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wegen. Ich sag nur: Woody Woodpecker.“

      Borowka ärgerte sich. Während er angestrengt nachdachte, versuchte er, die Musik auszublenden, die aus der Disko herüberwehte. Eins konnte er nämlich noch schlechter als über Gefühle reden: verlieren. „Ich hab’s: Daffy Duck.“ Er klatschte vor Freude in die Hände. Jetzt war er sich sicher, dass Fredi nicht mehr reagieren konnte. Das Comic-Universum war komplett abgegrast.

      Doch dann zeigte Fredi seine ganze Klasse. Während er genüsslich eine Pommes in den Mund schob, holte er zum vernichtenden Schlag aus: „Schweinchen Schlau!“

      Borowka war sprachlos. Er wollte gerade aufgeben, als die Tür zum Bistro aufgerissen wurde. Tonne und Spargel, zwei der Kumpels vom Fußball, mit denen sie hierhergekommen waren, stürmten herein und bauten sich vor ihrem Tisch auf. Völlig außer Atem stieß Tonne hervor: „Hier seid ihr! Ihr müsst sofort kommen. Die Uetterather sind auf Ärger aus. Die haben eben der Udo mit volle Absicht angerempelt. Wir wollen denen jetzt mal der Scheitel gradeziehen. Fraggle, Matte, Kanister und der kleine Bruder von Manni Mertens sind auch mit dabei. Wir treffen uns in einer Minute vorm Hip-Hop-Zelt.“

      „Sofort“, sagte Borowka, „aber zuerst müsst ihr mir noch gegen der Fredi helfen. Ich brauche noch ein Comic-Held, dem sein Vor- und Nachname mit derselbe Buchstabe anfängt. Aber nix mehr von Micky Maus, Fix und Foxi oder Bugs Bunny. Die haben wir alle durch.“ „Das ist doch einfach“, sagte Spargel, ohne zu zögern. „Hab ich letztens noch auf DVD gesehen.“ Fredi und Borowka sahen ihn gespannt an. Spargel genoss die Aufmerksamkeit und sagte siegessicher: „Bernhard und Bianca.“

      Freitag, 9. September 2011, 11.38 Uhr

      Kommissar Kleinheinz hatte die Kirche vor allen anderen verlassen, um sich auf dem Friedhof in der Nähe der Grabstätte an einer Stelle zu postieren, von der er einen guten Überblick über alles hatte. Auch wenn die Mordtheorie aller Wahrscheinlichkeit nach nur ein Hirngespinst war, so konnte es nicht schaden, die Augen offen zu halten. Gerade Beerdigungen eigneten sich oft für interessante Beobachtungen. Er wäre allerdings ohnehin gekommen, schließlich hatte Fredi Jaspers ihn sogar persönlich eingeladen, inklusive anschließendem Beerdigungskaffee in der Gaststätte von Harry Aretz. Zeit hatte Kleinheinz mehr, als ihm lieb war, aber das musste er ja keinem auf die Nase binden. Auch wenn es ihm ein wenig unangenehm war, dass er Will und Marlene gegenüber nicht ganz aufrichtig gewesen war. Der Kommissar befand sich nämlich keineswegs in einem freiwilligen Urlaub, sondern war von seinem Vorgesetzten kaltgestellt worden. Aufgrund der negativen Prognose des Polizeiarztes war Kleinheinz bis auf Weiteres krankgeschrieben. Dabei war er sich sicher, dass er längst wiederhergestellt war, von kleineren Panikattacken mal abgesehen. Immerhin hatte er mit dem Polizeiarzt, der früher sein Badminton-Partner gewesen war, vereinbart, dass der ihn nur aus medizinischen Gründen, nicht aber aus psychologischen Gründen krankschrieb. Andernfalls hätte er nämlich seine Dienstwaffe abgeben müssen.

      Wie in alten Tagen hatte Kleinheinz seinen Beobachtungsposten bezogen. Er lehnte an einer mächtigen Trauerweide und genoss die wärmenden Sonnenstrahlen auf seiner Haut. Während er auf das Ende der Messe wartete, ließ er den bisherigen Verlauf des Vormittags noch einmal vor seinem geistigen Auge Revue passieren. Die Messe selbst war relativ unspektakulär gewesen, auch wenn die Kirche zum Bersten voll war. Die Predigt war zwar feierlich, aber leider konnte man nicht jeden Satz verstehen, den Pastor Kuttrapalli zu formulieren versuchte. Der Organist hatte sich redlich Mühe gegeben und sich nur hin und wieder verspielt, wenn er den Diaprojektor bedienen musste, mit dem die Zahlen vom Liederzettel an die Kirchenwand geworfen wurden. Ein kleiner Höhepunkt war vielleicht der Saffelener Kirchenchor gewesen, der ein passables Ave Maria intoniert hatte und aufgrund fehlender Englischkenntnisse ein weniger gelungenes Time to Say Goodbye. In der Kirche hatte Kleinheinz die Angehörigen des Toten unter die Lupe genommen. Wer gab sich wie oder verhielt sich irgendwie auffällig? Aber alles wirkte so normal, wie es unter diesen Umständen eben möglich war.

      Lautes Glockengeläut riss den Kommissar aus seinen Gedanken und kündigte zugleich den Leichenzug an, der in wenigen Minuten hier eintreffen würde. Denn von der Kirche bis zum Friedhof waren es nur wenige Meter. Kleinheinz machte sich bereit. Die strahlende Sonne verströmte eine unverschämte Heiterkeit, die so gar nicht recht zu der traurigen Prozession passen wollte, die sich jetzt langsam über den Friedhof schlängelte. Angeführt wurde sie vom indischen Pastor, der von zwei aknegeplagten Messdienern flankiert wurde. Dann folgte der robuste Eichensarg von Theo Jaspers, der von sechs Männern getragen wurde. Die Männer in den schwarzen Anzügen waren alle etwa im gleichen Alter wie der Verstorbene. Möglicherweise handelte es sich um Vereinskameraden, mutmaßte Kommissar Kleinheinz, der sogar meinte, den penetranten Geruch von Old-Spice-Rasierwasser bis zu seinem Platz neben der Trauerweide riechen zu können. Die Gesichter der Sargträger wirken allerdings eher ernst als traurig. Womöglich dachten sie gerade darüber nach, dass genauso gut sie jetzt in dieser schweren Holztruhe liegen könnten. Theo Jaspers hatte nämlich kein bisschen ungesünder gelebt als sie alle. Hinter dem Sarg schleppte sich Fredi Jaspers mit schwerem Schritt und versteinerter Miene voran, sehr damit beschäftigt, seine schluchzende Mutter zu stützen. Die stattliche Menschenschlange dahinter wurde angeführt von Ortsvorsteher Hastenraths Will nebst eingehakter Gattin, die Kleinheinz heimlich zuwinkte, als sie ihn erblickte. Der Kommissar hatte Will zunächst gar nicht erkannt, weil der über seiner üblichen grauen Arbeitshose und dem grün-weißen Hemd einen langen schwarzen Mantel trug, der fast bis zum Boden reichte. Dennoch meinte Kleinheinz, darunter Gummistiefel auszumachen. Seine grüne Schirmmütze, die schon wie festgewachsen schien, hatte der Landwirt ausnahmsweise durch einen schwarzen Sonntagshut ersetzt.

      Der Pastor erreichte die Grabstätte, neben der ein riesiger Berg Erde aufgeschüttet war. Darauf sah man die Reifenspuren des Minibaggers, der wohl am Vortag zum Einsatz gekommen war. Neben dem Loch, über das zwei Bretter gelegt waren, wartete der hoch aufgeschossene, hagere Mann vom Bestattungsunternehmen, der mit seinem langen, dunklen Mantel und dem altmodischen Zylinder auf dem Kopf so gruselig wirkte wie ein Totengräber aus dem Wilden Westen. Mit stoischer Miene wies er den Sargträgern ihre Plätze links und rechts der Grube zu. Pastor Kuttrapalli nahm mit seinen Messdienern Aufstellung neben einem Eimer voller Blumen, die aber vermutlich bei Weitem nicht ausreichen würden für die Menschenmenge, die sich teilweise noch hinter dem Eingangsportal auf der Straße drängelte. Kleinheinz hatte den Eindruck, dass ganz Saffelen auf den Beinen war, um Theo Jaspers die letzte Ehre zu erweisen. Vielleicht waren aber auch einige einfach nur neugierig und wollten erfahren, was es mit dem ominösen Liebesschwur auf dem Sterbebett auf sich hatte, der sich in Windeseile im Dorf verbreitet hatte. Und wer weiß, wer sonst noch vorbeischauen würde. Kleinheinz jedenfalls nahm die Anwesenden sehr genau in Augenschein. Einige kannte er. Etwa Heribert Oellers, den cholerischen Besitzer des Autohauses Oellers, bei dem Richard Borowka und früher auch Fredi beschäftigt waren. Borowka war natürlich ebenfalls unter den Trauernden, zusammen mit seiner Frau Rita und seinen Eltern und Schwiegereltern sowie einer seltsamen Schar, die offensichtlich Fredis ehemaligem Fußballverein angehörte. Bei dieser Gruppe war die Auswahl der Trauergarderobe am wenigsten geglückt. Es wimmelte von Hochwasserhosen, ungeputzten Schuhen und zu kurz gebundenen Krawatten. Es schien, als hätten sich Wickie und die wilden Männer auf diese Veranstaltung verirrt. Doch niemand störte sich daran. Auf Höhe des Eingangsportals erkannte Kleinheinz noch Peter Haselheim, den Rektor der Grundschule, der mit seiner Frau und einigen Lehrerkollegen gekommen war – unter anderem mit einer relativ attraktiven, brünetten Dame, die etwas fremd und nicht so recht dazugehörig wirkte. Kleinheinz machte sich eine Notiz, obwohl es eigentlich nicht nötig war, da er über ein hervorragendes fotografisches Gedächtnis verfügte. Gesichter oder besondere Merkmale, die er sich einmal eingeprägt hatte, konnte er noch Wochen später zweifelsfrei zuordnen.

      Vor dem Eingangstor stoppte ein Wagen. Auf der Beifahrerseite stieg eine junge Frau aus, die Kleinheinz sehr bekannt vorkam. Sie ging um das Auto herum, beugte sich zum Fahrer hinunter und küsste ihn. Nachdem der Wagen wieder losgefahren war, reihte die Frau sich in die Schlange ein. Jetzt hatte Kleinheinz sie erkannt. Es handelte sich um Martina Wimmers, die Exfreundin von Fredi.

      Das leise Gemurmel der Prozession verstummte, als vom Grab her seltsame Geräusche erklangen. Kleinheinz sah

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