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er eine Seite der gerade gelesenen Zeitung aus. Wir warten.

      Als sie fertig sind, sammelt er sie ein und legt sie auf das Zeitungspapier. Neben der Treppe ist die Tür zum Keller, er geht hinunter und kommt mit zwei gereiften kleinen Käsen und zwei Karotten zurück. Wir essen Marroni, Käse, zwei Stück Kürbis, Brot und Karotten und trinken den Sud aus Rosmarin und den anderen Kräutern, in dem er den Kürbis gekocht hat.

      Kauend sehe ich mich um. Da ist der kleine Topf für die Kräutertees, den er gerade auch für den Kürbis benutzt hat. Unter der Sarina steht ein Kupfertopf mit langem Stiel und einem Lochdeckel zum Wärmen des Betts, ähnlich dem, der zur Dekoration über meinem Kamin hängt. Es gibt weder Pfannen, Quirls, Siebe, Tiegel noch Kochlöffel. Ich frage mich, ob Felice jemals Risotto oder wenigstens eine Pasta macht.

      Mein Augenmerk wandert zum Wasserhahn, der ein wenig tropft. Derweil lässt Felice den Blick zur offenen Tür hinausschweifen, als würde er in seinen Erinnerungen stöbern. Irgendeine Stelle dort draußen fixierend, fängt er an zu erzählen. Ich esse im Restaurant zu Mittag oder das, was ich hier und da zusammenklaube, sagt er wie zur Antwort auf meine Gedanken eben. Meine selige Mama dagegen, die konnte wirklich gut kochen, meine selige Mama. Gnocchi, die konnte sie gut, muss ich sagen. Sonntags. Mit Soße und allem Drum und Dran. Aber sie hatte auch den ganzen Morgen damit zu tun, die arme Frau. Sie feuerte die Sarina an, kochte die Kartoffeln und zerstampfte sie dann mit Eiern und Mehl. Wenn es Mehl gab. Sonst mit ein bisschen Semmelbröseln. Danach wurden daraus Rollen geformt, dabei habe ich mit meiner Schwester geholfen, und auch der kleine Bruder hat mitgeholfen. Mein kleiner Bruder … Dann haben wir sie in Stückchen geschnitten. Es reichte immer gerade eben, denn es waren magere Zeiten damals, und es wurde nie was verschwendet, man wusste gar nicht, was das war, Überfluss, zumindest für uns war es so, hier im Tal war es so. Man war heilfroh, wenn man was zu beißen hatte damals, nicht so wie heute … Dann schnell zur Messe, um sich den üblichen Quatsch anzuhören, und dann eilig zurück, um die Sarina wieder anzufeuern und die Gnocchi zu kochen, damit sie Punkt zwölf fertig waren. Immer am Rennen, diese Frau, hat nie still gesessen.

      Felice verlagert sein Gewicht auf dem Stuhl und richtet den Blick wieder ins Haus und auf die Herdplatte. Und dann die Marroni, fährt er fort. Wie viele Marroni sie mir zu essen gegeben hat, meine arme Mama, erzählt er, als sähe er seine Mutter dort vor sich beim Kochen. Schon zum Frühstück, in Milch gekocht. Wir Kinder sind immer in den Wald gegangen, um sie zu sammeln, haufenweise, denn damals, wenn es keine Kartoffeln gab, gab es Marroni. Und umgekehrt, reden wir nicht drumrum. Entweder geröstet oder gekocht. Gekocht oder geröstet, die Marroni. Dazwischen gab es nichts. Bei den Kartoffeln dagegen schon. Die konnte sie auf alle möglichen Arten zubereiten, und damals sagte auch keiner, dass man immer nur Kartoffeln essen würde. Nein, man sagte, dass es Gnocchi gegeben hatte, dass es Kartoffelstock gegeben hatte, Ofenkartoffeln mit Rosmarin oder die in der Glut gegarten. Es gab Kartoffelsuppe, Kartoffeln mit Zwiebeln, dann die mit einer Prise Salz gekochten und so weiter. Und amen. Er stößt einen tiefen Seufzer aus und sagt bòn, steht auf, macht Tür und Fenster zu und räumt den Tisch ab.

      Es ist Ruhe in diesen vier Wänden. Es ist Stille zwischen uns. Wir brauchen uns nichts zu sagen. Der Tag neigt sich dem Ende zu. Ich frage mich, ob Felice auch morgen bereit sein wird, mich zu Gast zu haben.

      Er geht hinaus, kommt mit drei Holzscheiten wieder und legt sie neben die Sarina. Unter dem Herd zieht er den Topf mit dem Lochdeckel hervor, aus dem er eine kleine Eisenschaufel nimmt. Er macht die Klappe der Sarina auf und schaufelt ein paar glühende Holzstücke in den Topf. Danach schürt er das Feuer, schließt die Klappe und steigt mit dem Topf, aus dem es durch die Löcher im Deckel ein wenig qualmt, die schmale und steile Treppe hinauf. Ich folge ihm. Ohne das Licht in seinem Schlafzimmer anzumachen, hebt er die Bettdecke an, schiebt den Topf darunter und geht wieder nach unten.

      Jetzt sitzt Felice regungslos da. Er sieht müde aus. Er gähnt und steckt mich damit an, also gähnen wir zusammen. Ich sehe ihn an, weiß aber nicht, was ich sagen soll. Lasse die Verrichtungen Revue passieren, die er vor dem Zubettgehen macht, seine Gewohnheiten in seiner Einsamkeit. Mit so viel Stille und so viel Leere bleibt viel Zeit zum Nachdenken. Wer weiß, was Felice gerade denkt.

      Draußen bellt ein Hund, er bellt und bellt, bis man die Lehrerin Sabina rufen hört, still jetzt, Bobi, womit sie ihn zum Schweigen bringt. Danach herrscht wieder Ruhe. Nur das Knistern des brennenden Holzes ist zu hören. Er rückt seinen Stuhl vor die Sarina, öffnet die Klappe und bleibt so, schaut ins Feuer wie man Fernsehen schaut. Ich betrachte ihn und sehe einen Mann von neunzig Jahren, der gerade wieder einen Tag wie schon viele andere verlebt hat, dabei aber so erfüllt und einzigartig. Erfüllt und einzigartig.

      Beim nächsten Gähnen schließt er die Klappe, steht auf und sagt, dass er ins Bett geht. Da frage ich ihn, ob wir uns morgen früh wiedersehen.

      Wenn meine Batterie heute Nacht nicht den Geist aufgibt, sehen wir uns morgen wieder. Wenn doch, amen, antwortet er, ehe er die dunkle Treppe hinauf verschwindet.

      Ich mache das Licht aus und gehe nach Hause.

      Zwei

      Der Wecker klingelt um Viertel nach fünf. Ich ziehe mich an, gehe nach unten und verlasse das Haus. Es ist kalt, aber wenigstens regnet es nicht wie gestern Morgen. Das Thermometer von Vittorina zeigt zwei Grad an, und der Himmel ist voller Sterne. Am Ende der Gasse sehe ich das Licht in Felices Küche.

      Ich betrete den Garten, und da taucht er auf. Eingerahmt vom offenen Fenster steht er da, ein Brustbild, das Hemd offen, zwei Gläser Joghurt in der Hand und weitere auf dem Fenstersims. Ich sehe ihn an. Er sieht mich an. Es ist ein Augenblick, der sich mir wie ein Gemälde einprägt.

      Als ich hineingehe, stellt er gerade den Joghurt zusammen mit Brot und Marroni auf den Tisch. Er hat mich kommen sehen, hat mich erwartet. Die Fenster sind beschlagen. Das Wasser im Topf kocht, er streut seine getrockneten Kräuter hinein.

      Was sind das für Kräuter?

      Das sind Heilkräuter, die da. Thymian. Das hier ist Brennnessel. Und das da Schöllkraut, für die Augen.

      Ah ja, ich weiß, wovon er redet. Als Kinder haben wir uns beim Spielen mit dem orangen Pflanzensaft das Gesicht und die Arme eingefärbt.

      Wir frühstücken zusammen, schweigend, in aller Ruhe. Ich fühle mich wohl. Man könnte glauben, dass wir das schon hundertmal gemacht haben, dabei ist es erst das zweite Mal. Die Zeit verrinnt sachte. Auf der Ablage des Küchenschranks liegen zwei Zucchini, die gestern Abend noch nicht da waren. Es scheinen die zu sein, die Vittorina gestern geerntet hat. Von der Holzbalkendecke hängt eine schwach leuchtende Glühbirne. Sie kann nicht mehr als fünfundzwanzig Watt haben. Unter der Sarina steht der Topf mit dem Lochdeckel. Der kleine Holztisch hat eine Schublade, ich ziehe sie auf, sie ist leer. Er sieht mich an, wie um zu sagen, was glaubtest du denn da drin zu finden?

      In dem alten, aber blanken Stahlspülbecken wäscht er die Joghurtgläser aus und putzt sich anschließend ausgiebig die Zähne. Er bringt die beiden Gläser in den Keller, belädt die Sarina, fegt flüchtig den Boden und sagt bòn, auf.

      Kaum haben wir die Nase zur Tür hinausgesteckt, kommt das lang gezogene Wiehern von Vittorinas Maultier, und auf der anderen Seite des Dorfs bellt kurz ein Hund. Felice blickt zu den Sternen hinauf und wirft die Marronischalen auf den Komposthaufen, dann machen wir uns auf den Weg, gleich kräftig ausschreitend.

      Der Schuppen für den Suzuki, Emilios Haus und das der Lehrerin Sabina mit ihren beiden Zwillingstöchtern Duska und Priska und dem Hund Bobi. Der Vater wohnt schon seit ein paar Jahren nicht mehr bei ihnen. Giovanni ist zurück zu seinen Eltern jenseits der Tito-Brücke gezogen. In dem Moment, als wir an der Haustür vorbeikommen, gibt der Hund ein schüchternes, in der Kehle ersticktes Bellen von sich, danach ist die Nacht um uns herum wieder still. Wir steigen den Weg zur Kantonsstraße hinauf. Ich bleibe einen Moment stehen, um Atem zu schöpfen, während Felice in seinem Rhythmus weitergeht. Hier, nicht mehr von den Häusern geschützt, spürt man den trockenen Wind, Schneewind, der von der Bassa di Nara herunterweht. Das Wetter schlägt um, es wird auch Zeit.

      Vor ein paar Tagen, in der Bar Gallo Cedrone, haben Pep, Floro und die

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