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      Kim Kestner

       Zeitrausch

       Spiel der Gegenwart

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      Kim Kestner, 1975 in Gifhorn geboren, studierte visuelle Kommunikation und leitete eine Marketing-Agentur, bevor sie mit dem Schreiben begann. Seither veröffentlicht sie erfolgreich Jugendromane. Ihre Zeitrausch-Trilogie wurde als zweitbestes E-Book mit dem Lovelybooks-Publikumspreis ausgezeichnet. Nun erscheint die Trilogie erstmals als Taschenbuchausgabe beim Arena Verlag. Kim Kestner wohnt mit ihrer Familie, Dackel Socke und einem Terrier, der glaubt, »Pfui aus« zu heißen, südlich von Hamburg.

      Mehr unter www.kim-kestner.de

      Weitere Bücher von Kim Kestner im Arena Verlag: Anima. Schwarze Seele, weißes Herz Sakura. Die Vollkommenen Zeitrausch. Spiel der Vergangenheit Zeitrausch. Spiel der Zukunft

       Für Thomas (ohne dich hätte ich nie alle Wirrungen entknoten können)

      1. Auflage als Arena Taschenbuch 2018

      © 2018 Arena Verlag GmbH, Würzburg

      Alle Rechte vorbehalten

      Dieses Buch ist eine überarbeitete Fassung des gleichnamigen E-Books

      Zeitrausch. Spiel der Gegenwart, das erstmals 2014 in anderer Ausstattung bei Carlsen Impress erschienen ist. Dieses Werk wurde vermittelt durch die AVA international GmbH Autoren- und Verlagsagentur, München. Covergestaltung: Carolin Liepins ISBN 978-3-401-80801-7

       www.arena-verlag.de www.twitter.com/arenaverlag www.facebook.com/arenaverlagfans

       0.

      Ich bin Alison Hill. Ich treffe meine Entscheidungen selbst. Ich werde keinen Kampf an Sam Oscars Stelle führen. Und ich werde hiernach nie wieder in die Geschichte eingreifen, ich werde endlich meinen Frieden finden, denn sie alle werden glauben, ich sei tot.

       1.

      Mitte Januar 1853, Kalifornien

      Die kalte Nachtluft wirkt wie ein Kübel Wasser, der mich aus einem wunderbaren Traum reißt. Eben noch habe ich einen Blick in die Zukunft geworfen. In meine Zukunft. Es hätte auch die einer anderen Alison sein können, die ich habe heiraten sehen, eine aus den unendlich vielen parallel existierenden Realitäten. Aber so war es nicht. Die Braut, mein älteres Ich, zwinkerte mir zu, kurz bevor Sam Oscar mich wieder in die Vergangenheit riss. Sie wusste von meinem Erscheinen, da es Teil ihrer Erinnerungen war. Sie und ich sind dieselbe Person, was bedeutet: Ich werde Kay heiraten!

      Nichts anderes zählt mehr.

      Sam Oscar lässt meine Hand los und wendet sich mir zu. Seine dunkle Silhouette kann ich in der sternenlosen Nacht nur erahnen.

      »Ist das eine Perspektive für dich? Grund genug zu kämpfen?«, fragt er. Seine Stimme zittert leicht.

      »Sie meinen, wieder in die Geschichte einzugreifen?«

      »Ich meine, Zeitreisen an sich zu verhindern, damit sich Top The Realities nicht derart menschenverachtend entwickeln wird und niemand sterben muss, um den Unterhaltungswert der Show zu steigern. Dieser ganze Rattenschwanz muss an seiner Wurzel abgetrennt werden. Nur dann kann es auch eine Zukunft für dich, für euch, geben. Verstehst du, Alison?«

      Ich schüttle schweigend den Kopf, bis mir klar wird, Sam Oscar kann meine stumme Antwort in der Dunkelheit nicht sehen. »Das alles hier ist nicht mehr mein Problem. Sie haben es selbst gesagt, oder? Ich bin frei.«

      »Nur weil du durch die Zeit springen kannst, bedeutet das nicht, dass du frei bist«, antwortet Oscar.

      »Du kannst dir sicher sein, dass sie, die Ports –«

      »Ports?«

      »So werden die Männer genannt, die dich verfolgt haben. Eine aus dem Boden gestampfte Söldnertruppe. Ich habe am Rande mitbekommen, wie die Regierung meiner Zeit massenhaft Männer anwarb. Vom Militär, der Polizei, sogar von privaten Wachdiensten. Ein überaus gut bezahlter Job. Was Zeitreisen betrifft, dürften sie jedoch nur eine mangelhafte und sehr kurze Ausbildung genossen haben. Trotzdem, jeder von ihnen weiß, wie man tötet. Und das werden sie. Dich jagen und töten, so ungern ich es sage.« Oscar berührt meine Schulter, drückt sie leicht. »Alison. Du musst bald handeln. Sehr bald. Überrasche sie. Tue nichts, was sie erwarten könnten.«

      Ich wende mich ab. Ich kann Oscars Gerede über meinen einsamen Kampf gegen eine Übermacht aus der Zukunft nicht mehr hören und versuche auch nicht mehr zu verstehen, wieso ich tun sollte, was er mir prophezeit. Denn so wird es nicht kommen. Es liegt in meiner Hand. Wenn ich die richtigen Entscheidungen treffe, löst sich das, was er zu wissen meint, für mich auf.

      Einfacher gesagt: Ich werde niemals versuchen, Zeitreisen zu verhindern! Es gibt immer eine Alternative. Meine Alternative ist der Freitod. Natürlich werde ich mich nicht wirklich umbringen. Ich bin kaum in der Lage, mich selbst zu verletzen – obwohl ich es schon musste –, aber niemals würde ich mir tatsächlich das Leben nehmen. Die Ports, Top The Realities, Wum Randy und alle anderen werde ich allerdings glauben lassen, dass ich Suizid begehe. Es wird vor ihren Augen geschehen.

      Meine Show wird ihre bei Weitem toppen und wenn sie mich tot glauben, werden sie keinen Grund mehr haben, mich zu verfolgen. Der Störsender an meinem Handgelenk verschleiert das Signal meines Markers. Niemand wird feststellen können, ob ich noch lebe.

      Wenn mein Plan gelingt, kann ich mich endlich, endlich zu Kay portieren und dann werden wir unsere Zukunft neu schreiben. Und mein Plan wird gelingen! Denn anders ist es nicht zu erklären, dass ich uns habe heiraten sehen. Meine Familie und Freunde waren dabei. Niemand wirkte so, als drohe Gefahr. Wir alle sahen gelöst und glücklich aus.

      Ich seufze bei dem Gedanken an das, was ich vorhabe. Es bedeutet ein großes Opfer. Nicht für mich, sondern für Kay, der mit dem Glauben an meinen Tod weiterleben muss. In diesem Fall wird sich eine Vorsehung erfüllen. Mein Tod ist bereits Teil seiner Vergangenheit. Er steht quasi fest. Kay hat mir vor über 2 Jahren erzählt, er habe mich sterben sehen. Ich hätte mir vor seinen Augen den Marker herausgeschnitten, was mich das Leben gekostet hat.

      Und genau so wird es geschehen.

      Ich werde einige Stunden zurückspringen, linear gesehen, zurück auf den Hügel, zu unserer Hütte, genau in den Moment, da unzählige Ports mich umbringen wollten. Diese Arbeit werde ich ihnen jetzt abnehmen. Doch damit es wirklich glaubhaft ist, muss ich es in Kays Nähe tun.

      Dazu werde ich den Moment wählen, da er im Sterben lag. Blutüberströmt auf der Wiese, einen Speer in seiner Brust, kaum noch bei Sinnen. Ich werde den Ports weismachen, ich könnte ohne Kay nicht mehr leben, und das Messer an meinen Marker setzen. Tatsächlich aber werde ich eine mit Blut gefüllte Tierblase zerstechen und gleichzeitig ein sehniges Stück Fleisch des Tieres lösen, sodass es so wirken wird, als sei es ein Teil von mir. Genau der Teil, mit dem der Marker verwoben ist. Im gleichen Augenblick werde ich mich von dort wegportieren. Mich in Luft auflösen, denn ich bin mir ziemlich sicher, dass der tote Körper eines Zeitreisenden in seine Realität und ursprüngliche Gegenwart zurückkehrt.

      Ziemlich sicher. Aber nicht hundertprozentig. Vielleicht bringt der Marker ihn auch in die Zukunft zurück. Dann wüssten sie sofort, dass ich nicht tot bin. Es ist die einzige Schwachstelle in meinem Plan. Aber die werde ich auch noch ausmerzen. Um wirklich Gewissheit zu haben, werde ich Sam Oscar nach diesem Detail fragen müssen, ohne dass er Verdacht schöpft. Und dann werde ich endlich frei sein! Wirklich frei.

      Kay jedoch wird einen hohen Preis für diese Freiheit zahlen. Er wird, kurz nachdem ich letztmalig den Hügel voller Ports verlassen habe, zurück in die Zukunft portiert und medizinisch versorgt werden, nur um gleich darauf Teil der 31. Staffel von Top The Realities zu werden. 2 Jahre lang. All die Zeit wird er überzeugt sein, ich sei tot. Für mich hingegen werden nur Sekunden vergehen, bis ich ihn nach diesem Martyrium aufsuchen und die erlösenden Worte sagen kann: »Ich bin hier.

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