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„Große Führer“ Mao Zedong diesen und Lin Biao namentlich zusammen diskreditierte und ihr Bild beschmutzte.

      Als Buchhändler verkaufte er Bücher, Zeitungen und Zeitschriften, die ihm Umsatz und Gewinn brachten. Die Auswahl der Bücher zeichnete auch seine kaufmännische Fähigkeit aus, immer den richtigen Riecher für die Zeit und die jeweilige Mode zu haben. In seiner Buchhandlung gab es immer die Bücher von allen Autoren, sowohl von den royalistischen, den nationalistischen als auch den kommunistischen. Und es wurde ihm später hoch angerechnet, dass er bereits kommunistische Bücher verkauft hatte, als diese von der Kuomintang-Regierung bereits verboten worden waren.

      Sein Geschäft erlitt einen heftigen Umsatzeinbruch, als die Japaner Xuzhou besetzten. Unter der sogenannten „Ostasiatischen Wohlstandserziehung“ war auf einmal nur noch der Verkauf von pro-japanischen Büchern erlaubt. Und in der Schule durfte aufgrund der Appeasement Politik nur Japanisch unterrichtet werden. Denn in der damaligen Vorstellung des Panasiatismus wurden die Japaner als Retter Asiens gepriesen. Die Nationen Asiens könnten sich vom europäischen und amerikanischen Kolonialismus und der weißen Vorherrschaft nur befreien, wenn sie sich Japan zum Vorbild nehmen würden, den japanischen Kaiser und die japanischen Militaristen akzeptierten und mit ihnen Seite an Seite kämpften. Auch aus dem Radio ertönten ununterbrochen nur noch pro-japanische Parolen. Mit nationalistisch-republikanischen Büchern zu handeln war verboten, und so kam es, dass der Bücherumsatz in den acht Besatzungsjahren vollständig zum Erliegen kam, so dass meine Großeltern mit ihren drei Kindern mehr oder weniger nur noch vom Verkauf von Schreibwaren lebten. Die von der pro-japanischen Marionettenregierung verordnete Ideologie der großostasiatischen Wohlstandssphärexvii verlangte von jedem bedingungslose Ergebenheit gegenüber den Besatzern und die Anerkennung der japanischen Vorherrschaft.

      Mein Großvater war, wie viele Geschäftstreibende und Intellektuelle der Stadt, keineswegs einverstanden mit der Besatzungsmacht und der Appeasement Politik des Marionettenregimes. Xuzhou war in der Geschichte niemals von Fremden kolonialisiert worden, und die „Befreier der Asiaten“ traten selbst als Ausbeuter auf. Denn Xuzhou war nicht nur der wichtigste Eisenbahnknotenpunkt in China, sondern auch eine wichtige Eisen-, Stahl- und Bergbauindustriestadt. Die reichen Vorkommen von Steinkohle und Eisenerz waren der eigentliche Grund des japanischen „Befreiungskrieges“. Und so wurden die kostbaren Ressourcen von Xuzhou von den japanischen Besatzern jahrelang geplündert. Mein Großvater verlegte daher auf eigene Kosten Bücher chinesischer Autoren und Untergrundkämpfer, die sich der Gewaltherrschaft der Aggressoren widersetzten. Er druckte auf eigene Rechnung und mit Unterstützung anderer Gleichgesinnter die anti-japanischen und gegen den Bürgerkrieg gerichteten Bücher der links-progressiven Autoren aus der von Lu Xun herausgegebenen „Buchkollektion für Sklaven“ nach und verteilte diese kostenlos unter dem Ladentisch. Er kaufte auch verbotene Bücher aus der kommunistischen Zone im nordwestlichen Hinterland und reichte sie an aufgeschlossene Jugendliche weiter. Als die Nationalfront gegen japanische Invasoren nach dem Zwischenfall von Xi´an gebildet wurde, organisierte mein Großvater Lebensmittel, Verbandsmaterial und Medikamente, vor allem aber Propagandamaterialien für die neue vierte Armee der National Revolutionary Army, die einen Guerillakrieg gegen die Japaner im Hinterland rings um Xuzhou führte.

      Da Chinesisch in der Schule nicht unterrichtet wurde, wollten die Eltern ihren Kindern zuhause das Chinesische beibringen. So verlegte mein Großvater trotz Verbot die Drei (Wort-Fibel)xviii, Hundert (Familiennamen)xix, Tausend (Worte-Aufsatz)xx und Tausend (Dichter-Verse), die in China seit eh und je als Bücher der Aufklärung dienten. All die patriotischen Aktivitäten trieben ihn in den wirtschaftlichen Ruin, doch vertrat er den Standpunkt, dass Geld ihm nichts nütze, solange das Land von Fremden besetzt werde. Finanzielle Hilfe bekam er nur von den beiden ausländischen Kirchen in Xuzhou.

      Als der Krieg um Xuzhou, das im Zentrum der Kampfhandlungen lag, ab 1938 immer heftiger wurde, sammelten sich dort die Flüchtlinge aus allen angrenzenden Gebieten in der Stadt. In der christlichen Peizheng-Mittelschule, in der evangelischen Kirche und in allen amerikanischen Einrichtungen wurden Abertausende Menschen aufgenommen. Zusammen mit den Browns, einem Pastorenpaar, und mit den Missionaren der amerikanischen presbyterianischen Kirche in Xuzhou organisierte mein Großvater Lebensmittel und Hilfsgüter, sammelte Spenden bei der Bevölkerung und versuchte tatkräftig, die Leiden der Menschen zu lindern. Er publizierte auch religiöse Texte für die amerikanische und die römisch-katholische Kirche und Illustrationen für den Missionarsdienst.

       Die Buchhandlung im Westend von Xuzhou

      Die Buchhandlung meines Großvaters hieß Xietong, was Zusammenwirken und Zusammenarbeit bedeutet. Anders als im Teehaus, wo sich das Volk zu Theateraufführungen, Vorträgen volkstümlicher Geschichten oder musikalischer Unterhaltung traf, war die Buchhandlung Treff- und Stützpunkt der in China üblichen „drei Religionen und neuen Denkrichtungen“, also ein Versammlungsort verschiedener Intellektueller. Wohlhabende kamen, um Bücher und Zeitungen zu kaufen, weniger Wohlhabende, um sie auszuleihen. Für eine geringe Summe konnte man ein Buch auch im Geschäft lesen. Menschen, die weder schreiben noch lesen konnten, kamen dorthin, um die Meinung anderer zu den augenblicklichen Geschehnissen zu hören. Revolutionäre Kameraden tauschten hier Informationen aus. Geheimdienstler verschiedener Parteien belauschten ihre Gegner und beobachteten deren Aktivitäten. Auf seine stoische Art kam mein Großvater mit allen Leuten aus und gab ihnen, ganz ihrem Glauben entsprechend, Leseempfehlungen. In die Buchhandlung war auch die Schreibwarenhandlung meines Urgroßvaters integriert. Mit neun Mitarbeitern war mein Großvater ein großer Arbeitgeber in Xiguan, dem Westend von Xuzhou. Allein das elektrische Licht, das es seit 1917 in seinem Geschäft gab, übte so eine gewaltige Anziehungskraft auf die Menschen aus, dass sie, wenn es dunkel wurde, aus den umliegenden Stadtteilen extra dorthin kamen, um es zu bewundern und nutzten die Chance, trotz der Dunkelheit dort noch lesen zu können. Es waren aber nicht nur das elektrische Licht und die schöne, farbenprächtige Schaufensterdekoration, die die Menschen faszinierten. Sie kamen vor allem auch wegen seiner Mitarbeiter, die alle lesen und schreiben konnten. Im damaligen China mit mindestens 80 Prozent Analphabeten war lesen und schreiben zu können eine Sensation. So kamen Menschen aus der ganzen Stadt in die Buchhandlung, um sich dort Briefe vorlesen zu lassen. Dann kauften sie meist gleich einen Briefbogen, um einen Antwortbrief schreiben zu lassen. Sie kamen auch, um einen Vertrag aufsetzen oder beglaubigen zu lassen. Beim Briefe lesen und schreiben erfuhr man hautnah, was zahlreiche persönliche Lebensläufe mit dem Schicksal des Landes verband und wie die Nation vom Willen der Parteiführer der Kuomintang und der Kommunistischen Partei abhängig war. Wenn die beiden sich einigten, würde es Frieden geben im Land; wenn die beiden sich jedoch verfeindeten, würde es Massaker und Bombardierungen geben. Mein Großvater unterstützte die Idee von Dr. Sun Yat-senxxi, eine Einheitsfront aus Kuomintang und Kommunisten zu bilden, um gemeinsam gegen die Landlords zu kämpfen und China zu versöhnen.

      Nach dem Tod von Sun Yat-sen nahm die Kuomintang immer öfter den anti-kommunistischen Kurs auf, führte zwischen 1926 und 1928 unzählige Säuberungsaktionen durch, ließ viele Kommunisten heimtückisch umbringen und trieb die Kommunistische Partei zu den versprengt umherziehenden Söldnerhaufen in den Shan-Gan-Ning-Randzonen. Als General Chiang Kaishek 1936 nach dem Zwischenfall von Xi´an endlich den ersten Bürgerkrieg beendete und der Bildung einer anti-japanischen Nationalfront zustimmte, hatte der Bürgerkrieg bereits eine Million Menschenleben gekostet. Oft bekam mein Großvater Ehrenmedaillen für die im Kampf gefallenen Märtyrer zur Weiterleitung zugeschickt, weil die Menschen in der Umgebung die Xietong- Buchhandlung als Postadresse angegeben hatten. Sie kamen sowohl von der republikanischen Armee als auch von der kommunistischen Truppe. Mein Großvater legte Wert darauf, dass die Ehrerbietung gegenüber den Toten und die Verschwiegenheit von Wort und Schrift gewahrt wurden und achtete darauf, dass die Angestellten im Laden beim Lesen, Schreiben und Beglaubigen aufrichtig und sensibel mit den Menschen umgingen.

      Mein Großvater war ein echter Mann von Welt. Ich kannte als Kind keinen zweiten Mann, der so weit gereist war wie er. Neben Großstädten wie Shanghai und Hongkong, wo er Bücher und Schreibwaren aus aller Welt und andere Waren einkaufte, fuhr er auch regelmäßig nach Vietnam, Thailand, Malaysia und Indonesien, um dort für seinen Schwiegervater, der eine Möbel- und Sargmanufaktur betrieb, Sandel- und Teakholz und andere Tropenhölzer einzukaufen. Neben der Buchhandlung hatte mein Großvater

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