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Der Kodex des Bösen. Frank Kurella
Читать онлайн.Название Der Kodex des Bösen
Год выпуска 0
isbn 9783839230169
Автор произведения Frank Kurella
Издательство Автор
*
»Wo bleibt der Kerl nur so lange? Er weiß genau, dass ich ihn brauche, wenn der abendliche Trubel hier wieder losgeht.« Annehild Janssen kannte ihren Mann zur Genüge, um zu wissen, dass es Sorge um Marcus war und nicht Verärgerung über sein Verschwinden, die ihn dazu trieb, in der Schenke auf und ab zu laufen wie ein unruhiges Ferkel, das das Kommen des Fleischers erahnt. Janssen war eben erst vom Hafen zurückgekehrt. Auch dort hatte niemand ihren Zögling heute gesehen.
»Vielleicht ist er einfach nur auf und davon und kehrt in ein paar Tagen munter und vergnügt zurück.« Annehild versuchte ihren Gatten zu beruhigen und legte bei diesen Worten ihre Hand auf die seine. Barsch zog der Wirt seine Pranke zurück.
»Nur so, auf und davon? Du solltest den Jungen zwischenzeitlich besser kennen. Er ist nicht der Tunichtgut, für den du ihn immer noch hältst!«
Annehild bereute ihre Worte und fühlte sich missverstanden. Schließlich hatte sie sich schon vor einiger Zeit eingestehen müssen, dass sie sich in Marcus getäuscht hatte. Gewiss, anfangs hatte sie sich dagegen gewehrt, ihn, einen Taschendieb, bei sich aufzunehmen. Doch nach und nach hatte er sie mit seinem Fleiß bei der täglichen Arbeit überzeugt. Mittlerweile hatte sie den weißblonden Jungen sogar ein wenig lieb gewonnen und machte sich nun nicht minder Sorgen als ihr Gatte.
Der Wirt schien sich kaum mehr beruhigen zu wollen, als sich die Tür zum Schankraum öffnete. Hubertus Hohenfels, der dienstbeflissene Helfer des Schultheißen, kam mit fünf weiteren seiner Männer herein. Statt sich an einen der Tische zu setzen, schritt er mit ernster Miene auf Berthold zu. Die anderen fünf folgten ihm und schauten eher etwas verlegen drein.
»Berthold Janssen?«, fragte Hubertus mit fester Stimme.
Was war in den Kerl gefahren? Hatte er beim gestrigen Gelage den Verstand versoffen? Er kannte den Wirt zur Genüge, als dass er ihn nach seinem Namen fragen musste. »Bist du immer noch betrunken, Hubertus?«
Hohenfels ignorierte die Worte des Wirts und sprach mit eisiger Miene: »Janssen, im Namen des Kurfürsten, unserer Eminenz Erzbischof Siegfried und unserer heiligen Mutter Kirche nehme ich Euch hiermit fest.«
Janssen glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Noch bevor der Verdutze etwas entgegnen konnte, wandte sich der Obere an seine Männer: »Ergreift ihn und schafft ihn hinaus!«
Je zwei der Soldaten packten Berthold zögerlich an seinen muskulösen Armen und schoben ihn vorsichtig in Richtung der Tür. Der fünfte hielt Annehild zurück, der Tränen des Zorns in die Augen schossen.
»Was habt Ihr mit ihm vor? Er hat nie etwas Unrechtes getan.«
»Annehild, es wird sich alles klären. Es ist wegen …«
Weiter kam der Mann nicht, denn Hubertus fiel ihm barsch ins Wort: »Ich glaube nicht, dass der Erzbischof in seinen Entscheidungen der Frau eines Schankwirts Rechenschaft schuldig ist!«
»Ich bin bald wieder zurück«, beschwichtigte Berthold seine Frau und drehte sich noch einmal zu ihr um, bevor ihn die vier hinaus auf die Gebrante Gaß in Richtung Blutturm führten.
*
»Und nun, Männer der ruhmreichen Taten, kommt der berühmte Medikus Flatavio zu Euch. Gewiss hat sich die Kunde herumgesprochen, dass er an so manchem hohen Hof praktiziert und Könige sowie Fürsten von aussichtslosem Leiden befreite. Ob im fernen Konstantinopel, am Heiligen Stuhl zu Rom oder in den Schlachten unserer tapferen Ritter des Kreuzes gegen das Heidenheer des Teufels Saladin. Viele derer, die gesund aus dem Heiligen Land zurückkehrten, verdanken dies ohne Zweifel seiner heilenden Kunst.« Begleitet von diesen Worten des Ruhmes trat ein dürrer Kerl auf die Bretter. Er trug einen langen schwarzen Umhang und einen hohen Hut auf dem kahlen Kopf. »Gott möge es verhüten, doch wer sagt Euch, dass Ihr nicht in der anstehenden Schlacht durch das Schwert eines feigen Feindes hinterrücks verwundet werdet?« Dominikus von Dobberstein beugte sich verschwörerisch zu seinem Publikum hinunter und starrte geheimnisvoll in die Runde. Mit einem Mal war die überschwängliche Freude der Menge dahin, und ein Gefühl der Angst machte sich spürbar breit. »Doch mit der Medizin des Medikus seid ihr im Handumdrehen wieder auf den Beinen und jagt die brabantischen Bastarde in die Flucht.« Schlagartig richtete er sich bei diesen Worten auf und zeigte mit ausgestreckter Hand auf eine große Holztruhe, die von zweien der Musiker nach vorne getragen wurde. Der Medikus öffnete langsam und bedächtig den Deckel und griff in die Truhe. Mit einem Ruck riss er den Arm in die Höhe und streckte ein Fläschchen in den Abendhimmel. Die Männer wichen erschrocken einen Schritt zurück. »Habt keine Furcht und tretet näher! Dies ist das wundersame Mittel, das Euch die Heilung bringen wird. Die Wundermedizin des Medikus Flatavio! Ob ein Reißen in der Schulter, ob eine klaffende Wunde am Arm, ja selbst bei Blut im Stuhl hilft diese Medizin!« Dobberstein ruderte einladend mit den schlaksigen Armen. Skeptisch bewegte sich die Menge langsam wieder nach vorn.
Marcus bemerkte im Augenwinkel einen kleinen Trupp Männer, der sich von rechts auf die Zuschauer zubewegte. Im Schein der Fackel, an der sie nun vorüberschritten, erkannte er Hubertus Hohenfels, der sich suchend umblickte. Instinktiv duckte Marcus sich ein wenig und wich ein paar Schritte nach links aus. Durch die Menschenansammlung hindurch beobachtete er, wie Hohenfels einen der Zuschauer ansprach. Der Mann schüttelte nur den Kopf. Der nächste hingegen schien das Gespräch zu erwidern. Auch die übrigen Bewaffneten, die mit Hubertus gekommen waren, begannen nun mit der Befragung. Marcus machte sich noch ein Stück kleiner und drängte immer weiter seitwärts. Er hatte den äußersten Rand der Menge beinahe erreicht, als einer der Befragten plötzlich in seine Richtung zeigte. Marcus durchfuhr ein eiskalter Schauer. Sie waren gekommen, um ihn in die Stadt zurückzuholen.
Im gleichen Augenblick packte ihn jemand am Arm und zerrte ihn aus dem Gedränge. Erschrocken drehte Marcus sich um und blickte in ein Paar grün funkelnde Augen. »Komm!«, zischte die Irin, die ihr rotes Haar unter einem Kopftuch verborgen hatte. Bevor Marcus etwas erwidern konnte, hatte sie schon ihre zarte Hand auf seinen Mund gelegt. Ein milder Lavendelduft stieg ihm in die Nase. Doch nun war wirklich nicht die Zeit für Träumereien. Rasch zog sie Marcus zwischen den vorderen Zelten der Gaukler hindurch ins Dunkel. Vor einem niedrigen Zelt blieb sie stehen.