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schlank, gepflegt und immer elegant gekleidet. Sein ›Markenzeichen‹ war seine schwarze Lederjacke, unter der er heute ein weißes Hemd mit hellblauer Krawatte und einen grauen Anzug trug. Sein Gesicht wirkte auch in betrunkenem Zustand noch angenehm, obwohl er alles tat, um einen gegenteiligen Eindruck zu erwecken. Kein Wunder, dass Stefan als Versicherungsvertreter Erfolg hatte, kein Wunder auch, dass, was ihm noch mehr bedeutete, die Frauen nur so auf ihn flogen. Nur der genaue Beobachter – und Leopold war ein solcher – erkannte bereits die Spuren eines kurzen, bewegten Lebens an ihm. Stefan war erst Anfang 30.

      Leopold stellte ihm das Bier auf die Theke, dann trug er die fünf Achteln nach hinten und machte die Karambolespieler darauf aufmerksam, dass in zehn Minuten Billardschluss sein würde. Beim Zurückgehen hörte er schon Stefans klagende Stimme:

      »Nein, da soll einer klug werden aus den Weibern!«

      Also daher wehte der Wind. Stefan hatte wieder einmal Probleme mit einer Frau. Das war keine Seltenheit, das war eigentlich bei Stefan die Regel. Meistens lernte er eine kennen, schwärmte von ihr über die Maßen, hatte die vorzüglichsten Absichten – nur, um dann unweigerlich wieder in seine alten, ausschweifenden Lebensgewohnheiten zurückzufallen. Dann gab es Schwierigkeiten, die er im Kaffeehaus bereden musste. Leopold gefiel das – er redete gern über Frauen, wahrscheinlich, weil er selbst keine hatte. Deshalb nahm er Stefan manchmal auch gegenüber der Chefin in Schutz, wenn sie, so wie jetzt, einen finsteren Blick in seine Richtung warf. Er konnte mit Stefan mitfühlen, wenngleich er seine Exzesse nicht guthieß.

      Leopold dachte krampfhaft nach, wie Stefans jetzige Freundin heißen mochte. Vor Kurzem war noch eine Barbara aktuell gewesen, aber wer weiß …

      »Hinausgeschmissen hat sie mich, einfach so!«, brummte Stefan in sein Bier, nachdem er einen großen Schluck genommen hatte.

      »Die Babsi?«

      »Ja!«

      »Aber geh!«, bemerkte Leopold.

      »Ja, heute! Ich komme von der Arbeit nach Hause zu ihr, sagt sie einfach, ich kann gleich wieder gehen. Und morgen soll ich meine Sachen holen. Sie will Schluss machen.«

      »Hast am Wochenende leicht (denn) blau gemacht?«, fragte Leopold.

      »Ja«, sagte Stefan einsilbig.

      Es war immer dasselbe. War Stefan einmal unterwegs, bedeutete eine Nacht gar nichts. In diesen Fällen nahm er es auch mit der Treue nicht so genau. Für einen kleinen Seitensprung genügte dann ein hübsches, junges weibliches Wesen, das sich seine Probleme anhörte, ihn in seine Wohnung mitnahm und von seinen sexuellen Fähigkeiten im Vollrausch angetan war. Man musste froh sein, dass er nach solchen Ausrutschern noch den Ehrgeiz hatte, seinen beruflichen Verpflichtungen nachzukommen.

      »Ist es wirklich aus?«, fragte Leopold.

      »Scheint so!«

      »Und da möchtest du heute wieder nicht schlafen gehen? Geh, komm! Du hast doch da vorne noch deine kleine Wohnung. Ruh dich ein bisschen aus. Morgen schaut die Welt wieder ganz anders aus.«

      Diese Feststellung ließ einen Ruck durch Stefans Körper gehen. In seine Junggesellenbude zog er sich nur mehr in Notfällen zurück. Noch weigerte er sich, seine jetzige Situation als Notfall zu betrachten.

      »Es ist alles beschissen«, sagte er. »Ich möchte jetzt nicht allein sein.«

      In diesem Moment rief Frau Susi ein lautes »Zahlen!« aus der hinteren Loge nach vorne. Sie war schon spät dran. Aber auch sie hatte nicht allein sein wollen vor der Zusammenkunft, die ihr heute noch ins Haus stand.

      »Komme sofort«, sagte Leopold und raunte zu Stefan:

      »Siehst, die wär jetzt was für dich. Wohnt nur zwei Häuser weiter und ist alleinstehend. Aber Vorsicht: Die hat in ihrem Leben noch keinen Mann gehabt!«

      »Ja, die würde gerade passen«, lachte Stefan. »Aber wirklich, ohne Spaß! Sag, ist das nicht die süße Susi, eure Zuckerpuppe?«

      Leopold nickte. »Ich weiß nur nicht, was sie jetzt noch da macht. Normalerweise ist sie um diese Zeit schon im Bett.«

      »Mit der könnte ich wenigstens noch ein bisschen plaudern«, sagte Stefan.

      ›Könntest du, wenn du nüchtern wärst‹, dachte Leopold nur und schritt bedächtig zum Inkasso. Anschließend half er Frau Susi in ihren nicht mehr modernen, aber auch nicht abgetragenen dunkelblauen Mantel:

      »Vielen Dank, gnädige Frau, und beehren Sie uns bald wieder. Morgen?«

      »Nein, erst übermorgen. Morgen ist ja Klub!«, sagte Frau Susi.

      »Ach so, morgen geht’s wieder in die große weite Welt. Na, dann halt übermorgen. Passen Sie nur schön auf bei dem Nebel, dass Ihnen nichts passiert. Man sieht ja kaum mehr die Hand vor den Augen.«

      »Mir passiert schon nichts. Ich wohn ja nicht weit.«

      »Ich geh ein Stückchen mit Ihnen!«, hörte man Stefan von der Theke her lallen.

      »Hören Sie nicht auf den«, beruhigte Leopold. »Ich hab ihn schon unter Kontrolle. Er meint es nicht so! Gute Nacht!«

      »Und ob ich es so meine«, sagte Stefan, nachdem Susi verschwunden war.

      »Jetzt reiß dich doch zusammen«, fauchte Leopold. »Du fängst an, mir die Gäste zu vertreiben!«

      »Du bist selber schuld, Leopold. Schäkerst da mit der Zuckerltante und lässt mich alleine an der Theke stehen. Wo ich doch heute nicht allein sein will und kann. Ich brauche Betreuung, Leopold, Betreuung und Liebe! Ich brauche Menschen um mich.«

      »Dein Problem ist die eine Sache, und alles andere hat damit nichts zu tun.«

      »Oh, Leopold, wenn du wüsstest, wie unrecht du hast! Jetzt sei aber nicht mehr böse und stoß auf einen Versöhnungstrunk mit mir an. Außerdem hast du mir die Alte wie auf dem Servierbrettl angeboten. Und so zuwider ist sie ja nicht.«

      »Perversling!« Jetzt lächelte Leopold wieder. »Ich will ja nur, dass du unsere Gäste in Ruhe lässt. Und wenn du dich noch ein paar Minuten geduldest, lasse ich mich von dir auf ein Getränk einladen. Aber vorher gehe ich schnell abkassieren.«

      »Jetzt bleib doch da!«

      Aber Leopold hatte sich bereits diensteifrigen Schrittes von Stefan wegbewegt. Dass der auch immer so kindisch und anhänglich sein musste, wenn er einen über den Durst getrunken hatte. Irgendwann, fürchtete Leopold, würde sich das rächen.

      Mittlerweile eilte Susanne Niedermayer nach Hause zu ihrer Wohnung. Sie ging schneller als sonst durch den dichten Nebel, als würde sie ahnen, dass ihr nicht mehr viel Zeit zum Leben blieb.

      2

      Am nächsten Tag öffnete Leopold kurz nach 7 Uhr früh die Pforten zum Kaffeehaus. Der Nebel hing noch immer über dem Stadtteil nördlich der Donau, aber es schien, als könne er sich während des Tages lichten – zumindest glaubten das die Wetterfrösche. Einstweilen huschten, nur schwach vom Schein der Straßenlaternen erfasst, die Menschen noch eher schemenhaft vorbei in Richtung U-Bahn, Schnellbahn oder zur gegenüber dem Café liegenden Straßenbahnhaltestelle.

      Leopold mochte an sich diese Zeit, wenn der Tag, das Kaffeehaus und die Leute erwachten. Die ersten Gäste trafen zu einem Frühstück ein, und er war mit ihnen, bis auf eine Küchenhilfe, alleine. Herr und Frau Heller blieben am Morgen in ihrer Wohnung oberhalb des Kaffeehauses, und Aufsicht, Kontrolle und Organisation blieben alleine Leopold überlassen, sofern er und nicht ›Waldi‹ Waldbauer, Ober Nummer zwei im Café Heller, Dienst hatte.

      Normalerweise wusste Leopold das in ihn gesetzte Vertrauen zu schätzen. Heute hatte er jedoch bleierne Glieder und einen dummen Kopf. Drei Seideln (Glas; 0,3 Liter) Bier und ein Stamperl

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