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Ausdrucksweise des Bürgermeisters, dieser ständige Wechsel der Anrede in der ersten und dritten Person zeigt deutlich, dass dieser auf seiner Seite steht. Außerdem: wer würde dem Wort Hans Stobeners widersprechen, vornehmlich, wenn noch zwei andere gewichtige Stimmen im Rat auf seiner Seite sind? Er verneigt sich, nach seiner Meinung recht gesittet, und wischt auf den huldvollen Wink des Stadtoberhauptes aus dem Zimmer.

      Wenig später steht er wieder auf dem Marktplatz mit dem Rücken zum Rathaus. Hoch am Firmament lacht die Sonne und schmeichelt seinem Hochgefühl. Weil man so glückliche Momente eher mit anderen teilt, eilt Ruprecht schnurstracks nach Hause.

      Es ist normalerweise nichts Ungewöhnliches, wenn Hans Prescher an der Fassade seines Hauses Ausbesserungsarbeiten ausführt. Die Vergänglichkeit des Holzes verlangt allenthalben Zuwendung, welche man im Interesse der Erhaltung des Heims natürlich gewährt. Nur scheint es sehr zweifelhaft, warum der völlig intakte Fensterladen ausgerechnet heute nachgenagelt werden muss. Dem aufmerksamen Beobachter kann nicht entgehen, wie nebensächlich jeder Handgriff wirkt und wie häufig der Blick des Mannes wieder die Gasse hinabwandert. Nicht weniger unruhig ist sein Weib, welches eifrig am Flechtzaun die Weidenruten erneuert, dabei kein Stück vorankommt und nicht eine Handspanne zur Seite geht.

      Als Uff der Bach der Ruprecht endlich um die Ecke kommt, fällt die Unruhe von beiden ab und die Arbeiten werden in größter Konzentration ausgeführt. Auf gar keinen Fall sollen der Sohn oder die Nachbarn ahnen, wie kribbelig ihnen ist. Aus den Augenwinkeln heraus vermag die Prescherin schon bald zu erkennen, dass Stolz und Selbstbewusstsein ins Gesicht ihres großen Sohnes geschrieben stehen und nicht länger die Zweifel am eigenen Können aus der Miene spricht wie nur allzu oft nach den so häufigen Fehlgriffen in der Tischlerei.

      Kurze Zeit später wird auch dem Vater die optimistische Ausstrahlung des Sohnes bewusst. Da er die feinfühligen Winkelzüge seines Weibes zwar bewundert, aber niemals selbst anwenden könnte, poltert er geradezu: „Bist du endlich wieder zurück?! Ich dachte schon, sie hätten dich wegen der zwei linken Hände in den Kerker gesteckt. Nun, welchen tiefgreifenden Rat hat dir der Rat geraten?“

      „Hans!“, protestiert Magdalena voll ehrlicher Entrüstung. „Du wirst den Großen noch aus dem Haus treiben mit deinen Bemerkungen!“

      Während Ruprecht generös abwinkt – immerhin kennt er seinen Vater zur Genüge – schnieft dieser durch die Nase: „Was verstehst du davon, Mutter? Er ist keine zarte Jungfer und wird ein ehrliches Männerwort verkraften. Wenn er deswegen das Weite sucht, dann kann ich ihn auch nicht halten.“ Gutgelaunt schlägt er seinem Sohn auf die Schulter, dass es recht laut knallt. „Oder siehst du das anders, Junge?“

      Ruprecht ist von so blendender Laune, dass er am liebsten singen würde und die ohnehin nicht bös gemeinten Worte vermögen ihn in keiner Weise zu betrüben. „Lasst mal gut sein, ich bin kein Tonfigürchen. Aber bevor euch die Neugier auffrisst: Ich bin vom Bürgermeister auf meine Schreibkunst getestet worden und er schien sehr zufrieden. Wenn jetzt noch der Rat zustimmt, dann werde ich der neue Stadtschreiber sein. Ich denke, das ist einen Krug besten Bieres wert, oder?“ Beifall heischend sieht er seinem Vater in die Augen, doch der schüttelt nach kurzer Überlegung mit dem Kopf. „Warte ab, Großer. Erst muss das Haus stehen, bevor man die Tür einsetzt. Noch hast du die Stelle nicht.“

      „Richtig, da stimme ich dir zu. Allerdings müsste es mit dem Teufel zugehen, wenn die Unterstützung durch den Bürgermeister Stobener, dem Ratsherrn von Pirne und Vater Roselers Quelle nicht ausreichen würde.“ Ruprecht ist sich seiner Sache sehr sicher, doch der Vater mahnt: „Wenn es für die Stadt von Nutzen ist oder es dem Landesherrn so gefällt, dann kann trotz allerbester Schreibkunst die Entscheidung ganz anders ausfallen. Habe also lieber Geduld, bis man dich wirklich benannt hat und freue dich dann doppelt.“

      „Das ist sehr weise gesprochen“, mischt sich die Mutter ein, „seinerzeit der Bauerngeneral Rudolf hat auch Großes geleistet für die Unsrigen und musste dennoch den Undank der Nachbarn ertragen und auf Wunsch der Obrigkeit aus dem Dorfe ziehen. Warte also die paar Tage und trinke dann darauf dein Bier. Du kannst dir heute einen Krug voll kaufen, aber trinke ihn nicht auf den Erfolg, den musst du erst sicher haben.“

      Die nächsten Tage verbringt Rudolf wie im Fieber. Von morgens bis abends steht er in der Werkstatt und verrichtet die einfachsten Arbeiten. Seine mangelnde Konzentration ist gar zu auffällig, so dass ihn der Vater nur Rundholz auf Länge schneiden lässt. Immer wieder malt er sich aus, wie ihm das Amt des Stadtschreibers angetragen wird. Gewiss doch, er freut sich sehr auf diese Aufgabe und er hofft inbrünstig, dass die Entscheidung zu seinen Gunsten fallen wird. Dennoch sitzt ganz hinten in seinem Kopf eine kleine Ungewissheit, die ihm der Vater mit seiner Mahnung eingegeben hat.

      Wie froh ist er, dass er mit seiner Martha zusammengefunden hat, die ihn während der abendlichen Spaziergänge durch die Gassen und vor der Stadt an sein Glück zu glauben ermuntert hat. Nur der alte Roseler zeigte eine merkwürdige Reaktion, als er von Ruprechts Zusammentreffen mit dem Ratsherrn von Pirne erfuhr. „Es war dir wohl nicht sicher genug, dich auf mich zu verlassen? Meinst wohl, dass ein alter Schuhmachermeister nichts mehr zu Wege bringt?“, hatte er geklagt und Ruprecht letztendlich empfohlen, ganz auf seine Hilfe zu verzichten.

      „Wenn das mit der Schreiberei nichts wird, sehe ich schwarz für deine Zukunft!“, holt Paul seinen Bruder in die Gegenwart zurück. Sehenden Auges träumst du und vergisst das Arbeiten. Die Rundhölzer schneidest du nicht zum Vergnügen! Davon brauche ich bis Mittag zweihundert Stück – nicht nur auf die richtige Länge gebracht, sondern auch gefast! Das wird ein Geländer für die Badestube im Spitzgässchen.“ Kopfschüttelnd sieht er Ruprecht an. „Menschenskind, Großer, lass dich nicht so gehen!“

      Ruprecht hebt die Schultern. „Was soll ich machen, die Warterei treibt mich noch in den Wahnsinn. Aber das kann dir egal sein, der neue Herr der Tischlerei bist du.“

      „Es ist mir eben nicht egal und die Werkstatt hätte dir gehören können. Ich hoffe nicht, dass wir uns deswegen in Zukunft streiten werden. Trotzdem, sieh zu, dass die Arbeit zügig und vor allem unfallfrei erledigt wird!“ Wütend schlägt Paul die Tür hinter sich zu, dass die Lederbänder zu reißen drohen. Kreidebleich starrt der Gescholtene auf das dunkle Türblatt. Das hat er nicht gewollt, keinen Streit mit den Geschwistern! Die jetzige Lage hat er einzig und allein sich selbst zuzuschreiben!

      Eben will er dem Bruder nacheilen, da hört er in der Stube Paul zu jemand sprechen. Gleich darauf öffnet sich die Tür erneut und es tritt der Herr von Pirne in die Werkstatt. „Will ich doch mein Schreibwunder einmal besuchen. Guten Morgen, Preschers Junior. Von dir hört man ja tolle Sachen. Du musst – wenn man dem Herrn Bürgermeister glauben kann – tatsächlich ein richtiggehendes Schreibwunder sein. Jetzt würde ich mich gern davon überzeugen, aber du hast gerade anderes zu tun.“

      Ruprecht weiß nicht so recht, wie er sich verhalten soll. Am liebsten würde er die Frage stellen, ob vom Stadtrat schon eine Entscheidung gefällt worden wäre, aber das scheint ihm zu unverschämt und so antwortet er nur: „Ich kann gern die Arbeit unterbrechen, sie ist ohnehin gerade mal eines Lehrbuben würdig. Nur müsst Ihr ein paar Augenblicke Geduld haben, dass ich die Schreibutensilien herbeischaffe.“

      Lachend lehnt der alte Ratsherr ab. „Lass mal, Ruprecht Prescher. Ich werde doch dem Herrn Bürgermeister nicht misstrauen. Er wird uns im Rat kaum falsche Papiere vorgelegt haben und dein Brief, den er uns offerierte, hat uns allen sehr gefallen. So bin ich vom Rat beauftragt, dir deine Berufung mitzuteilen. Morgen zur neunten Stunde wirst du in der Schreibstube im Rathaus zum Amtsantritt erwartet.“

      Wenngleich sich Ruprecht diese Mitteilung sehr gewünscht hat, so wie sie ihn jetzt erreicht, kommt ihm alles sehr unwirklich vor. Ihm rauscht das Blut in den Ohren und vor seinen staunenden Augen lässt der Schwindel die Werkstatt schwanken. Tastend sucht seine linke Hand über die Hobelbank. Mit weichen Knien lässt er sich endlich auf dem Hocker nieder. Während die Säge ihre scharfen Zähne, einem Raubtier gleich, in den linken Handrücken schlagen will, die rechte Hand das Werkzeug aus der Führung entlässt.

      „Nun pass doch auf!“ Bleich vor Schreck ergreift von Pirne den Sägebügel und bannt die Gefahr einer ernsthaften Verletzung. „Jetzt verstehe ich vollkommen, warum

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