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noch die Frühmesse zu besuchen, was mir sehr wichtig ist. Aber hier beginnt der Tag bereits um vier Uhr vierzig. Das ist gewöhnungsbedürftig. Richtig wach bin ich noch nicht, wenn ich gemeinsam mit den Mönchen das erste Gebet spreche.

      Überhaupt die Gebete – morgens, mittags, abends nebst Dankgesängen nach Mittag- und Abendessen. Jeweils verschiedene Gesangbücher: dickes Gesangbuch morgens und abends, ein schmales zum Mittag. Die Sprache wechselt: Mittagsgebet auf Deutsch, die anderen in lateinischer Sprache. Das ist verwirrend. Aber ich weiß Ulrich an meiner Seite, der mir geduldig Auskunft gibt.

      Kurz nach meiner Ankunft musste ich gleich ins kalte Wasser springen, weil das Abendgebet bevorstand und ich von nichts eine Ahnung hatte. Denn der Klosterritus hat wenig mit dem Gottesdienst in meiner Stadtpfarrkirche gemein.

      »Meinst du denn, dass ich mich zurechtfinde? Ich will ja auch nichts falsch machen.« Nicht, dass ich die Abläufe durcheinanderbringe oder so.

      »Folge mir einfach und mach mir alles nach. Du wirst am äußersten Platz im Chorgestühl stehen. Zuerst singen wir vier lateinische Psalmen«, antwortete Ulrich beruhigend.

      Wenn er wüsste: auch noch Latein! Das Schulfach, das mir am meisten zuwider ist.

      Ulrich schlug das Antiphonale auf, einen dicken, ledergebundenen Wälzer, und zeigte mir anhand der farbigen Lesezeichen die unterschiedlichen Gesänge.

      »Dann setzen wir uns und hören aus der Heiligen Schrift. Danach singen wir das Magnificat wieder im Stehen. Es ist der feierliche Höhepunkt des kirchlichen Abendgebets, der täglich wiederkehrende Lobgesang Mariens.«

      Die entsprechende Seite war mit einem lilafarbenen Band gekennzeichnet.

      Punkt achtzehn Uhr war es dann so weit. Erstmals stand ich mit den Mönchen im Halbrund des Chorraumes hinter dem Hochaltar der barocken Abteikirche. Im Gegensatz zu den kalten Gewölbegängen im gleichen Stockwerk ist die Apsis stets geheizt und wohlig warm. Das dunkle Chorgestühl mit seinen aufwendigen Schnitzereien bildet einen Halbkreis mit Blick auf das kunstvolle geschnitzte Lesepult des Kantors. Über den klappbaren Sitzen ist ein kleiner Vorsprung für das Steißbein; eine spürbare Entlastung für den Körper während des langen Stehens. Frater Ulrich wies mir den für mich reservierten Sitzplatz ganz außen in der Stuhlreihe zu.

      Auf den ersten Schlag der Glocke setzte das zarte Spiel der Orgel ein. Hervorgehoben an der Stirnseite erklang Abt Bertholds hohe Stimme: »In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti.«

      Mit einem lang gezogenen »Amen« antworteten alle Mönche. Auf Latein sang ich mit ihnen das kirchliche Abendgebet. Ich beobachtete den Mönch neben mir ganz genau, um mir abzuschauen, wann ich mich verneigen oder mich aufrichten sollte, wann ich sitzen, stehen oder knien musste.

      Den größten Eindruck auf mich macht aber das außerordentliche Zeremoniell, das den Auszug der Mönche aus dem Chorraum zum Speisesaal begleitet: Wenn sie über die Schwelle des Chorraumes treten, wird die große, spitz zulaufende Kapuze, die zum Mönchsgewand der Benediktiner gehört, weit über den Kopf gezogen. Tief verhüllt schreiten sie in einer Prozession durch den barocken Kreuzgang zum Refektorium. Ich hinter ihnen, zivil gekleidet, bin von diesem Bild der Weltabgewandtheit sehr beeindruckt. Erst beim Eintreten in den Speisesaal fällt die Kapuze wieder.

      Wenn ich den hell erleuchteten Raum betrete, stelle ich mich ebenso wie die anderen Mönche hinter meinen Platz. Während die Mönche ihre gefalteten Hände unter dem schwarzen Gewand verbergen, senke ich wie sie den Kopf und lausche dem Tischgebet des Abtes. Mit einem lauten »Amen« dürfen wir uns setzen.

      Symbolisch für die Abgeschiedenheit im Kloster streifen die Mönche die Kapuzen noch einmal über. Der Blick bleibt demütig gesenkt, während das Wort aus der Heiligen Schrift vorgetragen wird.

      Erst wenn die Servitoren die Suppe auftragen und die Tischlesung beginnt, nehmen sie die Kapuze wieder ab.

      Alle schweigen andächtig und blicken auf den Teller. Nur der Mönch, der mit der Tischlesung betraut ist, erhebt seine Stimme. Während wir essen, liest er zuerst aus der Bibel, später aus einem Reiseroman.

      An diesen Bräuchen hat sich seit Jahrhunderten nichts geändert: Zur immer gleichen Stunde in der immer gleichen Weise passiert jeden Tag das Gleiche. Und im Jahre 1976 bin ich auf einmal mittendrin, darf mitwirken und die Tradition fortleben lassen. Seit an Seit mit geweihten Mönchen, als gehörte ich zu ihrem Konvent. Hier einen Platz zu haben, willkommen zu sein, ergreift mich tief in meinem Herzen.

      »Wie ist dein Eindruck? Kannst du dir vorstellen, hier zu leben – oder überhaupt in einem Kloster?«

      Ulrich und ich haben soeben einen Klosterrundgang über das erstaunlich weitläufige Gelände beendet. Mit den Werkstätten und Betrieben, der eigenen Stromgewinnung ist es so gut ausgestattet wie ein kleines Dorf.

      Und das Hauptgebäude ist natürlich sowieso beeindruckend in seiner barocken Pracht: viel Gold, viele Engel, viele Verzierungen und überlebensgroße Statuen wie in der berühmten Barockbibliothek – das macht schon was her.

      Im Kloster finden sogar öffentliche Veranstaltungen statt – das habe ich gar nicht gewusst, bis Ulrich mir den Festsaal zeigt: »Hier gibt es regelmäßig Konzertabende. Wegen der hervorragenden Akustik ist er als Veranstaltungsort sehr beliebt. Auch über die Grenzen Niederbayerns hinaus.«

      Und sie schauen fern! Mit zehn rot gepolsterten Fernsehsesseln, ordentlich in zwei Reihen angeordnet, hätte ich in einem Kloster nun wirklich nicht gerechnet. Das Kloster Metten verblüfft mich immer wieder.

      Aber ist es ein Ort, an dem ich leben dürfte?

      »Mir gefällt vor allem die straffe Tageseinteilung«, antworte ich ausweichend.

      Ulrich schaut mich überrascht von der Seite an.

      »Ernsthaft? Daran stören sich die meisten Besucher. Sie hätten zu wenig persönlichen Freiraum, beklagen sie.«

      Er schnaubt verächtlich.

      »Naja, deswegen sind wir aber nicht hier«, bekräftige ich.

      »Wir?«

      »Was?«

      »Du hast gerade gesagt: ›Deswegen sind wir nicht hier.‹ Siehst du dich doch schon als Klosterbruder?«

      Ich lache verlegen. Der Versprecher ist mir gar nicht aufgefallen.

      »Kann sein. Mir gefällt’s hier. Und ich mag diese klare Ordnung jeden Tag. Für gewöhnlich falle ich in den Ferien in ein Loch, werde launisch und unzugänglich, weil mir die Struktur fehlt. Hier geben mir die regelmäßigen Gebetszeiten Halt. Und die Gemeinschaft, die immer füreinander da ist. Das fühlt sich an wie ein schönes Leben.«

      »Es ist ein gutes, sinnvolles Leben, wenn wir es gottesfürchtig führen«, entgegnet Ulrich mit einem Ernst, der mir bisher noch nicht an ihm aufgefallen ist.

      »Und wenn es dir tatsächlich so gut gefällt, ist es vielleicht auch für dich das Richtige.«

      Ich senke betreten den Kopf. Gerne würde ich dazu gehören.

      Aber darf ich darauf hoffen, hier akzeptiert zu werden? Ich meine, es ist die katholische Kirche mit ihren strengen Glaubensgrundsätzen, die entscheidet, wer sich in einem Konvent lebenslang an sie binden darf. Nicht Ulrich, der vielleicht einige Sympathien für mich hegt. Noch. Wer weiß, wie er reagiert, wenn er die ganze Wahrheit kennt.

      Das Läuten der Konventglocke zum Abendgebet enthebt mich einer Antwort. So fällt meine Schweigsamkeit nicht weiter auf. Ich gehe sozusagen in der klösterlichen Stille auf, die sich wie eine schwere Decke über die Klostergänge legt und jedes Geräusch im Keim zu ersticken scheint. In meinem Tagebuch habe ich sie als tote Stille beschrieben. Ein gewöhnungsbedürftiges Phänomen, wenn man die permanente Geräuschkulisse einer umtriebigen Familie gewöhnt ist.

      Aber jenseits der Stille ist auch hinter Klostermauern überraschend viel los. Vielleicht hängt das mit der Jugend vieler Mönche zusammen. Bisher habe ich das Mönchssein eher mit dem Greisenalter – ab sechzig Lebensjahren – in Verbindung gebracht. Nun stelle ich fest,

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