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nun?«, fragte Simon.

      »Ich hätte da eine Idee.« Ihre grünen Augen blitzten.

      »Und die wäre?«

      Sie schaute ihn einfach nur weiter an.

      »Sie meinen, ich soll …«

      Carla nickte. »Aber ich habe nichts gesehen.«

      Simon musste noch nicht einmal über den Zaun steigen, das Holztor zum Garten war nicht verschlossen. Dahinter eröffnete sich eine regelrechte Wildnis. Ein paar hochgewachsene Bananen mit riesigen Blättern, Zypressen und Palmen, ausladende Büsche und dichtes Gestrüpp überall, dazwischen ein von Efeu überwucherter kleiner Glaspavillon und ein verwitterter Brunnen mit einem Engel aus grauem Stein, der Kopf von Locken umspielt; im Sommer spie er vermutlich Wasser. Hier hatte schon lange kein Gärtner mehr Hand angelegt. Ein Weg war nicht zu erkennen. Simon mochte solchen Wildwuchs, außerdem schützte er ihn vor Blicken; immerhin war er ein Eindringling und wollte nicht entdeckt werden.

      Im selben Moment kam ihm in den Sinn, dass es auf dem Grundstück einen Hund geben könnte, und alarmiert sah er sich um. Die italienischen Vierbeiner, die den ganzen Tag nicht anderes taten, als Grundstücke zu bewachen, waren ernst zu nehmende Gegner, keine freundlichen Gesellen wie Buffon, der Terrier von Nicola. Dass er an seine Ziehtochter denken musste, besänftigte ihn sofort, trotz der heiklen Situation, in der er sich befand. Sie fehlte ihm. Und sogar ihr Hund fehlte ihm. Nico hatte angekündigt, ihn über Silvester in Ronco zu besuchen, und er freute sich auf sie. Der Gedanke, dass er sie und Buffon in wenigen Tagen wiedersehen würde, tat ihm gut, und seine Gelassenheit kehrte zurück.

      »Was tust du?«

      Simon fuhr zusammen. Die Stimme kam von oben, klang nasal und fremdartig. Er blickte hoch. Oben auf dem Ast einer Kiefer saß ein Graupapagei, schlug sacht mit den Flügeln. »Du Schwein«, krächzte er zu ihm herunter. »Was tust du?«

      Ein Papagei war zweifellos weniger bedrohlich als ein Rottweiler, aber wenn der nicht aufhörte mit seinem Krächzen, könnte jemand auf Simon aufmerksam werden. Besorgt schaute er sich um. Hatte sich da etwas zwischen den Zweigen bewegt? War da jemand? Der Besitzer des Hauses? Das könnte unangenehm für ihn werden. Er verharrte einen Moment, suchte Deckung hinter den Blättern einer Bananenstaude, war wieder angespannt, spürte seinen schnellen Herzschlag. Nichts. Auch der Papagei war verstummt. Simon blickte nach oben. Der Vogel saß immer noch auf seinem Ast und starrte ihn an. Ewig konnte er nicht in seinem Unterschlupf bleiben. Sollte er nicht besser zu Carla zurückkehren? Nein. Er würde sich lächerlich machen, wenn er ihr sagte, dass er vor einem Papagei die Flucht ergriffen und deshalb den Rückzug angetreten hatte.

      Kaum fasste er diesen Gedanken, kam die Gelassenheit zurück. Er löste sich aus der Bananenpflanze, machte ein paar Schritte, zunächst vorsichtig, dann zügiger. Der Papagei krächzte noch einmal kurz, schien aber zu resignieren und blieb stumm, und Simon bahnte sich erneut den Weg durch das Gestrüpp, dorthin, wo er die Terrasse auf der Seeseite des Hauses vermutete.

      Die Sonne schien inzwischen mit großer Kraft, er schwitzte in seiner Winterjacke, hätte sie am liebsten ausgezogen, aber er durfte nun keine Zeit mehr verlieren, fühlte sich immer noch unbehaglich, wollte schnell wieder heraus aus diesem Garten, bevor ihn doch noch jemand entdeckte. Durch das Gebüsch sah er jetzt die Terrasse, ging etwas schneller, stolperte über einen Stein, rutschte aus und fiel der Länge nach hin.

      »Was tun Sie hier?«

      Das war nicht der Papagei. Simon hatte sich sofort wieder aufgerappelt und blickte in den Lauf eines Gewehrs. Der Mann, der es auf ihn richtete, war kräftiger und größer als er, aber wahrscheinlich etwa im gleichen Alter, vielleicht Mitte Fünfzig, hatte glatte, hellgraue Haare, die ihm bis zum Kinn fielen, einen kleinen silbernen Ring im Ohr und trug eine Wachsjacke und Stiefeletten, beides elegant und teuer. Er hatte die Frage auf Italienisch gestellt, aber der deutsche Akzent war unüberhörbar. Simon starrte auf das Gewehr. Er hatte sich bei dem Sturz am Fuß wehgetan, aber das war im Moment egal. Dieser Mann schien ziemlich entschlossen. Jetzt bloß nichts Falsches sagen, ihn nicht weiter gegen sich aufbringen.

      Simon antwortete auf Deutsch. »Entschuldigen Sie, dass ich einfach so in Ihren Garten eingedrungen bin. Sie sind bestimmt Max Huber. Wir wollten zu Ihnen, haben geklingelt, aber niemand hat uns aufgemacht. Wir dachten, dass Sie im Garten sein könnten. Ich wollte nachsehen, das Tor stand ja offen.«

      »Und wer ist wir?« Der Mann – der wohl tatsächlich Max Huber war, jedenfalls widersprach er nicht – richtete immer noch das Gewehr auf ihn. »Und was wollen Sie von mir?«

      »Ich bin mit Maresciallo Moretti hier. Sie wartet vor Ihrer Haustür. Wir sind wegen des Mordes an der jungen Nonne auf der Insel. Sie haben bestimmt davon gehört.«

      Der Mann fixierte ihn noch einen Moment, nahm aber schließlich langsam das Gewehr herunter. Er schien ihm zu glauben. Simon hoffte, dass er ihm nicht vorzeitig eine Information preisgegeben hatte. Carla wäre not amused.

      Aber Huber wusste ohnehin Bescheid. »Leonie? Wegen ihr sind Sie also hier?«, sagte er. »Von dem Mord weiß ich natürlich.« Sein Ton war immer noch schroff, er schulterte das Gewehr, drehte sich abrupt weg und kehrte Simon den Rücken zu. »Kommen Sie mit, dann schauen wir mal, was der Maresciallo vorne an der Haustür macht und lassen ihn auf dem unter zivilisierten Menschen üblichen Weg herein. Darf ich fragen, wer Sie sind?«

      »Simon Strasser.«

      »Und Sie sind auch Polizist?«

      »Nein, aber so etwas Ähnliches. Ich unterstütze Maresciallo Moretti bei den Ermittlungen, weil die Ermordete eine Deutsche war.«

      »Und Sie sind auch Deutscher?«

      »Nicht ganz, aber doch, ja.«

      Max Huber gab sich mit der kryptischen Antwort zufrieden, forderte Simon auf, ihm zu folgen und ging voraus zur Terrasse.

      7

      Selten hatte Simon so bequem gesessen. Die Ledersofas von Max Huber sahen sündhaft teuer aus, waren aber ohne Zweifel ihr Geld wert. Wie der Arbeitsraum der Äbtissin im Kloster war der große Wohnraum des Deutschen zum See hin verglast, und Simon konnte von seinem Platz aus beobachten, wie sich im Verlauf des Nachmittags nach und nach die Dämmerung über das Wasser legte, es erst silbrig, dann rosa, schließlich immer dunkler färbte. Zwei Motorboote fuhren in hohem Tempo über den See und kamen auf die Insel zu. Simon erkannte das der Carabinieri, das bestimmt wieder Stefano lenkte, das zweite musste das der Spurensicherung sein. Simon machte Carla ein Zeichen, aber sie hatte die beiden Boote schon bemerkt und nickte ihm zu.

      Max Hubers riesiger und lichtdurchfluteter Wohnraum strahlte Luxus aus, aber auf den ersten Blick herrschte einfach Chaos. Der Terrakottaboden war übersät mit Kunstbänden und Zeitschriften, auf einem Sekretär stapelten sich Bücher, und vor Simon auf einem niedrigen Tisch standen ein paar Weingläser mit roten, etwas verkrusteten Resten und eine Schale mit Grissini, wahrscheinlich Überbleibsel des Vorabends. Mitten im Raum zog eine Skulptur aus grob gearbeiteter Bronze den Blick auf sich, ein Mann mit schmalen Gliedern, die Arme in die Höhe gestreckt, als wollte er einen Ball fangen. Die fließende Figur erinnerte an Giacometti, und womöglich stammte sie tatsächlich von ihm, dachte Simon. In einem offenen Kamin loderten ein paar Holzscheite vor sich hin, und an den Wänden hingen großformatige Bilder, Vögel in grellen Farben und kubistischen Formen; auch den Papagei aus dem Garten meinte Simon auf einem von ihnen wiederzuerkennen. Weiter hinten stand raumgreifend vor einer getäfelten Wand ein Billardtisch mit gedrechselten Holzfüßen, die bunten Bälle noch auf dem grünen Filz verteilt, als sei gerade eben eine Partie gespielt worden. Sonst sah Simon an den Wänden nur Bücher, Bücher, Bücher.

      Huber war wie ausgewechselt, seit er Carla erblickt hatte. Erst in diesem Moment begriff er wohl, dass der Maresciallo eine Frau war, half ihr zuvorkommend aus der blauen Winterjacke, geleitete sie in den Wohnraum und verwickelte sie in seinem gebrochenen Italienisch in eine Plauderei. Dann servierte er Espresso und saß ihnen nun in einem asymmetrisch geschwungenen Sessel aus stahlgrauem Samt gegenüber.

      Simon schwieg

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