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gingen einmal um das Lampenhaus herum. Auf der anderen Seite war es windstill. Auch hier bot sich uns ein fantastischer Ausblick. Vor uns erstreckte sich der westliche Stadtrand von Treedsgow, daneben goldene Felder und grüne Weiden. Etwas abseits lag der Bahnhof. Alle Viertel wieder hielt dort ein Zug und brachte Güter aus anderen Teilen des Landes. Die Schienen schlängelten sich durch das Land, soweit das Auge sehen konnte. Stolz kündeten sie von der unaufhaltsam fortschreitenden Mobilität und weckten Träume von fernen Gegenden, die längst nicht mehr so fern waren, wie man glaubte.

      Ich nahm mir vor, bei der nächsten Gelegenheit mit Emily hierherzukommen.

      „Wir versuchen es nächstes Viertende nochmal im Fourier“, rief Ed wieder auf der anderen Seite des Lampenhauses. Ich nickte und zuckte mit den Achseln. Ed öffnete die Tür in den Turm, aber ich bedeutete ihm, kurz zu warten. Einmal wollte ich über den Rand der Klippe spähen. Ich umklammerte das Geländer, das sich trotz seines Zustands einigermaßen stabil anfühlte, und genoss das ziehende Gefühl in der Magengegend, das mir die schwindelerregende Höhe bescherte.

      Hinter mir ertönte ein dumpfer Schlag. Ich ahnte das Geräusch mehr, als dass ich es hörte. Ich wandte mich um. Da lag Ed mit nach innen gekehrten Augen am Boden. Über ihm stand Diane, in der Hand ein Messer. Eine riesige Beule wuchs auf Eds Schläfe.

      „Diane, was tust du?“, rief ich.

      „Was tust du“, äffte sie mich nach. Ein irrer Glanz lag in ihrem Blick. „Ich wusste, du würdest kommen, William David Walker.“

      Ich starrte auf das Messer. Die Klinge war gebogen und glänzte. „Willst du mich töten?“, hörte ich mich mit schwacher Stimme fragen. Der Wind riss meine Worte fort. Diane konnte mich nicht verstanden haben, aber die Antwort lag auf der Hand.

      „Ich habe dich gewarnt, Walker“, rief sie mit schriller Stimme und deutete mit der Spitze des Messers auf mich. „Mehr als einmal habe ich dich gewarnt.“ Zu meiner Überraschung sah ich Tränen in ihren Augen glitzern.

      „Ich weiß nicht, wovon du redest!“

      Diane trat vor und schlug mir ins Gesicht. Ich stolperte rückwärts, bis ich das Geländer im Rücken spürte. Warmes Blut spritzte aus meiner Nase, Tränen raubten mir die Sicht.

      „Hör endlich auf, das zu sagen!“, schrie Diane.

      Ich wischte mir das Blut von der Oberlippe und funkelte sie an. „Wenn du wenigstens mit dir reden lassen würdest“, schrie ich zurück. „Ich habe viertellang nichts von dir gehört …“

      Wieder schnellte Dianes Faust vor. Dieses Mal war ich vorbereitet. Ich stieß ihren Arm beiseite und fasste sie am Handgelenk. Diane reagierte darauf, indem sie mir zwischen die Beine trat. Dumpfer Schmerz explodierte in meinem Unterleib. Stöhnend fasste ich mir in den Schritt und stützte mich am Geländer ab.

      „Ich habe schon mit vielen Arschlöchern zu tun gehabt“, rief Diane gegen den Wind. „Aber du, Walker, du bist einfach nur gestört. Auf eine Weise der Schlimmste von allen, die mir je begegnet sind.“

      „Warum?“, presste ich unter Schmerzen hervor.

      Diane ignorierte die Frage. „Du und deine kleine Schlampe, ihr werdet bereuen, dass ihr mich nicht einfach in Frieden lassen konntet.“

      „Emily?“

      Beim Klang des Namens verzog Diane das Gesicht. „Sie ist gleich nach dir dran.“

      „Nein.“ Der Schmerz war vergessen. Ich richtete mich auf und sah gerade noch Dianes Faust ein weiteres Mal auf mein Gesicht zufliegen, ehe sie mit Wucht auf mein Auge krachte. Grelle Lichter blitzten auf, und ich musste mich erneut am Geländer abstützen. Das rostige Eisen ächzte.

      „Ich stelle dir frei zu springen, Walker“, sagte Diane. Ihre Stimme klang fern. „Hörst du mich? Es wäre deutlich angenehmer für dich.“

      Blinde Wut packte mich. Ich rappelte mich langsam auf und warf einen Blick in den Abgrund, um Diane glauben zu machen, ihr Angebot abzuwägen. Die tosenden Wassermassen erinnerten mich an ein Gehege voller Ungeheuer. Wellen, die fauchend und mit schnappenden Kiefern hochsprangen …

      Ich blickte auf und sah Diane ins Gesicht.

      Ein letzter Versuch. „Bitte …“

      „Spring!“

      Ich warf mich auf sie. Diane hob ihr Messer. Zu langsam. Ich packte sie am Handgelenk, drückte die Waffe nach unten und drängte sie zurück, bis sie mit dem Rücken gegen die Wand des Lampenhauses stieß. Sie knurrte und riss ihr Knie hoch. Es krachte schmerzhaft gegen meinen Oberschenkel, verfehlte aber zum Glück meine Genitalien. In blinder Panik griff ich in ihr blondes Haar und zerrte daran. Sie schrie und verpasste mir einen weiteren Hieb ins Gesicht. Ihre Fingernägel hinterließen blutige Striemen auf meiner Haut und verfehlten nur knapp mein geschwollenes Auge. Ich ließ von ihren Haaren ab, bekam auch ihr anderes Handgelenk zu fassen und presste es gegen die Wand des Lampenhauses. Diane mochte in Schwarzwasserhafen aufgewachsen sein und mehr Erfahrung im Kampf haben als ich, aber ich war stärker. Keuchend stemmte sie sich gegen meinen Griff an. Sie versuchte noch einmal, mir ihr Knie ins Gemächt zu rammen. Ich drehte mich weg und fing den Angriff mit meinem Oberschenkel ab.

      „Es reicht, Diane.“

      Sie stieß den Kopf vor. Ihre Stirn krachte schmerzhaft gegen meinen Unterkiefer und für einen Moment verließ mich jegliche Kraft. Sie befreite sich aus meinem Griff und schob mich von sich. Sie hob das Messer und setzte mir nach. In Todesangst wich ich zurück, stolperte über Ed und stürzte. Mein Ungeschick rettete mir das Leben. Dianes Angriff ging ins Leere. Unsanft prallte ich mit dem Rücken gegen das Geländer. Es knarrte, und ein metallenes Pling kündete vom letzten Atemzug einer Schraube. Das Geländer neigte sich bedrohlich. Auch Diane stolperte. Das Messer flog ihr aus den Händen und verschwand wirbelnd im Abgrund. Mit vorgestreckten Armen bekam sie den Handlauf des Geländers zu fassen und belastete es mit der gesamten Energie ihres Angriffs.

      Etwas knackte.

      Der Wind hielt den Atem an.

      Ein weiteres, metallisches Pling, und plötzlich hing mein Oberkörper halb über dem Nichts.

      Mit einer schnellen Drehung wälzte ich mich fort vom Abgrund. Aus den Augenwinkeln sah ich Diane mit den Armen rudern. Ich wandte den Kopf. Sie wankte, kippte … fiel. Ich sah sie zunächst sehr langsam stürzen. Sah ihr Gesicht, das zu einer Maske des Entsetzens erstarrt war. Unsere Blicke trafen sich. Hilfesuchend spreizte sie die Finger ihrer vorgestreckten Hand, als es längst zu spät war.

      Sie fiel immer schneller. Über den Rand der Klippe hinaus, hunderte Meter tief, fiel und fiel, bis sie zuletzt mit der kinetischen Energie einer Kanonenkugel auf der aufgepeitschten See zerschmettert wurde.

      Auf halber Höhe fing sie an zu schreien. Ein schriller Laut, der über meine Trommelfelle schrammte und mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Ich konnte den Blick nicht abwenden, konnte den Griff nicht vom Rand der Plattform lösen, um mir die Ohren zuzuhalten.

      Der Wind stimmte wieder sein Gebrüll an, lauter und zorniger denn je.

      Als Diane längst nicht mehr zu sehen, geschweige denn zu hören war, lag ich immer noch da, unfähig mich zu rühren. Die Zeit stand still, während die furchtbare Wahrheit sich in mein Hirn bohrte. Diane war tot. Tot! Verrückt oder nicht, sie war in die Tiefe gestürzt und würde nie wieder ein Wort sprechen. Nie wieder lächeln, nie wieder singen. Wie hatte es soweit kommen können?

      Hinter mir stöhnte Ed. „Is‘ mir schlecht“, murmelte er beinahe unhörbar durch den Wind und setzte sich mit der Hand an der Schläfe auf. Er sah mich an und erstarrte in der Bewegung. Mir wurde bewusst, wie schrecklich ich aussehen musste; blutverschmierte Nase, geschwollenes Auge, Schrammen quer über das Gesicht. „Was ist passiert?“

      W. D. Walker

       1. ÄHRENGOLD 1713, RUHENACHT

      Diane ist vor einem Monat gestorben. Erst jetzt scheine ich aus diesem Albtraum zu erwachen …

      Ich

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