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alles vor Kraft, Gesundheit und Urwüchsigkeit strotzte? Nein, enttäuschter war noch nie ein Mensch wie ich in diesem Augenblick!

      Ich hätte es auch nicht geglaubt, wenn Guste nicht mit dem Jubelruf: »Gretel!« auf sie zugeflogen wäre.

      Mit kurzer Handbewegung schob die Walküre sie zurück. »Laß man, ich muß mir mal erst die Kleine ansehen. Heiliger Strohsack, die ist ja noch winziger und zerbrechlicher wie ich sie mir gedacht habe, die reine Puppe! Niedlich – aber ob sie zu uns passen wird? Solch Porzellanfigürchen!«

      Ich stand brennendrot und tödlich verlegen da. Es war wirklich kein Vergnügen, so wie in der Jahrmarktsschaubude zu stehen und sich kritisieren zu lassen. Natürlich, so ein Riesengeschöpf konnte nicht jeder sein! Ich fand es auch nicht einmal schön, dafür war mein Geschmack doch zu städtisch gebildet, und imponieren ließ ich mir lange nicht davon, bloß, ich fand keine Worte, um mir diese rücksichtslose Kritik meiner Person zu verbitten. Ich war viel zu verblüfft und überrascht, um etwas zu sagen.

      »Ach, sie wird schon anders werden, wenn sie erst eine Weile bei uns ist, sagt Väterchen,« verteidigte mich Guste. »Laß dich nur nicht von Gretel einschüchtern, sie ist kein solcher Eisenfresser, wie sie thut.«

      »Oho,« rief Gretel, »untergrabe nicht meine Stellung! Die kleine Puppe macht solch sanften, stillen Eindruck, mit der mache ich, was ich will. Hoppla, da kann man den Toby gerade als Reitpferd benutzen!«

      Und damit faßte sie mich um die Taille, schwenkte mich lustig in die Luft wie einen Hampelmann und setzte mich dann laut lachend auf dem Rücken des großen Bernhardiners nieder.

      Nun war aber meine Geduld erschöpft und meine Befangenheit verflogen. Dieses Mädchen, das fast ein halbes Jahr jünger war wie ich, also eigentlich geistig tief unter mir stand, wagte es, mich wie ein Wickelkind, wie eine dumme, wehrlose, kleine Puppe zu behandeln! O nein, so etwas ließ ich mir nicht gefallen, davor brach alles, was sonst vielleicht in diesem Augenblick mein Herz bewegt und meine Kräfte gelähmt hätte, die Hochachtung vor der Kammerherrntochter, die Seelenangst vor dem Riesenhunde, die Fremdheit der Verhältnisse.

      Mit einem Satz war ich von meinem unfreiwilligen Reitsitz herabgesprungen und stand nun mit geballten Fäusten, brennenden Wangen und funkelnden Augen vor der noch immer laut und unbändig Lachenden. Auch meine sonstige Thränenseligkeit hatte mich verlassen, für dergleichen blieb mir gar keine Zeit, ich mußte sprechen, ich mußte diesem rotblonden Ungeheuer meine Meinung sagen, gründlich sagen, ohne Einschränkung, ohne Zögern und Stocken.

      Ich dachte auch in diesem Augenblick nicht an das förmliche, vornehme »Sie«, das ich mir für den Anfang unsrer Bekanntschaft vorgenommen und mit dem ich zeigen wollte, wie vollkommen ich mich auf Höflichkeit und Formen verstünde. Höflichkeit und Formen waren mir total abhanden gekommen, ich war nur eins: wütend, wütend wie ein gereizter Tiger.

      Und wie ein solcher brüllte ich denn nun auch los. »Ein ganz unverschämtes, robustes, ekliges Ding bist du – weißt du das? Kräfte wie ein Bär und eine Gestalt wie eine Riesin kann nicht jeder haben – das ist für ein Mädchen auch gar nicht schön – verstehst du? Und wenn du denkst, mit mir thun zu können, was du willst, dann irrst du dich sehr! Ich lasse mich nicht wie eine Puppe behandeln, nein, absolut nicht! Und sanft und still bin ich auch nicht – nein, nein, nein!«

      »Aber Delia!« fiel mir hier Guste entsetzt in die sprudelnde Rede und faßte meinen Arm, während Gretel mit ganz großen, staunenden Augen stumm zu mir herabsah.

      »Du, laß sie,« sagte sie jetzt hastig zu Guste, »das ist gar nicht übel. Sie hat ganz recht und nun sie so gar kein Blatt vor den Mund nimmt, gefällt sie mir sehr gut. I, du, nicht Sanfte und nicht Stille« – sie lachte lustig auf – »mit dir werde ich mich ganz famos befreunden, denn natürlich wirst du nicht mehr böse sein, wenn ich dir sage, daß du verstanden hast, dich bei mir in Respekt zu setzen. Zieh nur nicht den Mund so weinerlich, das steht dir lange nicht so gut wie der Zorn. Guste, die kann es noch besser wie wir, die hat es mir ordentlich gesagt!«

      »Ja,« stammelte ich beschämt, denn mein Zorn kämpfte jetzt schon wieder mit der Verlegenheit und mit einer unheimlichen Neigung zu Thränen, »ich glaube, ganz höflich war ich nicht – aber du hattest mich auch zu sehr gereizt.«

      »Ja, weißt du, ein Komplimentierbuch können wir beide nicht herausgeben,« lachte Gretel, »aber das schadet auch nichts, wir haben gleich das Schlimmste aneinander durchgemacht, nun springen wir flott mit beiden Füßen in die Freundschaft hinein. Ein Knirps bleibst du zwar trotzdem, aber dein Mundwerk ist total ausgewachsen und hält mit meiner körperlichen Riesenhaftigkeit vollkommen Schritt. Bist du mit der Anerkennung zufrieden?«

      Ich mußte auch lachen. Sie machte so ein drolliges Gesicht, halb zerknirscht, halb schelmisch. Trotz der übernatürlichen Größe gefiel mir das Gretel doch. Sie hatte ein Leuchten und Lachen in den Augen, so sonnig und so herzenswarm, daß man ihr schlecht widerstehen konnte, wenn sie es darauf absah, ein Herz zu gewinnen. Meins hatte sie schon gewonnen, wenn es auch noch vor wenigen Minuten durchaus nicht danach aussah, als wenn ich mich jemals für sie begeistern würde.

      Aber nun that ich es doch. In der Jugend sind die Übergänge der Gefühle oft sehr plötzlich. Wir hatten uns beide im Handumdrehen von gegenseitiger Mißachtung zur Bewunderung emporgeschwungen und es bedurfte gar nicht mehr Gustens eifrigen Zuredens, um uns zu der Überzeugung zu bringen, daß wir die besten Freundinnen der Welt wären.

      »Erst kommt ihr natürlich zu uns,« sagte Gretel. »Delia muß zunächst das Schloß, mit allem was drum und dran hängt, kennen lernen, ehe sie in die Pfarre geht. So schickt sich's und für die Schicklichkeit, das hast du hoffentlich schon bemerkt, sind wir hier sehr. Willst du nun erst in die Ställe oder erst ins Haus? Ich meinesteils würde die Ställe vorziehen –«

      »Ich aber nicht!« beeilte ich mich schnell zu versichern. Bis jetzt war es mir noch gelungen, mich vor jedem Stallbesuch zu drücken, wenngleich Guste mich auch schon den ganzen Tag lang damit gequält und geschreckt hatte. Ich ängstigte mich bodenlos vor all dem Tierzeug, das nach meiner Idee nur darauf wartete, um auf mich loszustürzen, mich zu stoßen, zu treten, zu zermalmen. Mir waren schon die Hunde zu viel, die mich in stetem Beben und in qualvoller Aufregung erhielten, und nun sollte ich auch noch freiwillig die viel gefährlicheren, feindlicheren Vierfüßler aufsuchen – nein, solange ich es vermeiden konnte, mich als Feigling und Hasenherz zu zeigen, wollte ich es doch thun. Ich hatte die dunkle Ahnung, daß sowohl Gustens wie besonders Gretels Hochachtung, die ich eben mit meinem stolzen Auftreten mühsam errungen hatte, sehr bedeutend sinken würde, wenn ich mit schlotternden Knieen und klappernden Zähnen durch die Ställe schliche. Und daß es so kommen würde, wußte ich tödlich genau. Daher setzte ich auf Gretels prüfendenBlick hastig hinzu: »Es schickt sich doch, daß das Schloß vor den Stall geht!«

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