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leben zu müssen. Aber das war nicht der Fall gewesen. Schon von Anfang an hatte er bei Franz die Fußballspiele der Europameisterschaft angeschaut, und er konnte sich jederzeit mit Fragen und Problemen an seine Nachbarn wenden.

      »Hast du das heute in der HV gelesen?«

      Seit wann las Franz die Tageszeitung? Seine Frau Anne hatte einmal mit einem Augenzwinkern bemerkt, ihr Ehemann würde nur die Bilder angucken. Je bunter desto besser ...

      »Was denn?«

      Die HV bekam Schranz nur dann kostenlos geliefert, wenn einer seiner Artikel darin veröffentlicht worden war. Die anderen Ausgaben hätte er sich kaufen müssen, und dazu war er zu geizig.

      »In Zukunft soll der Schweinemarkt viel stärker von der EG aus Brüssel kontrolliert werden. Anscheinend gibt es zu viele Schweine, so wie es ja auch den Milchsee und den Butterberg gibt. Und das soll alles abgebaut werden.«

      Schranz dachte bei sich, dass dies die Probleme der Schweinezüchter nicht unbedingt verkleinern würde. Probleme über Probleme, und das in dieser scheinbar heilen Welt.

      »Sag mal Franz, hast du schon mal was von einer Wirtschaftsmafia gehört?«

      Das braungebrannte Gesicht von Franz zeigte keinerlei Emotionen.

      »Weißt du, Chris, das ist eine lange Geschichte. Für mich ist das ja egal, ich habe nur noch ein paar Tiere und bin nicht vom Ertrag und Verkaufswert dieser wenigen Schweine und Rinder abhängig. Aber bei den vielen anderen, den Vollerwerbsbetrieben, da sieht es anders aus.«

      »Wer sind diese Leute? Warum nennt man sie so?«

      Es kam Schranz fast so vor, als ob sich sein Nachbar umblickte, ob auch wirklich keiner der anderen Anwohner zuhören konnte.

      »Komm die nächsten Tage mal abends zu mir. Mein Most mit den Wacholderbeeren müsste dann trinkbar sein.«

      Das laute Gebell seines Hirtenhundes Gipsy erinnerte Schranz daran, dass es höchste Zeit war, sich um seinen vierbeinigen Liebling zu kümmern. Er hatte ihn als Baby aus dem Tierheim in Stuttgart geholt, mitt-lerweile war er ein Jahr alt – ein richtiger schwarzer Wirbelwind.

      5. September 1983

      Die Zeit war verflogen. Schon schien der Sommer zu Ende zu gehen, letzte Nacht hatte das Thermometer nur 5 Grad über null angezeigt.

      Schranz war mit den letzten beiden Wochen zufrieden. Er hatte einen allgemeinen Artikel über das SHL verfasst, der einen positiven Leserbrief nach sich gezogen hatte. Ansonsten gab es keine Reaktionen: keine Anrufe und kein Martens, der sich in irgendeiner Art und Weise geäußert hätte.

      Das Verhältnis zu seinem Hauptauftraggeber war momentan schwierig. Dank der regelmäßigen Aufträge der HV erreichte Schranz einen Wochenumsatz von durchschnittlich 700,- DM, womit er sich ernähren konnte. Durch die immer wieder anfallenden Lektoratsarbeiten junger Autoren verdiente er sich zudem ein kleines Zubrot. Und die daraus resultierende Gesamtsumme war völlig ausreichend, sodass er sich für die kommenden Monate keine großen Sorgen machte.

      Der Sommer galt allgemein als ›Saure-Gurken-Zeit‹. Die interessanten Monate der Berichterstattung würden folgen.

      Sein Nachbar Franz hatte ihn noch nicht zu dem versprochenen Gespräch eingeladen. Und Schranz wollte auch nicht drängen. Er hatte von Anne gehört, dass ihr Mann gerade wieder Herzprobleme hatte; sein Arzt hatte es noch nicht geschafft, ihm die richtige Dosierung an Medikamenten zu verordnen. So hatte er einen Tag einen hohen Blutdruck, am anderen Tag schlief er während der Arbeit auf seinem Bagger fast ein.

      Bauer hatte sich auch nicht gemeldet, und so war Schranz überrascht, als er auf seinem neu erstandenen Anrufbeantworter eine Nachricht abhörte: »Rufen Sie mich an, wir haben den nächsten Termin.«

      Gut, dass er die Stimme sofort erkannt hatte. Bauer hatte viel zu früh zu sprechen begonnen und seine Worte in der Geschwindigkeit von Gewehrsalven abgefeuert. Wahrscheinlich mochte er keine Anrufbeantworter.

      Schranz rief sofort zurück, die Nummer hatte er auf einem kleinen Notizblock neben dem Telefon stets griffbereit liegen. Aber niemand meldete sich, ein Anrufbeantworter war nicht geschaltet. Beim Blick auf die Uhr wurde ihm klar, dass 10 Uhr eine sehr ungünstige Uhrzeit für einen Anruf war. Er wollte es über Mittag zwischen 12 und 13 Uhr nochmals versuchen. Jetzt war der Landwirt sicher auf den Feldern oder im Stall zu finden.

      Wie immer war der nächste Auftrag für die HV eher gegen Abend zu erwarten, deshalb konnte er sich nun Gipsy widmen. Der Hundefriseur hatte ihm nochmals sein schwarzes Fell heruntergeschoren, es war schon ziemlich verfilzt gewesen. Nur schade, dass er sich mit dem Schäferhund aus der Nachbarschaft gerauft hatte, just in dem Moment, als sein Fell so kurz gewesen war. Von dieser Auseinandersetzung hatte er einige Abschürfungen und Bisswunden im Fell davongetragen. Wieder einmal hatte er sich nicht unterworfen, obwohl Bonnie viel größer war als er und auch viel kräftiger. Gipsy würde das lernen müssen, ansonsten konnte das übel ausgehen und für Schranz eine hohe Tierarztrechnung bedeuten.

      Während er so sinnierte und den Vierbeiner streichelte, klingelte das Telefon. Eine gute Bekannte, Veronika, wie er sie für sich bezeichnete, war dran, und lud ihn auf ein Glas Wein ein. Noch hatte Schranz nichts von der HV gehört, war sich also noch unsicher, ob er am Abend überhaupt Zeit haben würde.

      Er hatte momentan nichts vor, aber Veronika schon. Ihre Kinder waren noch da, sie sollten heute Abend von ihrem Vater ins lange Wochenende abgeholt werden. Und dann wäre es günstig, mit ihr in Ruhe die letzten Wochen zu besprechen.

      Eigentlich war Veronika die einzige Frau, die Schranz bisher in seiner neuen Heimat kennengelernt hatte. Wie so oft hatte er vor einigen Wochen einen Abendtermin wahrgenommen, eine Aufführung eines Laientheaters. Martens hatte ihn ausgewählt, weil er ein gewisses Kunstverständnis hätte. So hatte er zumindest argumentiert, und wenn es in seine Strategie passte, dann hatte Schranz beim nächsten Auftrag auch politisches Verständnis. Er machte es immer passend.

      Es wurde ein langer Abend. Um 22 Uhr stand erst der Beginn des zweiten von drei Akten an, und Schranz ärgerte sich bereits, dass er diesen Auftrag angenommen hatte. Vier Stunden Theateraufführung und es würden 80 Zeilen und ein Bild dabei herauskommen. Ein niedriger Stundenlohn, fürwahr.

      Er verfolgte eher gelangweilt den Verlauf des Stückes. Es handelte von irgendeiner Verwechslungsgeschichte zwischen zwei Bauern, in die dann später auch noch die beiden Frauen verstrickt wurden. Dabei fand Schranz indessen immer mehr Gefallen an der rotblonden Schauspielerin, die eine der beiden recht garstigen Bauersfrauen spielte. Sie hatte eine gute Figur, eine schöne Stimme, ihre Augen glänzten, was entweder an den Bühnenscheinwerfern lag oder am vierten Bier, das der Journalist vor sich stehen hatte.

      Nach der Vorstellung sah er die Mittdreißigerin kurz im Gang stehen, und sie bat ihn, ihr eine Kopie des Artikels dieses Abends zu schicken. Der Regisseur hatte sich schon vor Beginn des Stückes bedankt und Schranz darum gebeten, eine freundliche Kritik zu schreiben. Und so wusste der ganze Saal, dass Schranz nun am Zug war, diesen Abend in positiver Weise in der HV darzustellen.

      Veronika hatte den jungen Mann angestrahlt und dabei erklärt, sie habe leider keine Möglichkeit, die Zeitung zu kaufen.

      Durch dieses kurze Zusammentreffen war ein feines Band von Gefühlen entstanden, ohne dass sich die beiden in den letzten Wochen bisher sehr nahe gekommen wären.

      Deshalb freute er sich über die Einladung. Allerdings fühlte er sich auch unsicher ob dieser Zweisamkeit, die auf ihn wartete.

      Bauer klang am Telefon ziemlich genervt und hektisch.

      »Mensch, Schranz, was haben Sie da für ein komisches Gerät? Immer mehr von diesen Dingern gibt es jetzt hier bei uns.«

      »Sie haben Ihren Namen nicht draufgesprochen.«

      »Doch klar, aber dieses Gerät hat dauernd gepiepst.«

      Schranz vertiefte das nicht weiter. Er wollte zum eigentlichen Grund des Anrufs kommen.

      »Was

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