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nach 1933 anbieten. Obwohl Adolf Haas in seinen Lebensläufen nie angab, warum er sich nicht für die bereits etablierte SA, sondern für die kleine SS entschieden hatte, lockte ihn wie Tausende andere sicherlich ihr elitärer Ruf.

      Ab 1931 begann die SS auch in ländlichen Gebieten, nach dem Vorbild der SA komplexere Hierarchien aufzubauen: Die kleinste Einheit von mehreren Dutzend Mann war ein Sturm. Meist bildeten vier Stürme einen Sturmbann, je drei Sturmbanne eine Standarte, die wiederum in Abschnitte und Oberabschnitte zusammengefasst wurden. Der Westerwald zählte zum Gebiet des SS-Oberabschnitts „Rhein“ (später „Rhein-Westmark“), der seinen Sitz in Wiesbaden hatte. Noch vor der „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten bewarb sich Adolf Haas am 1. April 1932 bei der Hachenburger SS. Nach einer Anordnung Himmlers mussten in der Regel alle Bewerber ab Januar 1932 eine Musterung bestehen, bei der ein SS-Arzt über 50 Kriterien bewertete, darunter Größe, Gewicht, Zustand der Muskulatur, Intelligenz, Temperament oder Geltungsbedürfnis. Die „Anwärter“ schafften sich danach eine Uniform an und begannen ihren Dienst auf Probe, bis der Bescheid kam.91 Haas musste gerade einmal eine Woche warten: Ab dem 8. April 1932 war er offiziell ein SS-Mann mit der Nummer 28.943. Mit 38 Jahren zählte er nun im wahrsten Sinne zu den „Alten Kämpfern“ der Partei.92

      Mit dem Bedürfnis, der „leistungsfähigsten und opferwilligsten Propagandaorganisation“ anzugehören, verpflichteten er und andere sich bewusst und bereitwillig, die Ziele ihres „Führers“ radikal und ohne Widerspruch zu unterstützen – bis in den Tod. „SS-Mann, Deine Ehre heißt Treue“, lautete ihr Eid. „Die so konzipierte ‚Sippengemeinschaft‘ machte die Schutzstaffel zur radikalsten rassistischen Tat- und Täterorganisation des Nationalsozialismus“, schreibt Bastian Hein.93 Die SS übernahm nicht nur bei der „Verteidigung“ der nationalsozialistischen Bewegung gegen politische Gegner eine Schlüsselrolle, sondern vor allem bei den „volkszüchterischen“ Aufgaben der „Ausmerze“: bei der Verfolgung und Ermordung von Homosexuellen, „Erbkranken“, „Asozialen“, Zeugen Jehovas, von Sinti und Roma – oder beim Holocaust.

      2. Der Aufsteiger

      Karriere in der nationalsozialistischen Bewegung und Allgemeinen SS

      1932–1940

      Westerwald, Mainz, Wiesbaden

      Wo er sein Kreuz setzte, war klar. Im Frühjahr 1932, als Adolf Haas in die SS eintrat, durften die Deutschen zum letzten Mal in ihrer Geschichte direkt ihr Staatsoberhaupt wählen. Bereits bei dieser Reichspräsidentenwahl gaben in Hachenburg 42,8 Prozent, darunter sicher auch Haas, ihre Stimme dem NSDAP-Vorsitzenden Adolf Hitler. Das waren sechs Prozent mehr als im Reichsdurchschnitt. Durch die Unterstützung von SPD, Linksliberalen und der Zentrumspartei ging zwar der alte Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg als Sieger hervor. Es deutete sich aber schon an, was Konrad Adenauer später über Hachenburg und den Westerwald bemerkte: „Die ganze Gegend war durch und durch nationalsozialistisch.“94 Die Wahlergebnisse der NSDAP in den frühen 1930er-Jahren zeigten, dass bald „über die Hälfte der wahlberechtigten Personen in Hachenburg entweder Sympathien für die neuen Machthaber hegte oder zumindest irgendwie ‚Hoffnungen‘ auf die Nationalsozialisten setzte, die damals schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse zu ändern“, schreibt der Stadtchronist Stefan Grathoff.95

      Nach einigen gescheiterten Kabinetten infolge der Reichstagswahl im November 1932 ernannte Reichspräsident Hindenburg am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler – der Beginn einer zwölfjährigen Diktatur, die Deutschland und die Welt für immer veränderte. Trotz seines legalen Wegs zur Macht, hatte Hitler immer offen über seine radikalen Pläne gesprochen und geschrieben: Den Marxismus und die Juden, die er zu einem „jüdisch-bolschewistischen“ Feindbild verknüpft hatte, werde er „beseitigen“, Deutschland wieder aufrüsten, die Schmach des Versailler Friedensvertrages revidieren und „mit dem Schwert“ den vermeintlich nötigen „Lebensraum im Osten“ erobern.96 Wenige nahmen ihn ernst und viele – von konservativ bis links – unterschätzten ihn, seinen Rassenwahn, seine Machtgier und den sozialen Unmut, der Hitlers „Bewegung“ trug. Innerhalb kürzester Zeit und ohne große Gegenwehr verhängten die Nationalsozialisten einen permanenten Ausnahmezustand, hoben die Grundrechte auf, schalteten ihre Gegner mit scheinlegalen Maßnahmen und Gewalt aus und übernahmen schrittweise die staatlichen Machtinstrumente. Und Adolf Haas half tatkräftig mit.

      1. Mai 1933: Hunderte Hachenburger heben am Tag der nationalen Arbeit auf einer Kundgebung der Nationalsozialisten auf dem Alten Markt den rechten Arm zum „Deutschen Gruß". Der national umgedeutete Feiertag ging im ganzen Reich mit der Zerschlagung der freien Gewerkschaften einher.

      Eine Woche nach der folgenden Reichstagswahl am 5. März 1933 – der letzten, bei der noch mehr Parteien als die NSDAP auf dem Wahlzettel standen – gab es in Hachenburg Kommunalwahlen. Für die „Bürgerliste/Einheitsliste“ unter der Führung der nationalsozialistischen Partei kandidierte zum ersten Mal auch der Bäcker Adolf Haas. Seine SS-Männer schickte er los, um Flugblätter in ausgewählte Briefkästen zu werfen: „An alle jüdischen Wähler! Es wird dringend geraten, den Kommunalwahlen am Sonntag fernzubleiben.“97 Mit Erfolg: Kurz darauf stimmten am 12. März 54 Prozent der Hachenburger Wähler für die NSDAP.98 Einen Tag später feierten SS, SA und die Vereinigung „Stahlhelm“ ihren Wahlsieg. Sie zogen zur Schule, hissten dort die Hakenkreuz- sowie die schwarz-weiß-rote Reichsflagge und verbrannten später die zwei alten schwarz-rot-goldenen Fahnen auf dem Marktplatz.99 Ende März schickte die NSDAP-Ortsgruppe einen neuen Vertreter in die Stadtverordnetenversammlung – wahrscheinlich nicht, weil er besonders geeignet war, sondern weil es noch keine großen Alternativen gab. Engagement konnte man ihm aber nicht abstreiten.

      Bereits an seinem ersten Tag als Stadtverordneter der NSDAP stellte Adolf Haas am 28. März 1933 gleich zwei Anträge. Der erste, ein „Dringlichkeitsantrag“, bei dem es formal nur um die Zahl der Vertreter des Bürgermeisters und der Schöffen ging, wurde vertagt. Nachdem er zum Mitglied der Rechnungsprüfungskommission und der Kommission für Elektrizitäts- und Wasserversorgung gewählt wurde, stellte er am Ende der Sitzung einen banalen, aber weitaus folgenschwereren zweiten Antrag: Er forderte, die „von einem hiesigen israelitischen Geschäftsinhaber beschaffte Hakenkreuzfahne nicht mehr auf dem Rathaus zu hissen“.100 Bürgermeister Dr. Alexander Stollenwerk (Deutsche Zentrumspartei) und andere besonnene Stadtverordnete erklärten daraufhin, dass zwei Fahnen bei zwei Hachenburger Geschäftsinhabern beschafft worden waren, von denen keiner ihres Wissens Jude sei. Doch Vernunft half hier nicht. Auf Druck der NSDAP holte man die fragliche Fahne ein und übergab sie Anfang April der NSDAP-Ortsgruppe.101 Dabei blieb es natürlich nicht.

      Während der Sitzung am 15. Mai fragte der Stadtverordnete Haas dreist den Bürgermeister, wen er denn für den Kreisausschuss gewählt habe. Stollenwerk weigerte sich. Prompt folgte ein Misstrauensantrag gegen ihn. Der Bürgermeister genieße nicht das Vertrauen der NS-Einheitsliste und auch nicht das der Bevölkerung, was die Wahlen klar gezeigt hätten, erklärten die Nazis. Außerdem habe er einen unbedeutenden Besichtigungsgang dem Hissen der neuen Hakenkreuzfahne auf dem Rathaus vorgezogen. Am 30. Mai sollte über den Antrag abgestimmt werden. Nun warfen Haas und seine fünf Parteigenossen dem Bürgermeister auch noch vor, höchstpersönlich die zweifelhafte Hakenkreuzfahne bei einem jüdischen Geschäftsmann bestellt zu haben. Schließlich nahm die Versammlung den Misstrauensantrag an – mit sechs Ja-Stimmen und fünf Enthaltungen. Die unterlegenen fünf Zentrumspolitiker hatten nicht einmal den Mut aufgebracht, gegen die sechs Nationalsozialisten mit Nein zu stimmen.102 So wie ihre 73 Kollegen im Reichstag am 24. März 1933 ohne Ausnahme für Hitlers „Ermächtigungsgesetz“ und damit letztlich für die Selbstentmachtung des Reichstages stimmten, so wollten auch die Hachenburger Zentrums-Vertreter die neuen Herrschenden nicht verprellen. Umgehend trat nun NSDAP-Kreisleiter Karl Scheyer als kommissarischer Bürgermeister an die Stelle des im Stich gelassenen Alexander Stollenwerk.103

      Damit nicht genug. Am Tag nach der Sitzung konnte man in der „Westerwälder

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