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beziehungsweise wie wenig. Na, hoffen wir mal, dass es mehr wird als letztes Jahr, sonst können sie am Nara bald den Laden dichtmachen, es wird ja jedes Jahr schlimmer, immer weniger Skifahrer, weil es so warm ist, als wären wir weit unten in Italien, sagten sie.

      Wie weit ist es gekommen, dass all die Schwalben hier kaum mehr wegfliegen, sagte Floro, worauf Pep sofort klarstellte, Mehlschwalben, das da sind Mehlschwalben.

      Ich hab sie einfach immer Schwalben genannt, meinte Floro zerstreut, während er sich eine Zigarette drehte.

      Das ist ein temporäres Phänomen, Kaminfeger, hat sich die Wirtin Candida eingemischt.

      Was für ’n Ding, Candida?, fragte Floro.

      Temporär, Kaminfeger. Vor zehn Jahren sind sie Mitte Oktober weggezogen, jetzt praktisch im Dezember.

      Temporär, murmelte Floro, als würde er laut nachdenken, und leckte das Zigarettenpapier an.

      Genau, temporär. In zehn Jahren ziehen sie dann vielleicht wieder Mitte Oktober weg, erklärte die Wirtin.

      Oder sie ziehen überhaupt nicht mehr fort, sagte Pep und schaute in die Ferne. Die anderen beiden sahen ihn wortlos an und folgten die Köpfe drehend seinem Blick. Gemeinsam bewunderten sie die Mehlschwalben, wie sie in schwindelerregendem Tempo um den Kirchturm herumschossen, dicht über die Friedhofsmauer hinwegsegelten und auf die Wiesen unterhalb der Kirche herabstürzten, um dann wieder zum Kirchturm hochzuschnellen.

      Dieses Jahr wird der Abflug der Schwalben mir ob eines Gedankens das Herz beschweren, begann Pep zu deklamieren. Floro und Candida starrten ihn an, während er fortfuhr, dann werden Stare laut lärmend einkehren auf den Bäumen …

      Aber hast du nicht gesagt, es muss richtig Mehlschwalben heißen?, hat Floro ihn unterbrochen.

      Saba, sagte Pep. Das ist Umberto Saba.

      Ich ziehe den Kragen meines Pullovers so hoch wie möglich und laufe dann schnell weiter, um Felice einzuholen, der mit dem leichtfüßigen Gang eines Rehs schon ein gutes Stück voraus ist. Die Hände auf dem Rücken verschränkt, gleich angezogen wie gestern, wieder barfuß. Wir begrüßen Vittorinas Muli und passieren dann Schritt für Schritt die Hütte von Floro, die Alte Lärche, die uns stumm beobachtet, den Stall von Sosto mit dem brennenden Licht über der Tür, den Steg über den Altaniga und den über den Gurundin.

      Durch den schwarzen Kiefernwald steige ich blindlings hinauf, versuche, mich automatisch aufwärtszuarbeiten, wie er es schon ein Leben lang tut. Bei dem Glockengeläut um halb sieben bleiben wir stehen. Ich erahne einen zufriedenen Ausdruck auf seinem Gesicht.

      Hinter dem Simano wird es ein wenig heller. Mit einer Handbewegung lädt er mich ein, der Erste zu sein, dann dreht er sich um und wirft einen Blick hinunter ins Tal, wo dieselben Straßenlampen wie gestern leuchten, jede an ihrem Platz. Ich ziehe mich aus, und bevor ich eintauche, sehe ich die Sterne in dem Becken leuchten. Am ganzen Körper wie Espenlaub zitternd, gebe ich mir einen Ruck und halte die Luft an. Wieder aus dem Wasser heraus, umfängt mich eine große Wärme.

      Nun ist er dran. Er taucht ganz unter, dann stellt er sich hin und seift sich ein, taucht wieder unter und verweilt lange, unbeweglich.

      Ich bin schon fast trocken und ziehe mich wieder an. Er steht auf dem Stein, splitternackt, und blickt aufwärts gen Osten, auf den zweitausendfünfhundertachtzig Meter hohen Gipfel des Simano, der die aufgehende Sonne verdeckt. Mit zunehmender Morgendämmerung wird der Bach immer leiser.

      Bist du schon mal auf dem Simano gewesen?, frage ich, als ich mir die Schuhe zubinde. Vielleicht hat er mich nicht gehört, ich gehe zu ihm hin. Nass steht er da, reglos wie ein Baumstamm, die Augen immer noch auf den Berggipfel gerichtet. Der nach und nach immer dunkler wird, während die Sonne hinter ihm hochsteigt. Als der erste Strahl hervorblitzt, wird Felice von einem langen Schauder überlaufen. Wohl nicht wegen der Kälte, denn er hat keine Gänsehaut.

      Brr, macht er lächelnd und holt tief Luft. Dann sagt er, immer noch lächelnd, aé, klar, ich bin schon ein paarmal oben gewesen.

      Auch ich kneife die Augen zusammen und verfolge den Moment des Sonnenaufgangs, dann sage ich, dass ich vergangenen Monat hinaufgestiegen bin. Seilbahn von Malvaglia nach Dagro und ab da zu Fuß.

      Ich vom Luzzone aus, im Sommer.

      Vom Lago di Luzzone? Wenn ich von Dagro aus drei Stunden gebraucht habe, wie lange braucht man dann vom Luzzone?

      Ach, man muss nur im Morgengrauen aufbrechen, dann ist man bis Sonnenuntergang wieder zurück und amen, sagt er. An seinem Ohrläppchen dehnt sich ein Wassertropfen in die Länge, reflektiert die erste Sonne, erzittert dann kurz und fällt ab. Er zieht sich wieder an, wickelt seine inzwischen trockene Seife in ein Stück Zeitungspapier und steckt sie in die Hosentasche, während die Talebene im frühen Morgenlicht Gestalt annimmt.

      Wir laufen den Pfad hinunter, der sich harmonisch zwischen Heidelbeersträuchern und Alpenrosen und Felsen und Alpenkräutern in einer eine Handbreit tiefen Rinne als Zeugnis von Felices täglichem Kommen und Gehen dahinwindet.

      Einige Lanzen aus kaltem Licht dringen schräg in den Kiefernwald ein und beleuchten die blauen Flügelfedern zweier Eichelhäher, die sich kreischend zwischen den vereinzelten Tannen verfolgen. Unterhalb des Waldes, auf dem Abschnitt zwischen den beiden Brücken, wühlt am Rand der Schotterstraße ein Eichhörnchen im Laub. Als es uns bemerkt, huscht es schnell einen hohen Stamm hinauf und verschwindet, eine Kastanie im Maul, in einer Spalte. Die letzten Vorräte für den Winter.

      Wir treffen ihn mit dem ganzen Gewicht auf eine Schaufel gestützt an, eine Parisienne hängt ihm an den Lippen, sein benebelter Blick ist auf das langsame Wiederkäuen einer Kuh geheftet. Unsere Ankunft reißt ihn ruckartig aus seiner Dumpfheit, und die Zigarette fällt in einen Kuhfladen zwischen seinen Gummistiefeln, worauf er eine Schimpfkanonade loslässt, die für einen Augenblick das Kauen der Kühe unterbricht. Er fummelt die Zigarettenpackung aus der Hemdtasche, zündet sich eine neue an und nimmt einen tiefen Zug, der ihn wieder in seinen Halbschlaf verfallen lässt. Felice und ich setzen uns auf einen Heuballen.

      Als er fertig geraucht hat, bietet Sosto uns frisch gemolkene Milch an, die er mit einer Kelle aus einer großen Kanne schöpft. Die Milch ist noch warm und ganz dickflüssig, das hatte ich fast vergessen. Als Kind bin ich oft mit einer Deckelkanne aus Plastik in die Ställe des Dorfs gegangen, um frisch gemolkene Milch zu holen. Und sagte immer, das ist, wie die Milch direkt von den Zitzen der Kühe zu trinken.

      Hunderte von Mehlschwalben haben ihre letzte Nacht in Leontica in einem verfallenen Stall, unter einem Vordach oder auf den Dachbalken eines Heuschobers verbracht. Jetzt schwirren und zwitschern sie zu einem Abschiedstanz über dem Dorf, auf Wiedersehen im nächsten Frühling. Von der Biegung an der Alten Lärche aus sehen wir, dass sie sich nicht mehr auf den Stromleitungen niederlassen. Sie sind bereit. Es ist Zeit. Innerhalb von einer halben Stunde wird keine mehr da sein. Wir sind ganz in das Reisefieber der kleinen Vögel versunken, als das laute Wiehern des Maultiers durch die Luft gellt.

      Vittorina hat gerade eine Tüte voller Gemüseabfälle in seinen Pferch geschüttet, und das Tier tut sich daran gütlich. Wir grüßen sie, sie erwidert den Gruß mit einem schüchternen Piepsen, kaut etwas und riecht nach Kaminfeuer.

      Zusammen gehen wir weiter, sie ein paar Schritte hinter uns und an die andere Straßenseite gedrückt. Bevor wir den Dorfkern erreichen, klettert Felice über eine Holzpforte in den Garten eines vom Blenio Turismo verwalteten und zur Zeit unbewohnten Ferienchalets. Ich folge ihm, während Vittorina ihre Schritte beschleunigt und lautlos wie ein Schatten davonhuscht, froh, wieder allein zu sein, mit ihrem langen Zopf frei im Wind.

      Aus seiner Shortstasche zieht Felice eine Plastiktüte. Die erntet ja doch keiner, diese Feigen hier, sagt er. Bis zum nächsten Sommer kommt nämlich keiner mehr her. Ist doch schade, sie den Vögeln zu überlassen, finde ich. Das sind späte Feigen, die hier. Er beißt in eine hinein. Sehr gut. Der einzige Baum mit spätreifen in Leontica.

      Mit der Tüte voller Feigen machen wir uns auf den Heimweg. Bei einem verfallenen Stall begegnen wir Emilio, der im hohen Gras herumstöbert. Ein Salatblatt in der Hand.

      Bòn,

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