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Ecke. Will strahlte den verdutzten Kleinheinz an. „Hallo Herr Kommissar. Was machen Sie denn hier?“

      „Ich führe gerade eine Vernehmung durch. Und was machen, bitte schön, Sie hier?“ Plötzlich ertönte auch noch Gesang zu dem Akkordeon. Kleinheinz bekam auf der Stelle Kopfschmerzen. Er brüllte noch lauter: „Mach doch mal jemand das Radio leiser.“

      „Das ist kein Radio“, sagte Will ruhig, „das ist Charlie van der Valk.“

      „Wer?“

      „Sagen Sie bloß, Sie kennen der Charlie van der Valk nicht?“

      „Wer zum Teufel soll das sein?“

      Jetzt meldete sich Josef zu Wort. Seine Stimme klang belehrend, als er sagte: „Charlie van der Valk. Der Mann mit dem Akkordeon. Der berühmte holländische Schlagerstar. Da müssen Sie doch mal was von gehört haben. Der Tulpenkavalier.“

      Kleinheinz verstand gar nichts mehr. Die Akkor deontöne hämmerten sich erbarmungslos in sein Hirn.

      Will rief durch den Saal: „Herr van der Valk, kommen Sie doch mal eben.“

      Mitten im Lied brach die Musik ab. Kleinheinz entspannte sich. Im nächsten Augenblick tauchte ein groß gewachsener, schlanker Mann mit dünnem, grauem Haar auf, der ein Akkordeon umgeschnallt hatte. Der Kommissar schätzte ihn auf Mitte bis Ende 60.

      „Das ist der große Charlie van der Valk“, stellte Will den Mann mit Pathos in der Stimme vor. „Der hatte in den 70er Jahren viele Hits: ,Walzer ins Glück‘, ,Du bist die eine‘ oder ,Akkordeon der Liebe‘. Der gibt einmal im Monat ein Umsonst-Konzert hier im Altenheim. Der Josef und ich sind hier, für mit dem zu verhandeln wegen ein Auftritt auf dem Feuerwehrfest nächste Woche. Aber ich denk, da werden wir uns schon einig, oder Herr van der Valk? Ein bisschen was am Preis tun Sie noch, oder?“ Mit dem letzten Satz wendete sich Will in seiner plump vertraulichen Art direkt an den Musiker. Der nickte sparsam, machte aber insgesamt ein freundliches Gesicht.

      Kleinheinz konnte das alles nicht fassen. Resigniert fragte er: „Und warum ,Der Tulpenkavalier‘?“

      Hastenraths Will spielte den Empörten. „Aber das gibt es doch nicht, Herr Kommissar. Haben Sie denn die letzten 30 Jahre in ein Kellerverlies verbracht? Der Name bezieht sich auf dem sein Riesenhit, mit dem der damals hier in der Region weltberühmt geworden ist: ,Die Königin der Tulpen‘!“

      Kleinheinz war mittlerweile zu schwach, um zu antworten. Sein Gesicht verzog sich, als hätte er in eine Zitrone gebissen, denn ohne Vorwarnung begann Will nun zu allem Überfluss mit seiner durchdringenden Bassstimme zu singen: „Die Königin der Tulpen – die bist du!“ Der Kommissar sah sich hilflos um, verzweifelt auf der Suche nach jemandem, der mit einer versteckten Kamera um die Ecke kommt, um die bizarre Situation aufzuklären. Doch das Gegenteil war der Fall. Unmittelbar nachdem Will angefangen hatte zu singen, stimmte auch Josef Jackels schmetternd mit ein.

      Charlie van der Valk setzte zum ersten Mal, seit er dabeistand, ein breites Lächeln auf, nahm sein Akkordeon hoch und stieg auf den nächsten Takt ein. Sekunden später begann der ganze Saal, in dem sich mittlerweile bestimmt 70 Bewohner befanden, lauthals mitzusingen:

      Erst Rendezvous – dann Schubidu

      Doch eines sollst du wissen immerzu

      Die Königin der Tulpen – die bist du!

       8

      Montag, 13. Juli, 19.13 Uhr

      Bernd Bommer hatte den Ball in vollem Lauf aus der Luft angenommen. Er führte ihn so eng am Fuß, als würde er daran festkleben. Mit einem eleganten Schlenker ließ er den ersten Gegner aussteigen. Dann ein Übersteiger, gefolgt von einer lässigen Rechts-links-Kombination, und der nächste Gegner rutschte ins Leere. Jetzt hatte er nur noch zwei Verteidiger vor sich, die ihm frontal entgegenkamen, um ihn in die Zange zu nehmen. Bommer wartete, dann legte er sich den Ball auf die Hacke und katapultierte ihn von hinten über sich hinweg, um ihn hinter den beiden verdutzten Verteidigern wieder aufzu nehmen. Jetzt gab es nur noch ihn und den Torwart. Er lief auf ihn zu und sah die Angst in dessen Augen. Noch drei Meter, dann würde er abziehen, noch zwei Meter, noch einen. Er holte aus – und plötzlich flog von der Seite ein gestrecktes Bein wie ein Dumdumgeschoss gegen sein rechtes Knie. Das Knie verdrehte sich, Bommer wirbelte herum und für endlose Sekunden, in denen er sich in der Luft zu befinden schien, wusste er nicht mehr, wo oben und unten war. Dann schlug er hart mit dem Hinterkopf auf dem grobkörnigen Aschenplatz auf. Wie durch einen Nebel sah er nur noch aus der seitlichen Froschperspektive Trainer Karl-Heinz Klosterbach wild gestikulierend mit seiner Trillerpfeife auf den Platz laufen. Dann verlor er das Bewusstsein.

      Er wurde wieder wach durch einen Schwall Wasser, der ihm aus einem Eimer frontal ins Gesicht geschüttet worden war. Er hatte keine Ahnung, wie lange er weg gewesen war. Ein paar Minuten mussten es gewesen sein, denn er sah, dass Klosterbach mit hochrotem Kopf auf Richard Borowka einredete. Der schrie nicht weniger erregt zurück. Die ganze Mannschaft stand im Halbkreis um die beiden Streithähne herum. Dann erschien auf einmal das Gesicht von Fredi Jaspers direkt vor Bommers Nase. Er sah ihm direkt in die Augen. „Hallo Bernie, da bist du ja wieder.“ Fredi stand auf. Er hielt den leeren Eimer noch in der Hand. Er rief zu den anderen hinüber: „Herr Klosterbach. Der Bernd ist wieder da.“ Klosterbach und Borowka hörten auf zu streiten. Der Trainer kam mit seinen breiten O-Beinen auf Bernie zu. So langsam nahm dessen Wahrnehmung wieder Konturen an. Er wollte aufstehen, doch ein stechender Schmerz durchzuckte ihn. Scheiße, mein Knie, dachte er. Als er danach tastete, spürte er eine tennisballgroße Beule oberhalb vom Schienbein. Er setzte sich benommen auf.

      Klosterbach kniete sich neben ihn. „Hallo Bernie. Schön, dass du wieder wach bist. Bleib mal liegen. Wir haben der Doktor Frentzen angerufen. Der hat gesagt, der kommt gleich raus und macht dir eine Zypresse.“

      „Kompresse.“

      „Was?“

      „Egal. Was ist überhaupt passiert?“

      Klosterbach sah kopfschüttelnd zu Borowka auf, der sich neben ihm aufgebaut hatte. „Unser Richard ist etwas übermotiviert zur Sache gegangen.“

      Borowka hob entschuldigend die Arme. „Spielen wir jetzt Fußball oder Mau-Mau?“

      Klosterbach stand auf und sah ihm direkt in die Augen. Zornig funkelte er ihn an. „Richard! Es gibt ein Unterschied zwischen Verteidigen und vorsätzliche Körperverletzung. Auch wenn beides mit ,F‘ anfängt.“

      Bommer betrachtete sein wild pochendes Knie. Jetzt verstand er und wurde auf der Stelle wütend. Vom Boden aus brüllte er Borowka an: „Sag mal, hast du sie noch alle? Das ist doch nur ein Trainingsspiel.“

      Borowka trat einen Schritt nach vorne. „Was denn? Ist hier Zwergenaufstand, oder was? Hat der Spacko jetzt auch schon was zu melden? Der Typ ist gerade mal seit zwei Monate dabei und schon fangt ihr alle an zu heulen, wenn der mal in ein Zweikampf umfällt.“

      Bommer machte mit der Hand eine Scheibenwischerbewegung und schüttelte den Kopf. „Zweikampf?! Ich glaub, ich spinne.“

      Borowka fuhr ihn an: „Halt die Fresse, du Vollhorst. Sonst gibt es hier gleich Fratzengeballer.“

      Klosterbach packte ihn hart am Arm. „Jetzt reicht’s, Richard. Beruhig dich mal. Ich würde sagen, du kannst duschen gehen. Und am Mittwoch bleibst du erst mal zu Hause. Vielleicht kühlst du dich dann wieder was ab.“

      Borowka war wie vor den Kopf geschlagen. „Ist das dein Ernst?“

      Fredi machte einen Schritt auf ihn zu und verschränkte die Arme vor der Brust. Er sah ihn vorwurfsvoll an. „Der Trainer hat recht. Das war Scheiße, was du eben gemacht hast.“

      „Ich glaub’s nicht, Fredi. Jetzt fällst du mir auch noch im Rücken.“ Wütend zog er sich seine Kapitänsbinde vom Arm und warf sie den anderen Mitspielern vor die Füße. „Macht euren Scheiß doch alleine. Und du“, er zeigte mit dem Finger auf Bommer, der immer noch auf dem Boden saß und sein Knie rieb, „du musst mal schwer aufpassen,

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