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Ein Monat … drei … vielleicht mehr. Ich gelangte an das Ende eines Schachts, der in einen größeren Gang mündete und sah sie zunächst nicht. Ihre schwarze Kleidung, ihr schwarzes Haar und ihre schwarze Haut verschmolzen nahtlos mit der Dunkelheit. Sie wandte den Blick und ihre großen, weißen Augen leuchteten im schummrigen Licht des Rumpfes. Es sah aus, als lausche sie. Hatte sie mich gehört?

      Dann wandte sie sich der Tür zu, vor der sie stand, und fing an, mit einer Nadel im Schloss herumzustochern. Es gab viele verschlossene Türen im Unterrumpf. Mindestens genauso viele wie bewachte Durchgänge oder Fallen.

      Ich kroch lautlos aus dem Versteck und richtete mich auf. Mir war nicht bewusst, dass ich mit dem rostigen Metallsplitter in der Hand bedrohlich wirkte. Unschlüssig ließ ich den Blick auf dem schwarzen Haarschopf des Mädchens ruhen. Wie hatte Sam sie genannt?

      „Ne … Negrita?“

      Das Mädchen wirbelte herum und hob die Hand. Ihre Finger umschlossen ein rundes Fläschchen, das eine durchsichtige Flüssigkeit enthielt.

      „Das ist Vacuúm, ein so starkes Gift, dass allein seine Dämpfe tödlich sind. Zwing mich nicht, es zu zerbrechen.“ Ihre Augen weiteten sich. „Dich kenn ich doch.“ Sie lächelte und zeigte makellos weiße Zähne. „Aber ja. Du bist dieser Junge, den Sam damals vor Chemo gerettet hat. Du weißt schon, der Kerl mit dem halb geschmolzenen Gesicht. Chemo hielt dich für tot. Ich auch, um ehrlich zu sein. Wenn du klug gewesen wärst, hättest du mir dieses Ding in den Rücken gestoßen und meine Leiche geplündert.“

      „Bitte … Negrita … hilf mir.“

      Das laute Klong eines Schotts, das aufgestoßen wurde, ertönte, gefolgt von Rufen und Fußgetrappel.

      „Nur Sam nennt mich Negrita“, sagte das Mädchen. „Mein Name ist Teena.“ Sie musterte mich kurz, und ich glaubte, einen Funken Mitleid in ihrem Blick zu sehen. „Ich kann dir nicht helfen, Kleiner. Das kannst nur du selbst. Um hier zu überleben, beachte Folgendes: Bleib immer im Schatten. Stiehl, was du stehlen kannst.“ Sie wandte sich ab und stocherte erneut in dem Schloss herum. Es klickte. „Und wenn sich dir die Gelegenheit bietet, jemanden zu töten“, schloss sie und schlüpfte durch den Spalt in der Tür, „zögere nicht. Sonst tötet er dich. Adiós.“

      Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss.

      „Hier entlang“, rief jemand mit der unverkennbar dumpfen Stimme eines Perlsüchtigen und die Schritte wurden lauter. Hastig zog ich mich in den Schutz des Schachtes zurück. „Sie ist durch diese Tür. Verdammt!“ Aus dem Dunkel des Schachtes heraus beobachtete ich, wie die Perlsüchtigen mit Rohren und Treibhölzern auf die Tür einschlugen.

      „Mach auf! Mach die Tür auf!“

      „Gib uns das Perl! Es gehört uns!“

      Vorsichtig kroch ich rückwärts, bis ich an eine Kreuzung gelangte, wo ich mich umdrehen konnte. In Gedanken versunken krabbelte ich durch die Dunkelheit, ohne zu wissen wohin. Für einen kurzen Moment hatte ich Hoffnung verspürt. Ob die Tür, durch die Teena verschwunden war, zum Sonnenlicht führte?

      Ich bog ab und kletterte die Sprossen eines Schachtes hinab. Ich gelangte in eine kleine Kammer, die in dämmrigem Licht schwamm, und blickte mich überrascht um. Ich war schon einmal hier gewesen. An meinem ersten Tag im Unterrumpf hatte hier ein alter Mann geschlafen, an dessen Ohr eine Ratte geknabbert hatte. Er lag auch heute wieder hier. Er hatte sich auf die Seite gedreht und schnarchte. Sein linkes Ohr war fort.

      Die Kammer hatte sich fast nicht verändert. Entlang der Wände reihten sich bis auf wenige Ausnahmen dieselben Gegenstände. Der Alte schlief unter seinem schmutzigen Lumpen. Der Geruch seines Getränks schwängerte die Luft.

      Ich dachte an Teenas Worte. Stiehl, was du stehlen kannst. Ohne Hast sammelte ich die Gegenstände ein und steckte sie in die Taschen. Sogar die Rattenschwänze.

      Mein Blick fiel auf den schlafenden Alten. Und wieder hörte ich Teenas Stimme. Töte ihn, sonst tötet er dich. Ich holte das rostige Messer hervor, das ich aus dem Sortiment des Alten gestohlen hatte. Mit gemischten Gefühlen betrachtete ich das rostbraune Metall, das matt im Schein der erlöschenden Fackel glänzte. Töten oder getötet werden. Hatte ich wirklich etwas von dem Alten zu befürchten? Wenn du ihn nicht tötest, wird jemand anders es tun. Zum Beispiel er selbst.

      Wie damals, als ich zum ersten Mal das Blut einer Ratte getrunken hatte, schien mir, als verließe ich meinen Körper. Ich sah mir selbst dabei zu, wie ich neben dem schlafenden Alten in die Knie ging, ihm das Messer an die Kehle setzte und sie ihm vom einen nicht vorhandenen Ohr bis zum anderen aufschlitzte.

       Blackworth

      Rauschen und Surren.

      „Du … hast einem alten Mann im Schlaf die Kehle durchgeschnitten?“ Eine Mischung aus Wut, Ekel und Furcht beherrschte die Züge des Sängers.

      End begegnete seinem Blick mit ruhiger Miene. „Ich habe nie behauptet, einer von den Guten zu sein.“

      „Einer von den Guten“, wiederholte der Sänger. „Diese Tat war abscheulich. Das ist krank. Das ist …“

      „Gang und Gäbe im Unterrumpf der Swimming Island gewesen“, beendete End den Satz. „Töten oder getötet werden. Ja, dieser Mann stellte keine Gefahr für mich dar. Ich übte an ihm. Übte, meine Skrupel zu überwinden.“

      „Ich sagte ja, sein Herz ist kalt wie Eisen“, sagte der Junge mit einer Mischung aus Furcht und Ehrfurcht.

      „Moment mal“, mischte sich jemand ein. „Von dem Versteck des Alten aus hättest du doch den Weg nach draußen zurückverfolgen können.“

      „Das habe ich auch“, entgegnete End. „Es brauchte einige Zeit, bis ich den Mut fand, die Schächte zu verlassen. Ich musste jedoch feststellen, dass der Zugang zum Batteriedeck nun bewacht wurde.“

      „Du hast also gelernt, zu überleben, indem du anderen das Leben nahmst“, konstatierte der Sänger. Mühsam unterdrückte Wut beherrschte seine Züge. „Wie viele hast du ermordet, End?“

      End zuckte die Achseln und erwiderte den Blick des Sängers mit unverändert ungerührter Miene. „Machst du mir Vorwürfe? Wie ist dein Name?“

      „Kenan. Kenan Rutter.“

      „Wie rettet man sich aus einem Albtraum, aus dem man nicht erwachen kann, Mr. Rutter?“, fragte End beinahe höflich.

      Rutter schwieg.

      „Ich werde es dir verraten. Man wird schlimmer als der Alb, der einen verfolgt. Ich kann beim besten Willen nicht sagen, wie viele Menschen ich tötete, während ich im Unterrumpf der Swimming Island lebte. Es müssen unzählige gewesen sein …“

       End

      Wahnsinn, Scharfsinn und Skrupellosigkeit. Dies sind die drei Dinge, die einen Menschen gefährlich machen. Nicht seine Stärke oder seine Waffen. Ein Muskelpaket mit einem Revolver in jeder Hand ist harmlos, wenn er zögert, dumm oder berechenbar ist.

      Ich bin schon immer klug gewesen. Mein Gewissen hatte der Unterrumpf verschlungen. Und mein Verstand sollte bald folgen. Ich war nur ein Kind, aber ich entwickelte mich bald zum Schrecken des Unterrumpfes. Zum Tod aus den Schatten.

      Meinen zweiten Mord beging ich an Olli. Er starb nicht durch meine Hand, aber durch meine List. Als ich den Weg zum Batteriedeck zurückverfolgt hatte, war ich beinahe ein zweites Mal in jenen Stolperdraht gelaufen, der eine tödliche Klinge aus der Wand klappen ließ. Jemand hatte die Falle wieder scharf gestellt.

      Nun trug ich den Siegelring und betrat den Hauptgang, auf dem der Pelz lebte. Ich wusste, wenn ich leise war, würde ich das Biest nicht anlocken. Ich wusste außerdem, dass unweigerlich jemand auf mich aufmerksam würde, wenn ich mich hier aufhielt. Viele Süchtige lauerten hier, um die Leichen zu plündern, die der Pelz zurückließ. Wenn jemand den Ring an meiner Hand sähe, würde er versuchen, ihn zu stehlen. Dann wollte ich ihn in den Gang lotsen, in dem der Stolperdraht gespannt war.

      Es

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