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Gefühl nicht los, ich hätte so eine widerliches Pseudoungeziefer, das man nicht wieder loswird.«

      »Ach, komm. Du bist ein Mädchen, da kann ich helfen. Wie ging der Spruch mit dem Immunisieren?«

      Wer hätte gedacht, dass Nils richtig charmant sein kann?, dachte Jana.

      Am nächsten Morgen war Jana spät dran für die Lüneburger-Vorlesung, die sie keinesfalls verpassen wollte. Sie hatte nach der Arbeit in der Whiskybar noch gelernt, am Morgen fast verschlafen und zu allem Überfluss ihre S-Bahn verpasst. Zehn Minuten fror sie im kalten Nebel, bis endlich Lichter über dem Gleis auftauchten und der nächste Zug kam. Sie stieg ein, setzte sich auf eine freie Bank und schloss die Lider, um ein wenig zu dösen. Ihre Augen brannten vor Müdigkeit und sie fröstelte. Nach 20 Minuten musste sie am Bahnhof Friedrichstraße aussteigen. Das kurze Stück von dort zur Humboldt-Uni legte sie im Laufschritt zurück. Trotzdem war es fast Viertel nach neun, als sie den menschenleeren Gang erreichte, an dessen Ende ihr Hörsaal lag. Eine Neonröhre flackerte und verlieh dem fensterlosen Korridor eine Atmosphäre, die an einen Hitchcock-Film erinnerte. Mit langen Schritten eilte sie über den dunkelgrauen Steinboden. Die Hörsaaltür war zu. Unsicher öffnete Jana die Tür und trat ein. Lüneburger war noch nicht da. Erleichtert verschnaufte sie.

      Eine kleine Gruppe von Studenten bemerkte Jana und ihr Gespräch erstarb abrupt. Eine kleine Frau, rothaarig mit Igelschnitt, starrte sie feindselig an, bevor sie sich zu den anderen umdrehte und aufgeregt zu tuscheln begann. Was sollte das? Sie kannte die Rothaarige kaum, wusste nur über eine gemeinsame Bekannte, dass sie Renate hieß. Die Übrigen kannte sie gar nicht.

      Jana schüttelte den Kopf und kämpfte gegen die Beklemmung an, die begann, ihre Kehle zu verstopfen. Sie entdeckte Wibke, die wie üblich in einer der hinteren Bänke außen saß, und dachte nicht mehr an die rothaarige Renate. Jana ging zu ihrer Freundin und setzte sich neben sie. Dabei beschlich sie das unangenehme Gefühl, dass sich Blicke in ihren Rücken bohrten.

      »Guten Morgen«, grüßte Jana. »Das war knapp. Ich hasse es, zu spät zu kommen.«

      »Morgen«, erwiderte Wibke eisig. »Mit dir habe ich heute gar nicht gerechnet.« Wibke wandte sich zu ihr um und betrachtete sie mit dem Gesichtsausdruck einer Sphinx. Sie war gewohnt elegant gekleidet und stark geschminkt, doch heute wirkte sie mit dem karminroten Lippenstift und dem strengen Dutt regelrecht unnahbar. Wibkes sündhaft teures Parfum stand wie eine Mauer zwischen ihnen.

      »Guten Morgen«, tönte es von vorne und lenkte Janas Aufmerksamkeit ab. »Professor Lüneburger ist heute verhindert, sodass ich die Vorlesung halten werde.« Jana sah zu Alexander Maybach, Lüneburgers Assistenten, der ihn gelegentlich vertrat. »Das Thema heute heißt ›Anker setzen‹. Sie alle kennen das Prinzip. Geschicktes Verhandeln bedeutet, rechtzeitig eine konkrete Zahl ins Spiel zu bringen …« Wibke musterte sie die ganze Zeit von der Seite, statt Maybach zuzuhören.

      »Ist etwas?«

      »Tu nicht so!«, zischte Wibke. Ihre karminrot lackierten Fingernägel trommelten fordernd auf dem kleinen Pult.

      »Was … was ist denn?«

      »Das besprechen wir am besten nach der Vorlesung. Dabei muss ich dir in die Augen sehen.« Demonstrativ drehte Wibke sich Maybach zu.

      Den Rest der Vorlesung hätte Jana sich sparen können. Wibke würdigte sie keines Blickes, und sie zermarterte sich das Hirn, was in ihre Freundin gefahren sein könnte. Nach dem Ende der Vorlesung verließen die meisten Studenten schnatternd den Hörsaal. Nicht wenige warfen Jana beim Vorbeigehen abfällige Blicke zu und tuschelten hinter vorgehaltener Hand. Wibke zog wortlos ihren Rechner hervor und sah sich um. Schräg hinter ihnen lungerte die Gruppe der Studierenden um Renate am Ausgang herum. Ungeschickt versuchten sie, Jana und Wibke zu beobachten. Wibke schaute sie herausfordernd an, bis sie verschwanden. Dann klappte sie ihren Rechner auf.

      »Erklär mir bitte, was das soll!«, forderte Wibke und zeigte Jana eine E-Mail mit Absender »[email protected]«.

      Hi, warum hast du mir nie erzählt, dass der Penner auf dem Bild unten dein richtiger Vater ist. OMG!

      Jana las, betrachtete das Bild eines Obdachlosen und blickte entgeistert zurück zu Wibke, deren Mund ein schmaler roter Schlitz war.

      »Oder das!«

      Wibke zeigte ihr eine Whatsapp-Nachricht, in der unterstellt wurde, sie hätte sich in ihrer Schulzeit prostituiert – versandt von Jana!

      »Oder das!« In einem Facebook-Eintrag wurde gewarnt, dass Wibke illegale Schneeballgeschäfte anstoße. Der Eintrag war in einer neuen Whatsapp-Gruppe gepostet, der außer Wibke und Jana nur fünf weitere Personen angehörten, alle aus ihrer gerade gegründeten Lerngruppe, zu der sie sich demnächst erstmals treffen wollten.

      Angelegt hatte die neue Gruppe eine »Liowa Colonia«, von der auch der Facebook-Post stammte.

      »Keine Ahnung«, stammelte Jana. »Ich sehe das alles zum ersten Mal. Du glaubst doch nicht, dass das von mir ist?«

      »Es fällt mir schwer, das nicht zu glauben. Weißt du, ich habe die anderen gefragt. Niemand kennt eine ›Liowa Colonia‹. Bleibst du. ›jane-the-lion‹ hört sich so nach Jana Loewe an, dass es dich fast entlastet, so schwachsinnig ist es. Aber schau mal auf die Zeile unter der Signatur. ›Zu viel Mathe schadet dem Gehirn.‹ Hast du mir nicht kürzlich erzählt, dass das dein Lieblingsspruch auf der Schule war?«

      Jana schluckte. Ihr wurde eiskalt. »Du musst mir glauben«, flüsterte sie. »Ich habe damit nichts zu tun!«

      Wibke schnaubte empört, doch es wirkte eine Spur weniger aufgebracht als eben.

      »Und was hätte es für einen Sinn, dich zu beschimpfen? Meine beste Freundin auf der Uni.«

      »Hmm«, knurrte Wibke. »Wenn du es nicht warst, wer war es dann?« Prüfend sah sie Jana in die Augen, als wolle sie sie hypnotisieren.

      »Mit so einem Mist würde ich mich total isolieren«, beteuerte Jana. »Wer kann denn so etwas wollen?«

      »Wer kann so etwas wollen?«, wiederholte Wibke leise, wobei sie an Jana vorbei hinunter zur Tafel sah. »Du selbst scheidest aus. Jedenfalls bist du zu klug, und von einer masochistischen Ader habe ich an dir bislang nichts bemerkt.« Wibke wandte sich wieder Jana zu, und ihr Blick wärmte wie ein Kaminfeuer auf einer Skihütte. »Folglich jemand anderes. Wer könnte dich isolieren wollen? Ha!« Ein triumphierender Ausdruck legte sich auf Wibkes Gesicht. »Wie heißt dieser Typ, den wir neulich getroffen haben? Der, den du wegen deines Rechners um Hilfe gebeten hast.«

      »Nils? Wie kommst du auf Nils?«

      »Der will dir an die Wäsche. Das sieht doch jeder Blinde! Und nach allem, was du mir erzählt hast, kann der Typ mit deinem Rechner alles machen, was er will. Spätestens, wenn du online bist! Der Kerl hat keine Freundin, oder?«

      »Nils? Das ist ausgeschlossen. Nils ist hilfsbereit, und ansonsten lebt er in seiner Welt aus Computern, Rudern und Go-Spielen. Aus Frauen macht der sich nichts.«

      »Rudern? Der Hänfling! Mädchen – sei nicht so blauäugig! So ein Kerl sammelt Infos, wie und wo er dir nachstellen kann.«

      »Das ist absurd«, widersprach Jana. Überraschenderweise klang es bei Weitem nicht so überzeugend, wie sie es klingen lassen wollte. Was Wibke sagte, war nicht unvorstellbar. Andererseits fühlte sie sich wohl mit Nils, und soweit sie sich erinnern konnte, hatte Nils stets gerne geholfen und nie jemanden gelinkt. Warum sollte er bei ihr darauf aus sein? »Nein, Wibke, du kennst Nils nicht. Das ist nicht so einer. Ausgeschlossen. Und Rudern können auch Hänflinge. ›Leichtgewichte‹ nennt sich das.«

      »Und wie erklärst du sonst den Dreck?« Mit Nachdruck zeigte sie auf den Bildschirm ihres Rechners. Ihr Mund schrumpfte zurück zu dem schmalen Strich.

      »Keine Ahnung. Es muss eine andere Erklärung geben. Vielleicht hat Nils eine Idee?«

      Wibke zuckte zusammen, als sie Nils’ Namen aussprach. »Na, dann ist alles gesagt«, stellte sie fest und klappte den Rechner zu. »Ich muss los.«

      Sie

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