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schalten. Verdammt, die Tastensperre! Es dauerte eine Sekunde, sie zu deaktivieren.

      Genau eine Sekunde zu lang. Hell und klar, wie hingemalt, hing der Anfang seines Klingeltons über der dunklen Dünenlandschaft. Noch nicht einmal in voller Lautstärke, ihm aber kam es vor wie eine Alarmsirene. View to a kill von Duran Duran – was hatte er sich nur dabei gedacht?

      Er schaute hoch zum Dünenkamm. Wo war die geduckte Gestalt?

      Sie war verschwunden. Eingetaucht in den Kernschatten. Auf dem Weg zur erneuten Attacke auf sein Ziel, das ihm seine Position so leichtfertig verraten hatte. Henning van der Werft keuchte panisch und zog seine Beine an den Körper, die Füße in die Luft gereckt wie ein auf den Rücken gedrehter Käfer. Aber vielleicht doch nicht ganz so hilflos; ein gut gezielter Tritt war sicher nicht die schlechteste Verteidigung gegen den knüppelschwingenden Angreifer.

      Wenn er in dieser Dunkelheit nur zielen könnte!

      Er hielt den Atem an. Der Wind tat das Gleiche. Tatsächlich, jetzt konnte er hören, wie sich jemand durchs hohe Gras näherte, vorsichtig tastend, aber stetig. Jetzt streifte dieser Jemand wohl einen Busch; das Kratzen der Zweige über den Stoff einer Jacke ließ van der Werft erschauern wie das Geräusch von Fingernägeln auf einer Wandtafel.

      Die Schritte kamen immer dichter heran. Schon ließ sich unterdrücktes Schnaufen erahnen. Van der Werft dachte an den Knüppel.

      Lautes Rauschen in der Luft. Hektisch flappende Geräusche, ein wütender, krächzender Schrei. Dann ein Antwortschrei, ebenfalls schrill, aber menschlich. Und ein dumpfer Aufprall, nur wenige Schritte von Henning van der Werft entfernt, gefolgt von lautem Stöhnen und gemurmelten Verwünschungen.

      Da war van der Werft schon auf den Füßen. Tief gebückt und so schnell er sich traute, hastete er davon, die Hände vorgestreckt, um nicht ebenso wie der unbekannte Angreifer auf der Nase zu landen, nichts wie weg von diesem unheimlichen Ort, dorthin, wo er den nächsten befestigten Weg vermutete. Hoffentlich ist dort noch jemand unterwegs, dachte er, das wäre dann meine endgültige Rettung. Der unmittelbaren Gefahr aber glaubte er sich bereits entronnen. Dank einer Raubmöwe, die sich im Landeanflug gestört gefühlt hatte.

      Ehe er es verhindern konnte, platzte ein Lachen aus ihm heraus. Ausgerechnet eine Möwe! Wenn das kein gutes Omen war. Schade, dass er nicht an Omen glaubte.

      Der Schlag gegen den Hinterkopf traf ihn ohne Vorwarnung. Er taumelte, vor seinen Augen drehten sich funkelnde Sterne, und als er sich an den Hinterkopf fasste, fühlte der sich feucht an. Aber er blieb auf den Füßen, und das bisschen Orientierung, das er noch hatte, blieb ihm ebenfalls. Auch das Gefühl der Erleichterung hielt sich. Geworfen hat der Kerl, dachte er, blind ins Schwarze hinein. Glückstreffer. Kann wohl nicht mehr rennen. Oder er traut sich nicht. Nee, mein Lieber, du kriegst mich nicht.

      Irgendwann wurde das Gelände ebener, er kam zügiger voran, und tatsächlich sah er nach einiger Zeit Lichter, zwei Paar Fahrradlampen, die sich näherten. Van der Werft erreichte den Weg, erinnerte sich seiner eigenen Dynamolampe, und jetzt fand er sie auf Anhieb. Natürlich.

      Während er Lichtsignale gab, fühlte er sich bereits vollkommen sicher. Und als die Fahrradfahrer zu klingeln begannen und auf ihn zuhielten, wurde das Sicherheitsgefühl schon wieder verdrängt. Von Ärger, von Wut, zuletzt von purem Hass auf den unbekannten Angreifer. Warte nur, Bürschchen, dachte Henning van der Werft. Du hast mich nicht gekriegt. Aber ich, ich kriege dich.

      6.

      Als sein Handy klingelte, war Stahnke eigentlich schon wach. Er wollte es bloß noch nicht sein, denn sein letzter Traum war so schön gewesen. Beängstigend auch, das schon – aber er war sich der Tatsache, dass er träumte, schon halbwegs bewusst gewesen, und so hatte es ihn auch nicht erschreckt, dass es bei seinem Rundflug über Wattenmeer und Inseln zuerst keine Flugzeugkabine mehr gegeben hatte, dann keinen Motor und zum Schluss nicht einmal mehr Tragflächen. Ich kann jederzeit ganz aufwachen, hatte er nur gedacht – oder geträumt – und mitten im Sturzflug die Arme ausgebreitet. Und siehe, es hatte funktioniert, wenn auch nicht besonders zuverlässig. Sein Flug war wild und ruppig verlaufen, und die Flughöhen hatten ganz plötzlich und unberechenbar gewechselt. Hatte er eben noch beim Tiefflug mit dem Bauch fast die Mastspitzen der Yachten im Hafen gestreift, lag im nächsten Augenblick ganz Langeoog als Spielzeugpanorama tief unter ihm, und er war in wilden Spiralen darauf zu getrudelt. Ehe ich aufschlage, wache ich auf, hatte er ganz sicher gewusst. Drücke ganz einfach den Knopf in dem Fahrstuhl, der zwischen Traum und Wirklichkeit pendelt.

      Normalerweise endeten Träume, sowie man so etwas dachte. Dieser nicht, darum genoss Stahnke ihn so.

      Gegen ein klingelndes Handy aber kam auch der schönste Traum nicht an. Wenigstens hatte der Hauptkommissar blitzartig reagiert, seinen Arm vorschnellen lassen, zugepackt und das Gespräch schon entgegengenommen, ehe der erste leise Signalton ganz verklungen war. »Moment«, raunte er in seine Faust, ehe er sie fest um das winzige Gerät schloss, aufstand und Richtung Küche tapste. Sina schien zum Glück nichts mitbekommen zu haben; ihr Atem ging unverändert regelmäßig.

      Er setzte sich, ehe er die Hand zum Ohr hob. »Ja?«

      »Ich bin’s«, sagte Kramer. Seine Stimme klang neutral wie immer, und mit Grüßen hielt er sich gar nicht erst auf.

      »Urlaub«, sagte Stahnke im gleichen Tonfall. »Du erinnerst dich?«

      »Das tue ich«, erwiderte Kramer. Danach schwieg er.

      Jetzt könnte ich einfach auflegen, dachte Stahnke. Das wäre mein gutes Recht, und ich hätte meine Ruhe. Aber er wusste natürlich, dass das nicht stimmte. Von wegen Ruhe! Nicht etwa wegen seines Gewissens – das glaubte er ganz gut im Griff zu haben. Seine ungestillte Neugier aber würde ihm garantiert den Tag versauen.

      »Also, was gibt’s?« Stahnkes Blick streifte die Küchenuhr. Gerade erst Viertel nach sieben, Kramer war früh dran.

      »Vermisstensache.« Oberkommissar Kramer, Stahnkes engster Mitarbeiter im 1. Fachkommissariat der Polizeiinspektion Leer/Emden, fasste sich kurz. »Dietz Lichterfeld, Doktor der Medizin, wohnhaft in Leer-Loga. Vermisst gemeldet von seiner Ehefrau. Kontakt plötzlich abgerissen, sagt sie.«

      »Vermisst«, wiederholte Stahnke.

      »Ja«, bestätigte Kramer schlicht. Er wusste ebenso gut wie Stahnke, dass die Suche nach Vermissten nicht die Aufgabe des FK 1 war, jedenfalls nicht, ehe diese Vermissten sich als entführt, misshandelt, sonstwie verletzt oder als tot herausstellten. Also musste sein Anliegen einen besonderen Grund haben.

      »Lass mich raten«, sagte der Hauptkommissar. »Vermisst auf Langeoog?«

      »Stimmt«, erwiderte Kramer. »Jedenfalls im Prinzip. Vermisst wird Dr. Lichterfeld, wie schon gesagt, in Leer. Von seiner Frau. Sein letzter bekannter Aufenthaltsort aber war in der Tat Langeoog.«

      »Klugscheißer«, knurrte Stahnke.

      »Angenehm«, sagte Kramer. Gleichbleibend neutral.

      Stahnke schluckte eine Replik hinunter. »Und was soll ich jetzt machen? Ausschwärmen und den Typ zwischen den Dünen suchen? Und Lüppo Buss steht wohl daneben und spendet mir Applaus! Weißt du eigentlich noch, dass Lüppo hier auf der Insel zuständig ist?«

      »Für den Anfang könntest du mal Kontakt zu ihm aufnehmen«, antwortete Kramer ungerührt. »Ich krieg ihn nämlich nicht ans Telefon.«

      »Handy?«

      »Mailbox.«

      »Fax, E-Mail?«, fragte Stahnke weiter. »Oder Brieftaube?«

      »Mensch, Stahnke.« Jetzt fiel Kramer doch aus seiner Stoiker-Rolle, wurde drängender. »Dieser Dr. Lichterfeld ist nicht irgendwer. Dem gehört die große Tagesklinik in der Leeraner Innenstadt, jedenfalls zum großen Teil. Seine Frau macht mächtig Druck. Dedo de Beer hat bei mir schon auf der Matte gestanden, kaum dass ich heute früh im Dienst war.«

      »Na und? Gibt es bei uns neuerdings einen Promi-Bonus? Oder interessiert sich etwa irgendwer für irgendwas, das de Beer sagt?« Stahnke gab sich widerborstig. Noch, denn

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