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Studenten sind unter uns.“ Einige lachten. „Nein, Riesenpilzmedusen können kein eigenes Chlorophyll synthetisieren. Sie leben in Symbiose mit Algen. Die Algen befinden sich von Geburt an in ihrem Leib. Die Medusen versorgen sie mit Wasser und allen nötigen Nährstoffen. Wie Sie vielleicht sehen, verehrte Damen und Herren, hängen einige Tentakel des Medusajungen noch immer im Wasser.“ Erst jetzt, da der Biologe es sagte, bemerkte ich die Schnüre. Im schwindenden Tageslicht waren sie kaum zu sehen. „Riesenpilzmedusen transpirieren Wasser über ihre Oberfläche. Dadurch entsteht ein sogenannter Transpirationssog, der frisches Wasser über feine Leitungen in den Tentakeln nachzieht. Die Algen im Innern der Tiere werden bestens versorgt und müssen dazu bloß einen kleinen Teil ihrer erwirtschafteten Energie an die Medusen abgeben.“

      „Warum hält dieses Vieh sich an der Leuchte fest?“, fragte jemand aus der Menge, der Ausdrucksweise nach zu schließen kein Student.

      „Nun, wie es scheint, wurde dieses Junge von seiner Herde getrennt, vielleicht während des Sturms vor drei Vierteln. Jungtiere halten sich von Zeit zu Zeit an den Tentakeln ihrer Eltern fest. Offensichtlich hält dieses hier die Straßenlaterne für einen biolumineszierenden Artgenossen.“ Verhaltenes Lachen ging durch die Reihen der Staunenden.

      Wir bewunderten noch lange das Medusajunge, bis es sich schließlich von der Straßenlaterne löste und mit dem Wind aufs offene Meer hinaustrieb. Während Emily und ich Arm in Arm beobachteten, wie sein leuchtender Leib schrumpfte, gab es jäh ein langgezogenes Klagen von sich, das an das Heulen eines einsamen Wolfes erinnerte. Nur war es dunkler und viel lauter. Der Ton verlor sich in der Ferne. Ich hoffte innig, dass der Ruf dieses verlorenen Geschöpfes irgendwo auf die Ohren seiner Herde traf.

      „Danke, William“, sagte Emily, als wir spät nachts im Treppenhaus vor ihrer Wohnungstür standen.

      „Wofür?“

      „Für diese unvergessliche Nacht.“

      Ich wollte sagen, dass es nicht mein Verdienst sei, diesem Medusajungen begegnet zu sein, da kam Emily ganz nahe an mich heran. Ich hielt den Atem an. Seit sie mich vor drei Vierteln zurückgewiesen hatte, hatten wir uns nicht mehr geküsst. Inzwischen verzehrte ich mich danach, ihre Lippen auf meinen zu fühlen. Trotzdem fasste ich sie an den Schultern und hielt sie mit sanfter Gewalt zurück. Sie hob die Brauen.

      „Was ist mit, wir wollen das Übel nicht herausfordern?“, fragte ich.

      „Vergiss das“, sagte sie. „Ich will dich küssen.“

      „Warte mal“, sagte ich und hielt sie weiterhin zurück. „Wieso ist es jetzt in Ordnung?“

      Sie blies die Wangen auf. „Das würdest du nicht verstehen“, murmelte sie und wich meinem Blick aus.

      „Versuch es doch einfach.“

      Aber Emily schwieg, die Augen auf einen Punkt hinter mir geheftet.

      „Emily?“ Ich folgte ihrem Blick und dann sah ich es.

      Im Holz der Tür steckte ein Messer. Dianes Messer. Mir wurde kalt. Wie vom Anblick der Waffe hypnotisiert starrte ich auf den Griff. Warum hatte Diane das getan? Wollte sie uns Angst machen? Uns drohen? Wartete sie vielleicht in Emilys Wohnung? Bei dem Gedanken lief es mir eiskalt den Rücken hinab.

      Dann bemerkte ich etwas Merkwürdiges. Ich sah genauer hin, und eine schwarze Substanz, die dem Griff der Waffe anhaftete, offenbarte sich mir. Wie Teer oder Pech sah sie aus. Vor meinen Augen löste sie sich in Rauch auf und war binnen Sekunden verschwunden. Ich packte den Griff und zerrte daran. Die Klinge rührte sich kaum. Blanke Wut hatte sie tief ins Holz getrieben. Ich zog fester und befreite sie mit einem Ruck. Die silberne Klinge glitzerte im schwachen Licht, das durch die Fenster des Treppenhauses hereinfiel. Eiskristalle überzogen die Oberfläche des Stahls, als hätte der Dolch eine Nacht lang in frostiger Kälte gelegen. Genau wie die schwarze Substanz zuvor taute das Eis in kürzester Zeit und hinterließ nicht einmal Wasser. Ich sah zu Emily, um mich zu versichern, dass mich die Sinne nicht täuschten. Aber Emilys Aufmerksamkeit galt etwas Anderem. Ich folgte ihrem Blick. In eckigen Großbuchstaben hatte jemand – zweifellos Diane – ein einzelnes Wort ins Holz der Tür geschnitzt:

       HURE

      W. D. Walker

       31. FEENMOND 1713, SONNNACHT

      Emily hatte Angst. Ich musste immerzu daran denken, was Gary über Diane erzählt hatte. Dass sie aus Schwarzwasserhafen kam und nicht mehr ganz dicht im Kopf sei. Offenbar hatte er damit nicht Unrecht.

      Auf der anderen Seite machte ihr Verhalten mich wütend. Ich hatte mich ihr gegenüber nicht ganz richtig benommen, ja, aber sie hätte mich wenigstens anhören können. Stattdessen erfand sie irgendeine aberwitzige Geschichte, ließ viertellang nichts von sich hören und rammte dann ihr Messer in Emilys Tür. Was bezweckte sie damit? Wollte sie uns einschüchtern? Uns drohen?

      „Sie benimmt sich unvernünftig“, sagte ich wütend zu Ed.

      „Reg dich ab und trink ein Bier“, meinte er bloß. Ich hatte Emily angeboten, bei uns zu übernachten. Sie hatte sich kaum getraut, ihre Wohnung zu betreten aus Angst, Diane könne dort auf sie warten. Ihr Schloss hatte keine Einbruchspuren aufgewiesen, soweit sich das im Dunkeln beurteilen ließ, also wagte ich einen Vorstoß. Dianes Messer in der Rechten verlieh mir zusätzlichen Mut. Während ich jeden Raum einzeln inspizierte und sogar in die Küchenschränke schaute, blieb Emily unentwegt in meiner Nähe. Erst als wir sicher waren, dass niemand da war, sammelte sie hastig alles Nötige für eine Übernachtung ein, und wir verließen die Wohnung.

      Ed war an diesem Abend noch wach und glücklicherweise nicht aus. Ihn in unserer Nähe zu wissen, gab mir ein gutes Gefühl, nicht zuletzt deshalb, weil er groß und kräftig gebaut ist.

      Ich öffnete den Bügelverschluss der Flasche, hob sie energisch an die Lippen und verschluckte mich prompt. Ich hustete und hatte das Gefühl, Schaum käme mir gleich zu beiden Nasenlöchern heraus.

      „Ich stelle sie morgen zur Rede“, keuchte ich und tupfte den Hals meiner Flasche ab.

      „Alleine? Hast du sie noch alle? Sie ist verrückt. Melde den Vorfall dem Konstabler.“

      Ich schüttelte den Kopf. „Sie würde es abstreiten“, sagte ich. „Ich könnte nicht beweisen, dass das Messer ihr gehört.“

      „Vielleicht ist es ja auch gar nicht von ihr“, gab Emily zu bedenken.

      Ich schüttelte den Kopf. „Es ist ihr Messer.“

      „Woher weißt du das?“

      „Ich … hab es schon einmal bei ihr gesehen.“

      „Also gut“, sagte Ed widerwillig. „Statten wir ihr morgen einen Besuch ab.“

      Ich hob die Brauen. „Du kommst mit?“

      Ed grinste. „Ja, glaubst du, ich lasse es mir entgehen, wenn mein Mitbewohner von einem Mädchen verprügelt wird?“ Emily lachte. Ich boxte Ed freundschaftlich gegen die Schulter und trank noch einen Schluck Bier. Ich war immer noch wütend und besorgt, aber ich fühlte mich besser.

      Ed trank ebenfalls. Dann fiel sein Blick auf einen Punkt unterhalb meines Kinns. Er runzelte die Stirn. „Was trägst du da eigentlich um den Hals?“

      Ich verschluckte mich beinahe wieder. Mist! Bis jetzt hatte ich das Mojo vor Ed verbergen können. „Nichts Besonderes“, sagte ich und erhob mich. „Es ist schon spät. Wir sollten versuchen, zu schlafen.“

      „Moment mal, Freundchen.“ Auch Ed erhob sich und versperrte mir den Weg. „Zeig das mal her.“ Widerwillig holte ich das Mojo unter meinem Hemd hervor. Ed betrachtete es einige Sekunden lang schweigend und sah dann mit hochgezogenen Brauen abwechselnd von mir zu Emily.

      „Was ist das?“, insistierte er, als niemand eine Erklärung von sich gab.

      „Ach das“, sagte ich, während ich fieberhaft nach einer Ausrede suchte. Ich schalt mich selbst einen Dummkopf, weil ich mir nicht längst eine zurechtgelegt hatte. „Das

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