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Da ist sie auch schon die Stiege hinuntergelaufen mit etwas Großem, Rechteckigem unter dem Arm. Und die Susi hat ihr nachgeschrien: ›Nimm es nur und werde glücklich damit!‹«

      Das Bild, dachte Leopold, die Schwester hat das Bild mitgenommen. Er machte einen Zug an seiner Zigarette. »Ist ja interessant«, sagte er. »Ich kenne die Gertrud. Sie war früher manchmal mit der Frau Susi im Kaffeehaus, als sie noch zusammengelebt haben.«

      »Ich kenn die Gertrud auch«, meldete sich Berger, nur um etwas zu sagen.

      »Sehen Sie«, sagte Frau Ivanschitz. Es klang nicht ganz passend, aber sie sagte es. »Aber das ist noch lange nicht alles. Mitten in der Nacht war da noch einmal so ein Getöse. Es war so ein Wirbel auf dem Gang, dass ich aufgewacht bin. Ein Betrunkener ist vor der Tür von der Frau Susi gestanden – das heißt, so richtig gestanden ist er eigentlich nicht mehr, er hat eher gewackelt – und wollte allem Anschein nach hinein zu ihr. Ich konnte ihn leider nur von hinten sehen, und es war sehr düster. Ich konnte also nicht viel erkennen. So geschneckerltes (gelocktes) Haar hat er gehabt und eine dunkle Lederjacke getragen. Keine Brille, kein Bart, glaube ich. Die Frau Susi hat gerufen: ›Was wollen Sie denn da? Sie können doch jetzt nicht zu mir herein um diese Zeit! Schaun S’, dass Sie verschwinden, sonst rufe ich die Polizei!‹ Sie war ganz aufgeregt, und ich habe mir gedacht, ich muss jetzt hinübergehen und ihr helfen.«

      »Und dann?«, fragte Berger gespannt. Er schien wieder zu Kräften zu kommen.

      »Dann hat er noch etwas gestammelt, was ich nicht verstanden habe, und ist gegangen, besser gesagt, die Stiege hinuntergetorkelt. Die Frau Susi hat ihre Türe zugemacht und ich habe mich wieder niedergelegt. Mein Mann hat gefragt, was los war, und ich habe gesagt: ›Ach, nur so ein Betrunkener, kannst ruhig weiterschlafen.‹« Sie machte eine kurze künstlerische Pause. »Nach einer Weile bin ich noch einmal aufgewacht, weil ich mir eingebildet habe, ich hätte etwas gehört. Es war aber dann ganz ruhig, und auch auf dem Gang war niemand. Ich dachte also, ich hätte es nur geträumt. Ich konnte ja nicht ahnen, dass dieser brutale Kerl zurückgekommen ist und die Frau Susi erschlagen hat.«

      »Wieso soll gerade er es gewesen sein?«, fragte Leopold.

      »Weil er betrunken war und enthemmt, und weil er etwas wollte von der Frau Susi und sie ihn nicht in die Wohnung gelassen hat. Irgendwie wird er sich schon wieder Zutritt verschafft haben. Vielleicht ist er heimlich eingedrungen, sie hat ihn bemerkt und er hat sie niedergeschlagen. Was weiß denn ich! Wer käme denn sonst in Frage?«

      »Ich weiß auch nicht, aber immerhin könnte zum Beispiel schon jemand da gewesen sein, den Sie nicht bemerkt haben. Eine andere Frage: Wann war denn das Ganze genau?«

      »Ganz genau kann ich es nicht sagen, aber das erste Mal bin ich so gegen 1.15 Uhr aufgewacht, das zweite Mal ungefähr eine halbe Stunde später.«

      Das konnte vom Zeitschema her passen, sofern die Angaben dieser aufdringlichen, neugierigen und betont reinlichen Nachbarin auf Wahrheit beruhten. Was Leopold nun allgemein freundlicher stimmte, war die Tatsache, dass er begann, den Gesprächsverlauf zu bestimmen. »Hat Frau Susi denn öfter abends oder so spät in der Nacht Besuch gehabt? Ist Ihnen da etwas aufgefallen?«, fuhr er fort.

      »In letzter Zeit eigentlich nie, soweit ich weiß. Sie kam manchmal später nach Hause, aber Besuche – nein!«

      »Glauben Sie, dass sie den Betrunkenen gekannt hat?«

      »Also, das kann ich nicht sagen. Das kann ich wirklich nicht sagen.«

      »So, jetzt haben Sie aber wirklich alles erfahren, was Sie wissen wollten«, meldete sich der munter gewordene Berger wieder zu Wort. »Ich kann es Ihnen nicht ersparen, Sie müssen noch einmal hinüber zur Frau Susi und endlich die Polizei anrufen. Es ist Ihre Schuld, wenn Sie bis jetzt gebrodelt (getrödelt) haben. Aber anrufen müssen Sie irgendwann einmal.« Der Kaffee entwickelte bei ihm jetzt eine belebende Wirkung. Oder war es doch der Schnaps von vorhin?

      Leopold konnte sich jedenfalls nicht mit dem Gedanken anfreunden, sich auf ein weiteres Rendezvous mit der Leiche einzulassen. »Nein, hinüber geh ich jetzt nicht mehr«, stöhnte er. Dann nahm er ein kleines Handy aus seiner Sakkotasche, tippte rasch eine Nummer ein, wartete einige Augenblicke und sagte dann mit einem zurechtweisenden Blick auf den verblüfften Berger:

      »Spricht dort die Mordkommission? … Ja? … Dann verbinden Sie mich bitte mit Oberinspektor Juricek. Es ist dringend.«

      4

      Der düstere Gang des alten Mietshauses belebte sich schlagartig, als die ersten Polizeiautos mit Blaulicht vorfuhren. Plötzlich kamen sie alle hervor: alte und nicht mehr ganz junge Damen, ein etwas verwirrt wirkender kleiner Herr im Pyjama, ein Fettwanst mit einer Bierflasche in der Hand, eine türkische Frau mit einem Kind im Arm und einem weiteren an ihrer Kittelfalte. Überall glotzten neugierige Augen die Brüstung des Stiegengeländers hinab. »Was, die Frau Niedermayer«, hieß es, »das habe ich schon lange kommen sehen!« und »Man ist sich ja nicht einmal mehr zu Hause seines Lebens sicher.« Die Stimmen gingen durcheinander, aber nicht laut, sondern nur leise und flüsternd. Das Ereignis schien für kurze Zeit die Grabesruhe in dem alten Gemäuer zu unterbrechen, aber nur, um sie durch das zögernde Gemurmel einer Gruppe Scheintoter zu ersetzen, die für kurze Zeit zum Leben erweckt worden waren.

      Irgendwo dazwischen, einmal hier, einmal da, stand in erregter Diskussion Frau Ivanschitz. Man konnte ihre penetrante Stimme gut aus der gedämpften Unruhe heraushören. Sie leistete ganze Arbeit, indem sie die Neuigkeiten um den Tod der Frau Niedermayer in Windeseile weiterverbreitete. Dabei wirkte sie wie eine Animateurin, die ihr Publikum zu einem Stimmungshöhepunkt führen wollte.

      Die eingetroffenen Beamten waren über den Auflauf alles andere als glücklich. »Bitte gehen Sie in Ihre Wohnungen. Wir holen Sie, wenn wir Sie brauchen«, sagte ein jüngerer Polizist in Zivil schroff. Sein rundliches Gesicht nahm rasch die Farbe seiner kurz geschnittenen roten Haare an, wenn er sich ärgerte. Und im Augenblick ärgerte er sich. Er stand gemeinsam mit Berger und Leopold im Vorraum von Frau Susis Wohnung.

      »Sie haben also die Leiche gefunden«, fuhr er Berger an.

      »Jawohl«, nickte Berger vertrauensselig.

      »Und wann war das?«

      »So circa um 12 Uhr. Ich komme jeden Tag um diese Zeit essen zur Frau Niedermayer. Sie kocht für mich, seit meine liebe, gute Frau das Zeitliche gesegnet hat. Das war vor fünf Jahren. Meine Frau ist an Krebs gestorben und …«

      »Das interessiert mich nicht. Antworten Sie nur auf die Dinge, die Sie gefragt werden.« Der junge Inspektor wirkte reichlich ungehalten und nervös. »Wie kamen Sie in die Wohnung?«

      »Ich habe einen Schlüssel. Als mir niemand öffnete, habe ich einfach die Türe aufgesperrt.«

      »War die Türe verschlossen?«

      »Nein!«

      »Aber zu war sie, nicht etwa nur angelehnt?«

      »Ja, ja.«

      »Gut!« Der Inspektor machte eine kurze künstliche Pause. »Sagen Sie, wie kommt es, dass die Tür nur angelehnt war, als wir kamen?«, fragte er dann scharf. »Haben Sie etwa in Betracht gezogen, die Tote einer allgemeinen Beschau freizugeben?«

      Berger verschlug es für einen Augenblick die Sprache. Dann nahm er all seine Kräfte zusammen, die allerdings angesichts der prallen Röte im Gesicht des Inspektors bereits wieder im Schwinden begriffen waren. »Schnauzen Sie mich bitte nicht so an«, sagte er. »Ich habe die Tür gewissenhaft zugemacht. Sie ist verzogen und klemmt ein bisschen. Es geht oft nicht leicht, aber ich weiß das und ziehe sie immer ganz zu. Aber der Letzte in der Wohnung war ja gar nicht ich, das war der Herr Leopold«, meinte er dann triumphierend.

      »Wer ist das? Ist das etwa derjenige, der bei uns angerufen hat?« Der Inspektor rang um Beherrschung.

      »Ja, ich bin das«, meldete sich Leopold. »Bitte, es kann schon sein, dass die Türe klemmt. Vielleicht hätte ich stärker anziehen sollen. Aber was weiß man schon.«

      Der Inspektor schien nun seine

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