanden, konnte sich jedoch auf Grund seines hohen Alkoholspiegels an viele Details nicht erinnern.

      In der Urteilsbegründung erklärte Methling, warum sich das Gericht nicht für die gesetzliche Höchststrafe von 15 Jahren entschieden hat: „Weil Dall an schweren Persönlichkeitsstörungen sowie Wahnvorstellungen leidet und seine Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit erheblich gemindert war.“

      Eine längerfristige stationäre psychiatrische Behandlung sei erforderlich, da der Angeklagte laut Gutachter „in Kombination mit Alkohol zum Wiederholungstäter“ werden könnte.

      Die Staatsanwaltschaft hatte Dall zu Beginn des siebentägigen Prozesses auch eines versuchten Totschlags an einem Rentnerehepaar angeklagt. Von diesem Vorwurf spricht ihn das Gericht wegen Mangels an Beweisen frei.

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