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mir ihr Handtuch um die Ohren. In dem Moment merkte ich, wie abgestumpft ich eigentlich geworden war. Es kümmerte mich nicht im Geringsten, wie sehr diese bemitleidenswerte Frau vor meinen Augen herumwütete, so lange mein mageres Gehalt am Ersten jeden Monats auf meinem Konto vorzufinden war – was meistens funktionierte.

      „Er hat eine lange Reise hinter sich und ist bloß durstig“, zuckte ich mit den Schultern und ging gleichgültig zur Zapfanlage.

      „Das verpasste Essen zieh ich dir vom Gehalt ab. Und du bringst gleich den Müll raus und putzt anschließend die Klos“, zeterte sie unüberhörbar, schmiss das Handtuch auf den Boden und rauschte davon.

      „Ich möchte gerne kurz mit Ihnen sprechen. Hätten Sie Zeit?“, fragte der Mann, als ich ihm sein Bier vor die Nase stellte.

      Ich musste leider verneinen und bemerkte, wie er mich enttäuscht ansah, als ich kehrtmachte, um die Mülleimer in der Küche anzusteuern.

      Ein eigenartiges Gefühl beschlich mich. Ich konnte nicht anders, als ihn immer wieder anzusehen, ganz unauffällig natürlich. Seine gebildete Erscheinung, die Höflichkeit und die recht tiefe, angenehme Stimme zogen mich regelrecht in ihren Bann – und nur Dawina vermochte es, mich mit ihren spitzen, unverschämten und proletenhaften Bemerkungen immer wieder aus meinen Träumen zu reißen.

      Als das Glas des Mannes sich vollkommen geleert hatte und er offensichtlich zahlen wollte, steuerte ich seinen Tisch an. Nach einigen Metern wurde ich jedoch unsanft zur Seite gestoßen, stieß gegen einen der leeren Tische und verlor fast die Balance. Meine Chefin trippelte hastig zum Tisch des Mannes und zückte ihr Portemonnaie. Er jedoch sah erst mich über ihre Schulter hinweg an und schüttelte dann den Kopf. „Ich möchte, dass die Dame abkassiert, welche mich auch bedient hat.“ Das hatte sich noch niemand getraut. Dawinas Zähneknirschen hörte ich durch die halbe Gaststätte. Sie machte auf dem Absatz kehrt und stampfte an mir vorbei, warf mir einen vernichtenden Blick zu.

      „Bitte, setzen Sie sich“, deutete er auf den Stuhl gegenüber, als ich das Portemonnaie zückte.

      „Aber ich muss wieder in die Küche“, entgegnete ich mit einem Anflug von Verzweiflung. Er jedoch blieb hartnäckig und letztendlich nahm ich Platz.

      „Warum tun Sie sich das an?“, fragte er mit forschendem Blick.

      Ich wusste nicht, was das einen Außenstehenden anginge, und doch hatte ich dieses ungewohnte Gefühl, ich könnte ihm alles anvertrauen. Er würde mich weder für etwas verurteilen, noch mich aufgrund meiner abgetragenen Kleidung und Situation verspotten.

      „Ich habe keine anständige Ausbildung und brauche dringend das Geld, denn ich muss wichtige Dinge damit erledigen“, entgegnete ich knapp.

      „Würden Sie Hilfe von mir annehmen?“, fragte er.

      Was war das denn für eine idiotische Frage? Ich kannte ihn doch gar nicht. „Bitte, bezahlen Sie einfach. Ich komme klar.“

      Zögernd nahm er seine Geldbörse und öffnete sie. Dann passierte etwas, das ich mitnichten erwartet hätte. Um an sein Kleingeld zu kommen, nahm er einen Gegenstand aus dem Fach und legte ihn auf den Tisch.

      Es war die Hälfte eines blauen, flachen Steines, dessen Gegenstück ich nur zu gut kannte. Es war ein halber Spinell, etwas größer, als ein altes Fünf-Mark-Stück. Die andere Hälfte schenkte mir meine Großmutter vor einigen Monaten. Ich trug sie als Talisman immer bei mir. Vollkommen verwirrt griff ich automatisch in meiner Schürzentasche danach und starrte wie hypnotisiert auf das blaue Mineral.

      „W...wo haben Sie den her?“, stotterte ich und er sah zu mir hoch. Im gleichen Moment hörte ich Dawina hinter dem Ausschanktresen herumpoltern. „Clarissa! Du wirst nicht fürs Rumsitzen bezahlt!“

      Wie von der Tarantel gestochen wollte ich aufspringen, doch mein Gegenüber hielt mich sanft auf dem Stuhl, packte seelenruhig seinen Stein wieder ein und stand seinerseits auf. Erhobenen Hauptes sah er meine Chefin herausfordernd an.

      „Was willst du, Schnösel?“, spuckte sie förmlich aus.

      Der Mann lachte verächtlich auf, trat von seinem Stuhl weg und stellte sich neben mich. „Ich werde Ihre Mitarbeiterin jetzt mitnehmen. Sie kommt mit mir“, sagte er ruhig.

      „Was?“, entgegneten Dawina und ich fast gleichzeitig.

      Bestürzt sah ich ihn an. „Aber, ich kann nicht ...“

      „Vertrauen Sie mir“, flüsterte er und wandte sich wieder meiner Chefin zu. Ich sah, wie Eddie den Kopf aus dem Küchendurchgang steckte und interessiert zuschaute.

      „Haben Sie noch etwas, das Sie mitnehmen möchten? Jacke oder Tasche?“, fragte der Mann mich, ich schüttelte den Kopf und machte den Mund erneut auf, um zu protestieren. Schmunzelnd legte er seinen Zeigefinger über seine Lippen.

      „Ich lasse sie nicht gehen!“, plärrte Dawina, baute sich drohend auf und watschelte auf uns zu.

      Er jedoch stellte sich schützend vor mich und meinte: „Dann habe ich nur noch ein Wort für Sie. Gesundheitsamt!“

      Sofort stoppte die Frau und riss erschrocken die Augen auf. Kurz schien sie zu überlegen. „Dann verpisst euch doch alle!“

      „Herzlichen Dank“, antwortete er und verbeugte sich vor ihr.

      „Respekt, Mann!“, lachte Eddie lauthals auf, trat aus dem Schutz der Küche hervor und nahm seine gräuliche Kochmütze vom Kopf. „Ich kündige übrigens auch, du alte, widerliche Spinatwachtel!“ Mit den Worten warf er Dawina die Mütze vor die Füße.

      Der Fremde nahm meine Hand und zog mich mit sich. Wir waren bereits an der Tür, das Glöckchen läutete, als Dawina begann, zu schreien. Mir absolut nicht darüber im Klaren, was ich hier tat, lief ich ein ganzes Stück mit, bis wir vor einem schwarzen SUV, der am Straßenrand geparkt war, stehen blieben. Rabiat entwand ich mich seinem Griff und schlug ihm auf die Brust. Ich war so verwirrt, wütend, völlig fertig.

      „Wieso haben Sie das getan? Jetzt geht alles den Bach runter! Sie sind schuld!“, warf ich ihm entgegen und spürte, wie Tränen meine Augen füllten.

      „Ganz ruhig! Ich hätte das nicht getan, wenn ich nicht eine bessere Lösung für Sie hätte!“, versuchte er, mich zu beruhigen, griff nach meinen Handgelenken und hielt sie gerade so fest, dass ich nicht mehr nach ihm schlagen konnte.

      „Woher wollen Sie wissen, was für mich eine bessere Lösung ist?“, fragte ich aufgebracht.

      Er ließ mich los, zog einen Schlüssel aus seiner Hosentasche und entriegelte mit einem Knopfdruck die Schlösser seines Wagens.

      „Ich kenne nicht einmal Ihren Namen“, bemerkte ich vorwurfsvoll und er wandte sich mir erneut zu.

      „Florian Maas“, nickte er, wohl erfreut, dass ich ihm die Frage gestellt hatte.

      „Clarissa Wagner“, entgegnete ich knapp.

      „Darf ich Ihnen das Du anbieten?“, tastete er sich vorsichtig voran.

      „Meinetwegen“, antwortete ich unsicher. Ich wusste nicht, ob es klug war, was ich da gerade tat, doch sollte er jetzt mal schön schauen, wie er mich versorgt bekam. Außerdem wollte ich unbedingt wissen, woher er diese Steinhälfte hatte.

      „Wo willst du mich hinbringen?“, fragte ich skeptisch, als er die Beifahrertür öffnete.

      „Ich arbeite in einem größeren Betrieb im nächsten Ort und bin mir sicher, dass man dort auch dir eine gut bezahlte Stelle anbieten kann.“

      „Und wenn nicht?“, fragte ich mit einem Anflug von Panik. Ich konnte doch nicht jetzt in meiner schmutzigen Kleidung zu einem Vorstellungsgespräch fahren.

      „Sie werden! Keine Sorge“, meinte er zuversichtlich. Ich hatte keine Wahl. Also folgte ich seiner Aufforderung, in sein Auto zu steigen – ohne die geringste Ahnung, wohin wir fahren würden.

      Eine

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