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nun auch noch das Militär in die Revolution eingriff, eskalierte die Lage in Xuzhou vollends. Denn Xuzhou war die Garnisonsstadt zweier Militärbezirke und der 68. Feldarmee. Die Militäreinheiten unterstanden unterschiedlichen Kommandos: Die 68. Feldarmee unterstand direkt dem Verteidigungsministerium, während die Bezirksarmeen mal zu Jinan und mal zu Nanking gehörten. Die Konfrontation zwischen der Stoßpartei und der Unterstützerpartei wurde zu einem Stellvertreterkrieg der Militärbezirke, und der Konflikt wurde nicht mehr nur mit Schlagstöcken und Eisenstangen ausgetragen, sondern mit richtigen Gewehren.

      Nun wurden die Konflikte von der Militärführung angezettelt. Der Politkommissar der Truppen repräsentierte die „richtige“ Linie der Partei aus Peking. Allerdings gab es nicht nur einen Politkommissar, sondern mehrere, die untereinander heillos zerstritten waren. So wurde der Konflikt in Xuzhou zu einer militärischen Auseinandersetzung. Der Straßenkampf, den sich die beiden Parteien am 31. August 1968 in der Stadtmitte geliefert hatten, hinterließ fast 300 Tote und über 1000 Verletzte. Schon kurz nach dem Beginn der Auseinandersetzung kamen Soldaten der 68. Armee und riegelten die Straßen ab. Mehrere tausend Soldaten bildeten Hand in Hand eine Mauer, umzingelten die streitende Meute, spalteten diese in zwei Lager und transportierten die Verletzten ab. Die Anführer beider Parteien kamen zu Verhandlungen in Beugehaft. Mein Onkel war einer davon. Er wurde von den Soldaten in das nahe gelegene Xuzhou-Hotel geschleppt. Jahre später hatte ich die Gelegenheit, meinen Onkel danach zu fragen, was an diesem Tag noch geschehen war, und er erzählte mir die Geschichte aus seiner Perspektive:

      Unter der Leitung und Moderation der Xuzhouer Garnison hatten sich die Vertreter der Unterstützerpartei und die Repräsentanten der Stoßpartei darauf verständigt, dass alle Rebellen von der Straße verschwinden sollten. Der Chef der Unterstützerpartei erklärte, dass er mit seinem eigenen Kopf dafür garantiere, dass seine Leute nach Hause gehen würden. Und der Anführer der Stoßpartei versprach, dass seine Kämpfer die gegnerischen Rebellen in Ruhe abziehen lassen würden. Der Kommandeur der Garnisonstruppe besiegelte das Abkommen und ließ die Leute mit dem Auftrag frei, ihre Versprechen sofort umzusetzen.

      Die Rebellen beider Parteien begannen, sich voneinander zu entfernen und in Gruppen abzuziehen. Plötzlich heulte laut und aggressiv eine Sirene los. Noch bevor die Soldaten das durchdringende Sirenengeheul überhaupt einordnen konnten, wurde eine Stelle in der Absperrung bereits von einem roten Bauernverband durchbrochen. Die wehrlosen Soldaten wurden brutal verprügelt, gefesselt und von den Bauernrebellen verschleppt. Blitzschnell wurden auch die zweite und die dritte Absperrung von den Stoßrebellen durchbrochen und aufgelöst, und die beiden Parteien schlugen erneut aufeinander ein. Diesmal noch grausamer und blutiger. Als Waffen wurden Pflastersteine, Dachziegel, Holzstöcke, Eisenstangen, Küchenmesser, Dolche und Feuerwaffen eingesetzt. Es wurde gezielt auf lebenswichtige Körperteile eingeschlagen, Schädel wurden zertrümmert, Augen ausgestochen, Arme und Beine gebrochen…

      Sirenen heulten, Verstärkungstruppen strömten zu den Fronten, Rettungswagen rasten hin und her, leblose Körper sowie abgetrennte Gliedmaßen wurden auf Bahren gestapelt und abtransportiert. Blut spritzte und Fleischfetzen flogen herum, ähnlich wie in der Huaihai-Schlacht von 1948. Aber an diesem Tag, im August 1968, gab es über 1000 Verletzte, und es starben insgesamt 286 maoistische Rebellen beider Parteien, die sich nur deshalb bekämpft hatten, weil jede von sich glaubte, Maos Linie der Revolution korrekter und gründlicher auszulegen und tapferer zu verteidigen als die Gegenpartei. Mao schaltete sich persönlich ein und rief schlichtend aus, dass beide Parteien in Xuzhou aus revolutionären Massen bestünden. Während der achtjährigen Besatzungszeit der japanischen Armee in Xuzhou waren 12 601 Menschen umgekommen; während der zehn Jahre andauernden Kulturrevolution sollten über 66 800 Menschen den Tod finden. Die perfide Strategie der jeweils unterliegenden Partei bestand darin, in Xuzhou, einem der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte Chinas, den Eisenbahnverkehr zu sabotieren. Sie kappten Lebensmittellieferungen und blockierten auch den Personenverkehr. So erregten sie Aufsehen im ganzen Land. Und „der Große Vorsitzende“ Mao schwieg dazu und schickte stattdessen seine Soldaten. Um den bewaffneten Kampf schließlich zu beenden, wurden die Anführer der beiden Parteien auf sein Geheiß nach Peking zitiert. Sie mussten an einem „maoistischen Studienkurs“ teilnehmen, sollten „die Revolution der tiefen Seele“ in Gang setzen und sich gegenseitig endlich als Revolutionsgenossen akzeptieren. Der Kurs dauerte zehn Monate und endete tatsächlich mit einer Beilegung des Konflikts. Daraufhin wurde in Xuzhou am 1. August 1969 eine neue revolutionäre Kommission gegründet, die aus Mitgliedern beider Parteien bestand. Die Menschen von Xuzhou hatten durch die Kämpfe der beiden Rebellengruppen nur eines gelernt: dass Kulturrevolution nichts als Unheil bedeutete. Ein Volksgedicht aus dieser Zeit lautet folgendermaßen:

       „Die Guten heißen Unterstützer,

       Die Redlichen nennen sich Wegstoßer,

       Jedes Jahr kommt eine neue

       Revolutionäre Kommission!

       Selbstkritik lässt sich unendlich üben,

       Wohin wollen Wirrköpfe sich wenden?

       Ewig lässt sich Egoismus bekämpfen,

       Unermesslich können Tränen vergossen werden.

       Schließlich sage doch,

       Wem wir Recht geben sollen.

       Beide sollen revolutionäre Massen sein,

       Umsonst erleiden wir Höllenpein!“

      Nachts werde ich noch heute gelegentlich von Albträumen geweckt. Dann höre ich klar und deutlich das Geschrei und die Marschlieder der Rotgardisten. Ich sehe, wie der Junge, der sich vor Angst auf den Baum geflüchtet hatte, vom Baum geschüttelt und von Gleichaltrigen zerfleischt wird. Ich sehe die blutigen Wunden, die die Messingschnallen der Militärgürtel nach jedem Hieb hinterlassen, ich sehe immer noch Blut fließen und Fleischfetzen nach allen Seiten fliegen…

      So weit meine vorschulische Erinnerung an die Kulturrevolution in Xuzhou. Mitten in diesem blutigen Gemetzel wurde ich 1970 eingeschult.

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