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berichtigte Julia sie: „Nein, das war er nicht, aber er hat ihn geschickt.“ „Und, wem gehört der Hund?“, fragte Papa. „Niemand. Der lief da ganz allein herum.“

      Später trafen sich alle vier zum Abendgebet am Bett der Mädchen. Julia, die Große, begann: „Danke lieber Gott, dass dein Hund uns geholfen hat…“ Weiter kam sie nicht, weil die kleine Schwester ihr ins Wort fiel: „Ja, lieber Gott, aber nimm ihn bitte wieder an die Leine, damit andere Kinder keine Angst vor ihm bekommen.“

       Schiedsrichter oder Engel?

      Fairness auf der Fähre

      Es war Freitagabend. Spät verließ Jürgen die Redaktion. Tief die frische Luft einatmend, machte er sich auf zum Hafenanleger an den Landungsbrücken. Obwohl es sehr windig war, tat ihm der längere Fußmarsch nach dem Sitzen in der verbrauchten Luft gut. Wie immer erreichte er eine der letzten Fähren, um über die Elbe zu setzen. Um diese Uhrzeit gab es viele freie Plätze. Diesmal zog es Jürgen allerdings nicht auf das offene Oberdeck, dort war es ihm zu windig. Er suchte er sich einen geschützten Platz unter Deck. Allerdings hatte Jürgen eine Eigenart, die seine Frau neckisch als Spleen bezeichnete. Nicht selten nämlich bevorzugte er Sitzreihen, in denen unangenehme Gestalten sich tummelten und andere zu belästigen drohten. Jürgen selbst sah diesen Drang als ein Erbe seines Vaters an. Der hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn besessen, was ihn auf Bürgersteigen mit Vorliebe durch breit angelegte Menschenreihen hindurch führte, die ohne Rücksicht auf Entgegenkommende den gesamten Gehweg einnahmen. Wie der Vater so der Sohn. Jürgen war sich dessen bewusst. Nicht selten hatte er sich schon mit Personen angelegt, die in ihrer Rücksichtslosigkeit anderen, vor allem alten und behinderten Menschen, entweder vor die Füße liefen, Türen vor der Nase zufallen ließen, oder Kinder in Bus und Bahn anpöbelten. Auch dumme oder beleidigende Bemerkungen gegenüber Frauen, Mädchen und Migranten brachten ihn in Rage.

      Jürgen war gewiss kein Held, auch kein Draufgänger – aber rüpelhaftes oder diskriminierendes Benehmen, nein, das konnte er nicht ertragen. Er wusste selbst, dass sein Verhalten hin und wieder übersteuert war. Trotzdem hatte es ihm in der Kirchengemeinde den Spitznamen „Der Gerechte“ eingebracht. Jürgen war mittelgroß und als ehemaliger Kugelstoßer und Diskuswerfer zudem kräftig gebaut. Nur, „du bist kein junger Mann mehr“, versuchte seine Frau den Mittfünfziger auf dem Boden der Realität zu halten. Nicht bange war Jürgen auch an diesem Abend, als er sich unter Deck einen Platz suchte. In einer Ecke saß ein jüngerer, unruhiger Mann mit einer Bierflasche in der Hand. Ein Teil des Flascheninhalts hatte sich am Boden zu einer übel riechenden Pfütze ausgebreitet, die hin und her schwappte. Die müde klappernden Augenlider des jungen Mannes, rote Wangen und ein beeinträchtigter Gleichgewichtssinn zeugten vom Grad seiner Trunkenheit. Wie magisch angezogen, denn da war sie wieder, die Erbmasse, setzte Jürgen sich ihm gegenüber.

      Der junge Mann nahm kaum Notiz von dem neuen Fahrgast. Wippte hin und her, stöhnte, sprang dann – von erkennbar innerer Hitze getrieben – auf und suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, das Fenster zu öffnen. Dabei verunreinigten weitere Spritzer aus seiner Bierflasche die Sitzbänke. Der junge Mann bemerkte es nicht, aber Jürgen umso mehr. Eine Weile schaute der sich das Treiben seines schwankenden Gegenübers an. Als der Betrunkene sich dann jedoch auf den Sitz stellte und mit seinem ganzem Körpergewicht an der Fensterverriegelung zog, wurde es Jürgen zu viel. „Nun ist aber gut“, rief er energisch. Erkennbar beleidigt drehte der Angesprochene sich zu ihm um. „Was willst du denn?“, maulte er verärgert. „Sie müssen ja nicht das Fenster kaputt machen“, entgegnete Jürgen. „Scheißegal,“ lautete die kurze Antwort des Betrunkenen. Dann erhob er sich, verließ seinen Platz und stellte sich in Jürgens Rücken. Dem Journalisten war nicht wohl. Er ahnte, was kommen würde. Abrupt blickte er sich um, sah die abwärts geneigte Bierflasche über sich, sprang auf und entkam so dem ihm zugedachten Bierschwall. Wütend stand er dem Trunkenbold gegenüber, der sich nun auch voll aufgerichtet hatte. „Mist, er ist bedeutend größer als ich“, dachte Jürgen. Damit nicht genug. Der angetrunkene Mann fasste nun die Flasche am Hals und drohte sie als Schlaginstrument zu benutzen. Jürgens inneres Flehen, „o Gott“, blieb im Ansatz stecken.

      Die wenigen Fahrgäste waren inzwischen auf die beiden Kontrahenten aufmerksam geworden und hatten sich zu ihnen umgedreht. Aber keiner rührte sich. Einen kurzen Moment verharrten Jürgen und sein Gegenüber. Die Situation war kurz davor, zu eskalieren. In dem Augenblick, die Fähre fuhr soeben den nächsten Haltepunkt an, eilte vom anderen Ende ein Mann um die vierzig herbei und stellte sich trennend zwischen die Rivalen. Ruhig wies er auf den Trinker und erklärte bestimmt: „Sie verlassen hier die Fähre!“ Danach blickte er Jürgen an und meinte freundlich: „Sie bleiben hier.“ Als die Hafenfähre hielt, verschwand der junge Mann nebst Bierflasche schnell. Der Schlichter schaute Jürgen nur an, schüttelte den Kopf und meinte, „dieser Blödkopf.“ Der Journalist nickte ihm freundlich zu. „Danke“, sagte er, und suchte sich einen neuen Platz jenseits der Bierpfützen. Beim nächsten Anleger stieg der Friedensstifter aus. Jürgen sah ihm verwirrt hinterher. Die klare Aktion des Mannes hatte ihn sehr an das Verhalten von Schieds- und Kampfrichtern erinnert.

      Als Jürgen müde zuhause eintraf, berichtete er seiner Frau beim Abendessen von dem Vorkommnis. Die schaute ihn nur an, schüttelte den Kopf und meinte: „du musst dich auch immer in Gefahr begeben. Gut, wenn da mal ein Engel einschreitet!“ - „Nein, ein Schiedsrichter“, entgegnete ihr Mann. - „Ein Engel!“ Seine Frau blieb bei ihrer Überzeugung.

      Wochen später entdeckte Jürgen den Schlichter kurz auf einem Fähranleger in einer Gruppe Männer und Frauen. „Also doch“, berichtete er abends seiner Frau, „ein menschliches Wesen, ein Schiedsrichter.“ Ihre kleine Tochter kannte die Geschichte, bekam den Ausspruch des Vaters mit und meinte naseweis: „Kann nicht ein Schiedsrichter auch ein Engel sein?“ - „Oder umgekehrt?“, nahm blitzschnell ihre Mutter den Faden auf. Jürgen sah beide überrascht an. Ein großes Schmunzeln, Zeichen dass er sich geschlagen gab, flog über sein Gesicht und fand bei Frau und Tochter einen zufrieden-fröhlichen Widerschein.

       Offene Kirche

      Liebe geht (nicht nur) durch den Magen

      Seit einigen Jahren war er schon auf Platte. Nun hatte ausgerechnet Karl, der Gottesleugner, seinen Platz nahe der Kirche gefunden. Hin und wieder bat er um einen kleinen Geldbetrag oder etwas zu essen. Mal wurde es ihm von der Sekretärin, mal vom Pastor oder dessen Frau gegeben. So wurde er allmählich zu einem bekannten Gesicht.

      Nachts, wenn alles schlief, wühlte Karl heimlich in den Mülltonnen. Auch in denen der Kirche. Manchmal mit Erfolg. Dinge des täglichen Bedarfs fand er ebenso wie Zeitungen, geistliche Zeitschriften und Predigt-Kladden in der Papiertonne. Damit dämmte er gern seine Schlafunterlage oder stopfte in der kalten Jahreszeit seinen Schlafsack damit aus. „Ich glaube zwar nicht an Gott“, murmelte er zufrieden vor sich hin, „aber wärmen tut diese fromme Zeug wenigstens.“

      Als er eines Abends wieder in seinen Schlafsack kroch, fiel ein kleines Plakat heraus: Ich glaube. Hilf meinem Unglauben, stand darauf. Karl stutzte, dachte nach und nahm den Gedanken mit in den Schlaf. Am nächsten Morgen hatte er ihn wieder vergessen. Doch als er sich aus seinem Sack schälte, um auf Betteltour für ein Frühstück zu gehen, stach ihm das Blatt Papier wieder in die Augen. Er hob es auf, sah drauf, brummte etwas und steckte es in die Tasche. Dann klingelte er an der Tür zum Gemeindebüro, um nach einem Stück Brot zu fragen. Die Sekretärin öffnete, sah ihn an und meinte nur: „Ah, wir kennen uns ja. Was darf es denn heute sein?“ Karl schaute sie an, wollte gerade seine Bitte äußern, da fiel sein Blick auf ein Poster hinter der Sekretärin. Er stutzte, denn es enthielt haargenau den Satz, den er auf dem kleinen Plakat gesehen hatte: Ich glaube. Hilf meinem Unglauben … „Nun“, sprach die Sekretärin, „hat es ihnen die Sprache verschlagen?“ Karl fand zu sich zurück. „Äh, haben Sie vielleicht ein Stück Brot?“ - „Ich schau mal“, sprach sie. Ließ ihn an der Tür stehen und ging in ihr Büro zurück. Währenddessen studierte Karl erneut den Bibelvers auf dem Poster Ich glaube. Hilf meinem Unglauben.

      Die Sekretärin kam zurück mit einer saftigen Klappstulle, aus der Salami herausschaute. „Bitteschön, habe ich heute Morgen frisch geschmiert.“ Verblüfft

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