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den Umweg über die Johannisgasse. Entlang der Stadtmauer wird ihm sicher kaum jemand begegnen. Außerdem kommt er so am Tor des Ratsdieners vorbei und nur dieser konnte der Bote des Stadtoberhauptes gewesen sein. Vielleicht ist er zum Mittagsmahl nach Hause gegangen und er vermag ihn noch anzutreffen? Dann könnte er ihn fragen, ob die Vorladung nicht mit der Stelle als Schreiber zu tun hat.

      Klein und einsam hockt die Kate des Ratsdieners neben dem Johannistor. Fast scheint es, als klammere sich das schiefe, hölzerne Geviert an die Stadtmauer und teile mit dieser die zweihundert Jahre seit der Errichtung. Sehr hoch scheint der Wert des Bewohners beim Rat nicht angesiedelt zu sein, denn die Behausung ist gar zu jämmerlich.

      Es mag dem Aussehen der Hütte zuzuschreiben sein oder Ruprechts Angst, noch mehr Schaden anzurichten, dass er nur ganz zaghaft gegen die rissige Tür klopft, kaum einen Widerhall erzeugend. Dennoch wird er im Inneren wahrgenommen und gleich darauf öffnen sich die oberen Läden der waagerecht wie senkrecht jeweils zweigeteilten Tür. Es ist nicht der Ratsdiener, der sich zeigt und auch nicht die erwartete schmuddelige Alte mit den zerzausten grauen Haaren und der Warze auf der Nase. Ein reinliches Weib mittleren Alters mit nussbraunen Augen und rötlichen Locken, welche erste Silberfäden durchziehen, lehnt sich heraus und lächelt den Besucher freundlich an. „Schau an, wenn das nicht der Sohn vom Tischlermeister Prescher ist! Was führt dich in unsere Hütte? Wenn dich der Rat schickt, für die Hütte braucht man eher einen guten Zimmermann als einen Tischler, wenn schon kein Maurer angedacht ist, solide Steinwände hochzuziehen.“

      Erschreckt weicht Ruprecht einen Schritt zurück. „Ich komme nicht vom Bürgermeister, nein, ganz im Gegenteil, dieser hat mich rufen lassen und nun wollte ich vom Ratsdiener wissen, worum es überhaupt geht, bevor ich mich ins Rathaus begebe. Ich hatte gehofft, ihn hier zu Mittag zu treffen.“

      „Ach, woher denn“, gibt ihm das Weib Bescheid, „der Niklas ist lange wieder fort. Nur auf einen Sprung kam er und schlang seinen Brei glatt im Stehen. Eigentlich hätte es ihm den Schlund verbrennen müssen. Es nützt dir nichts, dich nun zu sputen. Er wird lange schon im Rathaus sein und du wirst tatsächlich erst dort erfahren, was man von dir will.“

      Grüßend winkt Ruprecht zum Dank und wendet sich der Johannisgasse zu, die im Spalier der Häuser zum Markt hinführt. Auf jeder Seite der Gasse stehen zehn Häuser aufgereiht, die vom Wohlstand der Besitzer künden. Ganz vorn, da wo das Pflaster des Markts beginnt, prahlen beiderseits der Gasse die steinernen Fassaden vom gehobenen Stand der Familien Schütz und Neefe, die im Rat ein gewaltiges Wörtlein mitzureden haben. Der Ulrich Schütz ist inzwischen fortgeschrittenen Alters und hat sich ein wenig von der Stadtpolitik zurückgezogen. Sein letzter großer Streich war die Unterstützung für den Bau des Kupferhammers an der Straße nach Rochlitz. Anders der Hieronymus Schütz, dessen Haus den Beginn auch der Gasse „Uff der Bach“ markiert. Dieser ist noch relativ jung, voll Elan und ist aktiv an der Lenkung des Geschickes der Stadt beteiligt.

      Heute ist kein Markttag und so kann Ruprecht ungestörten Schrittes den großen Platz vor dem Rathaus queren. Eilig hastet er die breite Treppe zur Eingangstür hinauf, nimmt die Stufen zum Obergeschoss, wo er die Amtsstube des Bürgermeisters weiß, an deren Tür er mit einem energischen Klopfen Einlass erbittet.

      „Herein!“, tönt es gebieterisch aus dem Zimmer und Ruprecht tritt geflissentlich ein. „Gott zum Gruße, Herr Bürgermeister. Der Ratsdiener hat nach mir gefragt und so bin ich zu Euch geeilt, bevor er sich nochmals auf den Weg machen muss.“

      Hans Stobener, der nun schon in seiner zweiten Amtszeit nach dem Jahr einundfünfzig die Geschäfte des Stadtoberhauptes wahrnimmt, füllt mit seinem ausladenden Körper den gewaltigen Armsessel hinter dem wuchtigen Schreibtisch ziemlich aus und eher schlaff denn behäbig hebt er den Kopf, um den Eintretenden müden Blickes zu visitieren. „Du bist also der Sohn vom Tischlermeister Prescher? Du musst sehr von dir eingenommen sein, wenn du gleich die Ratsherren vor deinen Wagen zu spannen traust. Oder wie muss ich es verstehen, wenn der Herr von Pirne für dich ein Wort einlegt, darum bittet, die Stelle des Stadtschreibers dir zu übertragen, zumal dieser Schritt offiziell noch gar nicht zur Debatte steht?“ Nunmehr sehr streng blickt er in die Augen des vor ihm stehenden jungen Mannes. „Aber, so es mir zu Ohren gekommen ist, kannst du manierlich mit der Feder umgehen. Wir wollen es also auf einen Versuch ankommen lassen.“

      Ruprecht verbeugt sich ehrfürchtig vor dem Mann, wenn nicht gar in Demut. „Ich bin gern bereit, mich Eurem Examen zu stellen, Herr Bürgermeister Stobener. Aber den Ratsherrn habe nicht ich zu Euch gesandt. Wie hätte ich das tun können? Von sich aus hat er sich erboten, für mich diesen Schritt zu gehen – was mich natürlich sehr erfreute. Wenn Ihr mich nun zu prüfen gedenkt, so gestattet mir, Feder und Tinte zu holen.“

      Der Bürgermeister winkt ab. „An den Utensilien soll es nicht scheitern. Was wäre das für ein Rathaus, wenn sich hier nicht Feder, ein Schreibbogen, Tinte und Löschsand fänden. Dort auf dem Pult ist alles bereit, was du benötigst.“

      Tatsächlich ist in der Ecke des Raumes ein Stehpult vorhanden. Dass es seiner Bestimmung entsprechend durchaus genutzt wird, erkennt man an den dunklen Flecken, die die Wand zieren. In der Schale obenauf liegen drei Federn unterschiedlicher Dicke, deren Kiele noch zu schneiden wären, wozu ein Messerchen bereitliegt. Im irdenen Töpfchen daneben glänzt dunkel die Tinte. Sauber zugeschnitten hebt sich vom dunklen Untergrund der helle Bogen. Die hohe Flasche enthält sicher den seltenen blauen Koblenzer Löschsand zum Trocknen der Tinte. Blaue Krümel haben sich auf die Platte unmittelbar neben dem Flaschenboden verirrt.

      Auf die herrische Geste des Stadtoberhauptes eilt Ruprecht an das Pult und prüft die Federn. „Gestattet Ihr, Herr Bürgermeister, dass ich erst die Federn anspitze? Die Schrift gäbe sonst kein rechtes Bild, auch die Zeilen müssen erst noch angerissen werden.“

      Es scheint fast, als läge ein gewisses Quantum Anerkennung im gnädigen Nicken Hans Stobeners. Sollte dies schon der erste Stolperstein der Prüfung gewesen sein? Noch bevor sich Ruprecht darüber im Klaren ist, drängt ihn die Stimme des Prüfers: Allergnädigster Herr Graf von Waldenburg …“

      Schnell taucht die Feder in die schwarze Tinte und es ist einzig des Schreibers elegantem Schwung zu verdanken, dass kein Klecks, sondern ein gewagter Schnörkel zum Buchstaben hin sich formt. Ruprecht merkt wohl, dass der Bürgermeister recht gekonnt in wohlgesetzten Abständen Pausen beim Diktieren lässt. Dennoch hat er Mühe mitzuhalten und so erscheint ihm das erzielte Schriftbild überhaupt nicht von gewohnter Klarheit und er nimmt sich vor, das Schriftstück später ins Reine zu übertragen.

      „… mit untertänigstem Dank, der Bürgermeister der Stadt Chemnitz, Hans Stobener. Chemnitz im Jahre des Herrn 1466, am Freitag, dem 24. August.“

      Endlich ist der Brief zu Ende gebracht und Ruprecht trocknet gewissenhaft die Zeilen, bevor er den Bogen übergibt.

      „Na, da wollen wir sehen, ob wir schon den neuen Schreiber gefunden haben.“ Konzentriert fliegt der Blick des Prüfers zwischen Ruprechts Blatt und der Vorlage hin und her. Fast scheint es, als sei die Schreibkunst des Hans Stobener keineswegs so weit ausgeprägt, wie man für einen Mann dieses Amtes annehmen sollte. Immer wieder murmelt er das Gelesene, als könne er es nur so verstehen. Aber der Schein trügt, die Konzentration dient ausschließlich dem Vergleich.

      „Ich kann keine wesentlichen Fehler entdecken, Prescher. Zügig geschrieben ist es und gut lesbar allemal. Der Rat wird sicher meinem Vorschlag folgen und Ihn zum Sekretär berufen.“

      Der Gesichtsausdruck des Bürgermeisters hat eine Wandlung von der Abwartehaltung hin zur Herzlichkeit vollzogen und vermittelt Ruprecht das Hochgefühl ehrlich entgegengebrachter Anerkennung. „Es wäre mir schon recht, in den Dienst der Stadt zu treten, zumal mir im Handwerk recht wenig Glück beschieden ist.“

      „Das pfeifen schon die Spatzen von den Dächern, Prescher. Nun, vielleicht wollte Gott es so, dass du nicht Handwerker wirst, sondern Schreiber und hat deswegen deinen Weg derart verschlungen gestaltet. Aber gemach, mein Junge, warten wir es ab, was die Ratsherren letztendlich zu sagen haben. Es ist eine unbedingte Vertrauensstellung, um die Er sich bewirbt. Es gilt nicht nur, das Wirken des Rates aufs Papier zu bringen, sondern auch in diplomatischer Mission der Stadt zu dienen. Wir werden Ihn in Kenntnis setzen, sobald

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