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nicht im Auto! Darüber spreche ich nicht während der Fahrt.«

      Für eine solche Auseinandersetzung brauchte sie die volle Aufmerksamkeit.

      Er lenkte mit sanfter Miene ein. »Ein Vorschlag: Wir sehen uns die Leuchten an, und danach lade ich dich zum Essen ein. Dabei reden wir. In aller Ruhe.«

      Sein Vorschlag machte ihr bewusst, wie hungrig sie war. Sie hatte es gar nicht bemerkt an diesem turbulenten Tag. Die Rheingauer Weinwoche war in vollem Gang, und nach sieben Tagen am Verkaufsstand, von 11 Uhr morgens bis abends um halb acht, konnte sie keine grüne Soße mehr sehen, geschweige denn zu sich nehmen. Obwohl das Essen gut und schmackhaft war. Es stammte aus der Küche der Weinstube ›Räuber Leichtweis‹ und kam ihr als Vegetarierin sehr gelegen. Bruno hatte Norma die Aufsicht über die Studentinnen übertragen, und so blieb ihr selten Zeit für eine Pause. Bevor es am Abend richtig rund ging, wurde sie von seiner langjährigen Angestellten abgelöst. Gabi erschien pünktlich auf die Minute und verbreitete die Aura zuverlässiger Geschäftigkeit, sobald Norma ihr die Kasse und den Schlüssel übergeben hatte. An jedem Abend war Norma dankbar, wenn sie aus dem Trubel herauskam. Das Wetter zeigte sich in diesem Sommer wie bestellt für ein Fest dieser Größenordnung rund um das Wiesbadener Rathaus. Die milden Nächte lockten die Gäste noch zahlreicher an die Buden der Rheingauer und Wiesbadener Winzer als die sonnigen Tage. An diesem Nachmittag hatte sich die Luft von Stunde zu Stunde stärker aufgeheizt und lag in drückender Schwüle über der Stadt.

      Arthurs Angebot zum Abendessen war eine Überlegung wert, auch wenn sie auf die traute Zweisamkeit gern verzichtet hätte. Ihr Kühlschrank war ausgeräumt, und der Lebensmittelladen am Ende der Taunusstraße hatte, sofern die verschnörkelte Pendeluhr neben der Bürotür genau ging, seit drei Minuten geschlossen. Außerdem musste sie an die Ermahnungen ihrer Anwältin denken, gewisse dringliche Fragen endlich abzuklären. Also gut, stimmte sie zu und ging, während Arthur die Kassenabrechnung erledigte, hinauf in die Wohnung, die über den Geschäftsräumen lag und vom Innenhof aus über eine Außentreppe zu erreichen war. Sie fand nach kurzer Suche das Yogabuch für Anfänger, das sie schon im vergangenen Winter gekauft hatte, sammelte dazu ein paar weitere vermisste Bücher aus den Regalen und packte sie zusammen mit ihrer restlichen Kleidung in eine Reisetasche.

      Arthur wartete unten im Hof. Einen hellen Baumwollpulli lässig um den Nacken gewunden und den Regenschirm in der Hand, wippte er auf den Zehenspitzen. »Wieso stiehlst du meine liebste Reisetasche?«

      Sie öffnete die Heckklappe und stellte die Tasche in den Kofferraum. »Man kann nichts stehlen, das einem gehört. Die Tasche habe ich damals für einen Lehrgang gekauft, und dass du sie über die Jahre benutzen durftest, verdankst du meiner Großzügigkeit.«

      »Und wenn ich die Tasche brauche?«

      Sie schlug die Klappe zu. »Willst du verreisen?«

      Er antwortete nicht, sondern musterte kritisch den Wagen. »Du fährst das Ding immer noch?«

      Norma schloss die Fahrertür auf. »Wenn es deinen Sinn für Schönheit beleidigt, dann sieh doch zu, wie du nach Limburg kommst.«

      Der schwarze Ford Fiesta war ein Geschöpf des vorigen Jahrhunderts, von Schrammen und dezenten Beulen gezeichnet und unscheinbar genug, um keine Aufmerksamkeit zu erwecken, wenn er am Straßenrand parkte. Außerdem war der Wagen sparsam im Verbrauch und bisher immer zuverlässig. Vor allem, was die Elektrik betraf, wie sie beim Einsteigen nicht zu erwähnen vergaß. Arthur warf den Schirm auf den Rücksitz, in der Überzeugung, das Gewitter würde nicht lange auf sich warten lassen, und quetschte sich auf den Beifahrersitz, die langen Beine auf Storchenart zusammengefaltet. Den Pullover breitete er auf den Knien aus.

      Sie zog die Nase kraus. »Seit wann parfümierst du dich?«

      Er fingerte an der Rückenlehne herum. »Das Rasierwasser war ein Geschenk.«

      Sie verkniff sich die Frage, von wem, und nutzte eine Lücke im Verkehr, um schwungvoll auf die Taunusstraße einzubiegen. »Übrigens wäre ich mit dem Hebel vorsichtig …«

      Schon war die Rückenlehne umgeschlagen, und Arthurs Hinterkopf donnerte gegen die Holzkiste, in der Norma einen Stapel Bücher, zerrupfte Zeitschriften, die Digitalkamera für alle Fälle, volle und leere Wasserflaschen, eine angebrochene Flasche Rotwein samt Glas und weitere Utensilien aufbewahrte, die ihr ein oft stundenlanges Ausharren erleichtern sollten.

      Arthurs Arme ruderten in der Luft herum, bis er die Ablage zu fassen bekam und sich daran hochziehen konnte.

      »Wie war das mit der Zuverlässigkeit deines Wagens?«, murrte er und rieb sich den Hinterkopf.

      Norma bog in die Sonnenberger Straße ein und parkte den Wagen vor einer Ausfahrt, bis Arthur die Lehne wieder in eine stabile und rückenfreundliche Position gebracht hatte. Auf jeden weiteren Versuch, sich mehr Beinfreiheit zu schaffen, verzichtete er.

      2

      Die Eule meldete sich erneut. Dieses Mal erklang der Ruf dicht über dem Wagen, bis er unvermittelt abbrach und das an- und abschwellende Rauschen der Autos, die zu dieser späten Stunde unterwegs waren, wieder in Normas Aufmerksamkeit rückte. Die grünen Ziffern am Armaturenbrett zeigten 12.13 Uhr an. Gegen 10 hatten sie in einem italienischen Restaurant in der Limburger Altstadt gegessen. Zuvor war Arthur mit dem Leuchtenverkäufer einig geworden, was eine Weile gedauert hatte, weil der Mann sich besser auskannte und hartnäckiger verhandelte, als Arthur erwartet hatte. Anschließend wollte er ihnen unbedingt seine Sammlung alter Kinoplakate vorführen; ein Angebot, dem Norma als leidenschaftliche Kinogängerin leichtfertig zustimmte, hatte sie doch nicht geahnt, wie ausschweifend ein stolzer Besitzer auf jedes Beutestück eingehen konnte. Der Vorgang wurde nicht eben dadurch beschleunigt, dass Arthur mehrere Telefongespräche mit Kunden führte.

      Als das Essen serviert wurde, schaltete er auf ihre Bitte das Telefon aus. Der Erwerb der Leuchten, wirklich seltene und gut erhaltene Stücke, die nun in einen Karton verpackt im Kofferraum verstaut waren, hatte ihn in beste Laune versetzt. Norma fühlte sich angenehm gesättigt von ›Linguine al Pesto‹. Besänftigt durch einen ›Winkeler Hasensprung‹, stellte sich eine unerwartete Vertrautheit ein, als wäre ihnen ein Sprung in die Vergangenheit gelungen, in der die Wochen und Monate des Streitens, der Zerwürfnisse und Versöhnungen und ihr Entschluss, ihn zu verlassen, weit weg waren. Das Gespräch drehte sich um Arthurs Geschäft, um die Kunden und jene früheren gemeinsamen Freunde, die nun, nach der Trennung, allein die seinen waren. Über die Scheidung fiel kein Wort. Keiner wollte die friedliche Stimmung zerstören.

      Noch während des Essens hatte es zu donnern begonnen, und als sie durch die steile Gasse hinunter zum Parkhaus eilten, kam Wind auf, und die ersten Tropfen fielen. Sie liefen die letzten Schritte und hatten kaum das Tor erreicht, da brach der Himmel auf. Der Verkehrsfunk meldete einen Stau auf der A 3, einer unfallträchtigen Strecke in Richtung Wiesbaden, und Arthur schlug vor, für den Rückweg die Hühnerstraße zu nehmen und über Taunusstein und die Höhe der Platte zu fahren. Der Regen prasselte gegen die Frontscheibe. Die Musik war kaum zu verstehen. Arthur stellte den Ton lauter und summte mit. Joe Cocker besang die Vorzüge der Freundschaft.

      Die Hühnerstraße führte abwechselnd durch Wald und Feld, hin und wieder durchquerten sie ein Dorf. Norma fuhr langsam, achtete auf den Verkehr und hing dabei ihren Gedanken nach. Zwei Tage Arbeit lagen noch vor ihr, dann wäre das Weinfest vorüber, und sie brauchte einen neuen Job. Hoffentlich als Ermittlerin! Sie hatte innerhalb der ersten Monate als Privatdetektivin mehrere Aufträge ausgeführt; hervorragend ausgeführt, wie ihre Klienten versicherten. Jedoch, Empfehlungen benötigten Zeit. Das Thema war sensibel. Wer posaunte schon gern heraus, dass er seinen Ehepartner oder einen Angestellten beschatten ließ? Oder beabsichtigte, das zu tun? Trotzdem sah sie voller Hoffnung auf ihre berufliche Zukunft. Noch vor gut einem halben Jahr, als sie aus dem Polizeidienst ausschied, war das anders; damals stand sie vor einem Scherbenhaufen. Ihr Leben lang hatte sie sich keinen anderen Beruf als den der Polizistin und später der Kommissarin vorstellen können. Die Erkenntnis, nicht mehr fähig zu sein, die Aufgaben, die sie so liebte, weiterhin auszuüben, erschien ihr wie ein Todesurteil. Inzwischen gab sie nicht mehr ausschließlich Arthur die Schuld an ihrem Scheitern. Jeder ist

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