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      Kirsten John

      Die Nachsitz-Profis

      Allein unter Schnappschildkröten

       Kirsten John

      denkt sich Geschichten aus, seit sie zehn Jahre alt ist. Eine Zeit lang schrieb sie nach der Schule, dann während des Studiums, schließlich neben ihrer Arbeit als Redakteurin bei einem Stadtmagazin. Irgendwann konzentrierte sie sich ganz und gar darauf und veröffentlicht seitdem Bücher für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Mit Hund und Familie lebt sie im schönen Ulm.

      Miryam Specht,

      Jahrgang 1970, hat sich das Malen und Zeichnen selbst beigebracht und arbeitet als freischaffende Illustratorin für verschiedene Verlage. Sie lebt mit ihrem Mann und Sohn auf einer kleinen Insel, wo sie sich mit Pinsel und Farbtopf wunderbar durch den Tag träumen kann.

      Ein Verlag der westermann GRUPPE

      1. Auflage 2020

      © 2020 Arena Verlag GmbH

      Rottendorfer Str. 16, 97074 Würzburg

      Alle Rechte vorbehalten

      Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische

      Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

      Cover und Innenillustrationen: Miryam Specht

      Umschlaggestaltung: Juliane Lindemann

      Satz: Malte Ritter

      E-Book-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmund, www.readbox.net

      E-Book ISBN 978-3-401-80898-7

      Besuche den Arena Verlag im Netz:

       www.arena-verlag.de

      »Das ist jetzt nicht dein Ernst.« Clara starrt auf das düstere, menschenleere Gebäude, das vor ihr aufragt, seine von Efeu bewachsenen Backsteine, die blicklosen Fenster. Noch nie ist ihr die Schule so verloren vorgekommen. So einsam. Es hat die ganze Nacht über geregnet und auf den Scheiben glitzern Wasserschuppen. »Ich kann das nicht glauben!«

      »Solltest du besser.« Ihre Mutter zupft sich einen unsichtbaren Fussel von der Bluse. Ihre Perlenkette klackert, als sie dagegenstößt. »Das hast du dir alles selbst zuzuschreiben.« Sie lässt den Motor des Autos laufen, um deutlich zu machen, wie eilig sie es hat. Dass sie Besseres zu tun hat, als ihre Tochter an einem Samstag zur Schule fahren zu müssen. Sie hat noch einen Termin beim Friseur, im Sportclub, ist mit Freundinnen zum Essen verabredet. Es ist klar, dass sie Clara nur absetzen wird vor dieser einsamen, schuppigen Schule und keineswegs die Absicht hat, sie hineinzubegleiten.

      »Aber es regnet!«, versucht Clara es ein letztes Mal. »Man kann im Regen keinen Garten umgraben!«

      »Ihr sollt keinen Garten umgraben, ihr sollt ihn gestalten.«

      »Das kann man bei Regen auch nicht.«

      »Das hast du dir selbst zuzuschreiben«, entgegnet ihre Mutter nur und Clara sagt: »Na toll.« Sie steigt aus dem Auto und schmeißt die Autotür so fest zu, wie sie nur kann. »Na toll!«, schreit sie dem davonbrausenden Wagen noch einmal hinterher.

      Das Backsteingebäude vor ihr ist dunkel vor Nässe, das Efeu hängt an ihm wie eine Eidechsenhaut. Eine Schule an einem unterrichtsfreien Tag ist nicht einfach ein leeres Gebäude. Es ist völlig verändert. Muss nicht mehr die vielen Kinder erdulden, die wie Mäuse in seinen Gängen umherhuschen, den Schulhof verwüsten, überall Kakaobecher hinschmeißen oder die Wände bekritzeln. Muss nicht all die vielen Tritte und das Türenschlagen ertragen, das ihm den Mörtel aus den Fugen bröckeln lässt. Oh nein. Ein Schulgebäude, das freihat, ist groß und mächtig und überhaupt nicht zu Scherzen aufgelegt. Es könnte Kinder verschlucken und nie wieder auftauchen lassen, so sieht es nämlich aus.

      »Na toll«, murmelt Clara ein drittes Mal, packt ihre Tasche fester, die sie sich umgehängt hat, und geht auf den höhnisch grinsenden Eingang zu.

      Die Tür knarzt beim Öffnen, was Clara vorher noch nie bemerkt hat, ein Geruch von Reinigungsmitteln und Feuchtigkeit schlägt ihr entgegen. Ihre Schuhe quietschen auf dem Boden. Der dunkle Messingkopf der Schulgründerin, der in der Eingangshalle aufgestellt ist, sieht sie mit blinden Augen an.

      »Ha… hallo?«, ruft Clara in das Gebäude, doch natürlich antwortet ihr niemand. Nur die Bilder, die an der Wand im Flur hängen und auf denen Umrisse von Händen zu sehen sind, rascheln leicht, als wäre irgendwo Wind. Sie eilt an der Cafeteria vorbei und den Flur entlang, während die Hände ihr winken. Claras Schuhe quietschen immer schneller und fast rennt sie auf die Tür zu, die zum Musikpavillon führt. Mit klopfendem Herzen zwingt sie sich, langsamer zu werden. Hier im Gang fällt durch die großen Fensterscheiben rechts und links mehr Licht herein, auch wenn der Ausblick auf den Betonhof deprimierend ist. Der Regen malt schräge Striche in das Grün der Bäume, auf einer großen Pfütze schwimmt ein leerer Kakaobecher. »Na toll«, murmelt Clara ein allerletztes Mal, dann atmet sie aus und drückt die Klinke der Tür zum Musiksaal herunter.

      »Du kommst zu spät«, begrüßt sie die streng aussehende Frau Seifert. Das strenge Aussehen hat sie ihrer Frisur zu verdanken, in der keine Strähne am falschen Platz sitzt, sich keine noch so vorwitzige Locke krümmt. Ihre Haare türmen sich zu einer sandfarbenen, uneinnehmbaren Burg, die von einer roten Schleife gekrönt wird. Als würde ihre Erbauerin jeden Morgen eine Siegesfahne hissen.

      »Es hat nicht geklingelt«, erwidert Clara als Entschuldigung und starrt zur Siegesschleife hinauf.

      »Es wird auch nicht klingeln. Die Klingel hat frei. Im Gegensatz zu mir.« Die Lehrerin scheint nicht erfreut darüber. »Setz dich«, befiehlt sie und deutet auf die hölzernen Sitzreihen vor ihr, die wie in einem Kino stufenweise ansteigen.

      Clara geht zu einem Platz in der ersten Reihe, klappt den Stuhl herunter und setzt sich auf seine äußerste Kante, ohne sich anzulehnen. Die Stühle, unter denen die Kaugummis von Generationen von Schülern kleben, sind mit Vorsicht zu behandeln. In die Lehnen sind Initialen und Herzen eingeritzt, und wenn man nicht aufpasst, bleibt man mit seinem T-Shirt oder seiner Bluse daran hängen. Mit steifem Rücken blickt Clara sich um.

      Es ist dämmerig und stickig. Einige der senfgelben bodenlangen Vorhänge sind halb zugezogen, vielleicht, damit man den verhangenen Himmel nicht so sieht. Die Holzpaneele an den Wänden wirken heute beinahe grau und der Flügel, der in der Mitte des Raums steht, ist mit einer schwarzen Haube abgedeckt.

      Überrascht stellt Clara fest, dass außer ihr noch drei Kinder im Saal sind. Ihre Mutter hat nur von zwei Mitschülern gesprochen, die wie sie zum Nachsitzen verdonnert wurden: »Einer aus deiner Bläserklasse. Und dieser Nette, dessen Familie im Argusweg wohnt, du weißt doch?«

      Der aus ihrer Bläserklasse ist Felix, er trägt eine Brille und ein Sweatshirt mit drei verschiedenfarbigen Fragezeichen drauf. Er spielt Waldhorn und starrt ansonsten ständig auf sein Handy, viel mehr weiß Clara nicht über ihn.

      Der Nette-dessen-Familie-im-Argusweg-wohnt ist Julian. Tatsächlich ist er nicht besonders nett, und wo er wohnt, ist Clara piepegal. Nur ihrer Mutter ist so etwas wichtig. Sie hat irgendwann einmal den Straßenplan der Stadt auswendig gelernt, mit den Grundstückspreisen verglichen und kann jetzt aus dem Namen der Straße auf das Wohngebiet und damit auf das Einkommen und den Beruf der Bewohner schließen. Und damit darauf, ob sie nett sind oder nicht. Wer in der richtigen Gegend wohnt, ist nett. Der Argusweg ist die richtige Gegend.

      Zu dritt sollen Felix, Julian und sie den Schulgarten »gestalten«, was immer das bedeuten soll. Als Strafarbeit, auch wenn sie es nicht so nennen dürfen: Es ist ein »freiwilliger sozialer Beitrag zum Jubiläumsfest

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