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Und was steckt dahinter?, will ich wissen. Euch muss man aber auch alles erklären, sagt Lahuiss und schnippt die Asche weg, bevor er ausholt. Candide ist am Anfang ein Typ, der mit einem Paket von Gewissheiten lebt, während er nichts vom Leben weiß. Durch seine Reisen, die Begegnungen mit anderen sieht er, wie es anderswo läuft, und erweitert dadurch seine Repräsentationen. Seine Repräsentationen?, fragt Habib, und Lahuiss antwortet, yo, die Weise, wie er die Dinge sieht, wenn du es so ausdrücken willst, und Habib darauf, ach so, okay. Im Grunde genommen, fährt Lahuiss fort, geht es darum, über die Erfahrung nachzudenken, der Gedanke dahinter, deinen Garten zu bestellen, meint so viel wie, dein Bewusstsein zu erweitern. Wenn du immer nur in deinem Aquarium im Kreis herumschwimmst, bist du irgendwann überzeugt, das Aquarium sei die Welt. Wenn du deinen Garten nicht bestellst, wirft er nichts zu essen ab. Ist eigentlich ganz einfach. Der Garten ist nur eine Metapher, um von deinem Leben, deinem Bewusstsein zu sprechen. Darum geht es im Großen und Ganzen. Ich nicke zum Zeichen meiner Zustimmung, doch aus Angst, was Dummes zu sagen, halte ich lieber die Klappe.

      Periskop

      Wir leben in einer Kleinstadt, Typ fünfzehntausend Einwohner, irgendwo zwischen Speckgürtel und Acker. Wir sind keine echten Landeier, dafür gibt es bei uns zu viel Asphalt, aber auch kein Vorstadtprolls, dazu ist es bei uns zu grün. Um uns Dörfer, Weiler, Marktflecken, dazwischen Felder und Wälder. Für die umliegenden Dörfer sind wir hier Städter, von der Großstadt aus betrachtet, die keine hundert Kilometer entfernt liegt, sind wir Hinterwäldler. Ich persönlich verstehe nichts von Landwirtschaft.

      Ein Nebenfluss teilt die Stadt. Er fließt von Süden nach Norden zur Großstadt. Im Osten befinden sich die beiden Hochhaussiedlungen, die »Türme« auf dem Hügel und die »Blöcke« etwas weiter entfernt, zwischen beiden das Polizeikommissariat, dann das Krankenhaus, das Schulzentrum, die Autobahn, das Gewerbegebiet mit seinen heruntergekommenen Geschäften, seinen Ein-Euro-Shops und Discountern. Nimmt man die Brücke ans Westufer, gelangt man ins Stadtzentrum, eine Kirche, ein Platz, ein paar Cafés, Ladengeschäfte in Schwierigkeiten, dann die angrenzenden Straßen. Vor kurzem hat die Buchhandlung geschlossen. Arbeiter und Landarbeiter bestimmen hier das Bild. Was bedeutet, dass es im Zentrum ebenso viele Zeitarbeitsfirmen wie Bäckereien gibt. Hinter dem Stadtzentrum überquert man den Kanal, dann kommen der Bahnhof und die besseren Wohnviertel rund um das Rathaus, das Stadtbad, das Stadion, die Privatschule und der Supermarkt. Und ganz am Ende wieder ein Hügel, der dem anderen gegenüberliegt, nur dass hier keine Wohntürme stehen, sondern Luxusvillen. Im Westen gibt es mehrere Siedlungen wie die, in der ich aufgewachsen bin und immer noch lebe. Zwischen ihnen herrscht ein mehr oder weniger starker Austausch, die jungen Leute von dort hängen zusammen rum. Unsere Einfamilienhaussiedlung liegt etwas abseits davon und näher am Stadtzentrum. Sie reicht mehr nach Osten. Aus diesem Grund haben wir uns nie wirklich mit den Jungs aus den Einfamilienhäusern im Westen identifiziert, obwohl wir wie sie Siedlungskinder sind. Im Unterschied zu ihnen besaßen wir keine Motorroller. Wenn Jungs von dort mit Jungs aus dem Zentrum zu tun hatten, dann ging es in der Regel darum, sie mit ihren Rollern von da nach dort zu kutschieren.

      Das Schulzentrum liegt im Osten zwischen den Türmen und den Blöcken. Alle Schlauberger von dort besuchen eines der Collèges hier, ein paar auch das Lyzeum. Die drei Schulgebäude blicken auf einen Busbahnhof, wo alles zusammenläuft. Das war der Ort, um offene Rechnungen zu begleichen, andere fertigzumachen, irgendwas auszuhecken, Streitigkeiten auszutragen. Da meine Homies und ich aus der Siedlung kamen, wurden wir nicht ernst genommen. Vor allem nicht von den Jungs aus den Türmen, für die waren wir nur pseudo, weil wir uns anzogen wie sie, ihre Auftritte kopierten, obwohl jeder von uns ein eigenes Zimmer hatte und unsere Markenklamotten nicht vom Lastwagen gefallen waren. Uns war nicht zu trauen, denn wir spielten die Schlaumeier. Das war nicht gern gesehen. Auch Ixe war in einem Siedlungshaus groß geworden, doch zu ihm sagte niemand etwas, denn jeder erinnert sich an den Tag, als ein Typ ihn austesten wollte. Es war am Busbahnhof. Sie kamen zu dritt. Einer von ihnen zoffte ein wenig lauter als die anderen. Nachdem er ihn zu Boden geschickt hatte, sprang Ixe mit geschlossenen Beinen auf seinen Kopf. An dem Tag begriff ich, dass man als Erster zuschlagen muss.

      Der Unterricht war ein Vorwand, die Schule eine Arena. Gut für die, die ihren Blick nicht auf den Boden richteten. Bei diesem Spiel schaffen es nie viele ins Finale. Sobald man den Blick nach unten richtet, kann man sich auf eine Klatsche auf den Hinterkopf gefasst machen. Und man macht sich aus dem Staub, versucht, nicht aufzufallen. Macht sich dünn. Klein. Wir griffen niemanden an. Untel und auch Ixe vielleicht manchmal, aber ich auf keinen Fall, ebenso wenig Sucré und noch weniger Lahuiss. Aber wir ließen uns nicht zu Opfern machen. Ließen nicht zu, dass man auf uns herabsah. Wir waren weder kleinkarierte Spießer aus den Siedlungen noch Rowdys aus den Wohnblocks. Wir wollten nicht so behandelt werden wie die einen, uns aber auch nicht so verhalten wie die anderen. Wir wollten uns einfach nicht einmischen, und niemand sollte sich in unsere Angelegenheiten einmischen.

      Eines Tages schlugen die Typen aus den Türmen Lahuiss ins Gesicht und schnappten sich seine Basecap, er solle sich bloß nicht einbilden, er könne sich Faxen erlauben, nur weil er mit Untel rumhänge. Wir hörten, dass herumerzählt wurde, wir seien Weicheier, weil wir nicht reagiert hatten. Neben dem Busbahnhof gab es eine Wiese. Morgens, das war krass, wurde dort immer das Massakerspiel mit einem Tennisball gespielt. Wenn der Ball zwischen den Beinen eines Spielers durchrollt, haben alle anderen das Recht, so lange auf ihn einzuschlagen, bis es ihm gelingt, die Wiese zu verlassen. Gelingt es ihm nicht, hört man auf, wenn man denkt, dass er genug eingesteckt hat. Wir hatten unseren Spaß an dem Spiel, aber es gehörte Unerschrockenheit dazu. Oder man war gut gedeckt von den anderen. Zu Beginn sollte man es zumindest spaßig finden, Schläge einzustecken, auch wenn man vor allem spielte, um auszuteilen. Eines Tages waren die Typen dabei, die Lahuiss fertiggemacht hatten, und wir stiegen ins Spiel ein. Untel, Ixe, Sucré, Lahuiss und ich. Poto war damals noch zu jung. Die Typen sahen uns kommen. Anfangs taten wir so, als hätten wir nicht mit ihnen gerechnet, wir prügelten sogar auf Sucré ein, als er getunnelt wurde. Und dann nahm Lahuiss den Ball an, er war kein schlechter Fußballer, und tunnelte den Typen, der ihn verprügelt hatte, und Untel verpasste Goku – so nannten wir ihn, weil er sich stets bei Schlägereien hervortat – einen hammermäßigen Gong. Die Homies des Typen reagierten sofort, und wir stürzten uns alle aufeinander. Eine Massenschlägerei, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Wir waren in Ekstase. Ein unvorstellbares Tohuwabohu. Man hatte das Gefühl, es höre nie auf. Manche Szenen flashen mich immer noch. Ich sehe, wie Ixe einem Kerl eine verpasst und dann selbst eine kassiert, wie Untel von zwei Kerlen festgehalten wird und sich wehrt, wie sich Sucré in den Haufen wirft, ich sehe Lahuiss bei einem akrobatischen Tornado-Kick. Hauptsache, Treffer. Ich will Untel zu Hilfe kommen, fange mir aber einen Schlag aus dem Nirgendwo ein. Mir fliegt meine Lacoste-Basecap vom Kopf, es ist unmöglich, den Dieb auszumachen, deshalb nehme ich mir den Nächstbesten vor, um ihn statt des Diebes zu vermöbeln, es geht kreuz und quer, wir dreschen aufeinander ein, gehen dazwischen, mischen einander auf, doch irgendwie verbindet uns das Ganze. Die Schlägerei führte zu gegenseitiger Anerkennung. Wir hatten genau wie sie die Arschkarte gezogen, was anderes sah das Leben für uns nicht vor. Von da an betrachteten sie uns mit anderen Augen. Respektierten uns, weil wir gekämpft hatten. Ich war sauer wegen meiner Lacoste-Basecap, die ich nie mehr wiedergefunden habe. Sie muss an einen Jean-François vom Westufer weiterverkauft worden sein. Wochenlang musterte ich die Köpfe von einem Haufen Typen, um zu sehen, ob einer meine Kappe trug. Zuletzt schnappte ich mir eine vom Kopf eines kleinen Weißen, der weniger Eier in der Hose hatte als ich.

      Kleinstadt. Man muss keinen Namen kennen, es genügt zu wissen, wie jemand aussieht. Ah, ich weiß, wen du meinst. In der Umgebung nichts als Dorftrampel. Ich habe auf dem Lyzeum welche getroffen. Manchmal rückten sie mit dem Namen ihres Kaffs heraus, von dem ich nicht einmal gewusst hatte, dass es existierte. Käffer mit kaum hundert Einwohnern, wo es Traktoren und so gibt, wo es nach Acker stinkt. Die Kids, die dort leben, haben keine Motorroller, die haben richtig schwere Cross-Maschinen. Ich kam morgens immer zu spät zur Schule. Mein Bus fuhr stündlich, ich kam, wann ich wollte, schlimmstenfalls nahm ich das Fahrrad oder ging sogar zu Fuß. Manche Mitschüler mussten um 4 Uhr morgens aufstehen, um zur Schule zu fahren. In meiner Klasse gab es eine Bitch, die mir das gern unter die Nase rieb. Es regte sie auf, dass ich einfach so kam und ging, wann ich wollte. Jeden Tag kam sie damit an, weißt du, mein Bus geht um 5 Uhr 45, ich darf ihn nicht verpassen,

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