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      300 Ermordete.“

      Als Alexander sich der Küste näherte, kamen mehrere Häuser in Sicht. Diese den alten Inselhäusern nachempfundenen Neubauten waren von hohen Mauern umgeben und wirkten nicht sehr einladend.

      Auf dem staubigen Parkplatz vor der Bucht gab es kaum Schatten. Er ließ den Suzuki in der prallen Sonne stehen und ging zum Meer.

      Der langgestreckte, elegant geschwungene Sandstrand war fast menschenleer. Er entdeckte Laura sofort. Ihr hellblondes Haar schimmerte im Sonnenlicht.

      Sie saß mit ausgestreckten Beinen auf einer Felsplatte, ihre Arme hatte sie um ihre Brust geschlungen. In ihrem grünen Bikini erinnerte sie ihn an eine Nixe. Er rief ihren Namen.

      Sie zuckte zusammen, drehte sich um. Als sie aufstand, schlang sie den Pareo, auf dem sie gesessen war, um ihren Körper. Die vielen Narben unter ihrer Brust und auf den Armen und Beinen waren ihm nicht entgangen, obwohl er sie nur ein paar Sekunden lang aus der Nähe gesehen hatte.

      „So schnell habe ich Sie nicht erwartet“, sagte sie.

      „Ich bin geflogen wie Ikarus“, scherzte er.

      „Verbrennen Sie sich nur nicht Ihre Flügel!“, konterte sie. „Ist diese Bucht nicht wunderschön?“

      „Sie sind wunderschön.“ Ihm war bewusst, dass sein Kompliment etwas plump klang. Auf die Schnelle war ihm keine bessere Formulierung auf Deutsch eingefallen.

      „Und Sie sind ein Charmeur. Ich werde nicht auf Ihren Charme reinfallen, das garantiere ich Ihnen. In Österreich trage ich übrigens meistens einen hochgeschlossenen Badeanzug, damit man meine Narben nicht sieht. Hier in Griechenland sind mir meine Narben komischerweise fast egal.“

      Er ging nicht auf ihre Worte ein, fragte, ob sie mit ihm schwimmen gehen möchte.

      „Später, ich war gerade im Wasser.“ Sie setzte sich wieder hin.

      Alexander entledigte sich seiner Kleidung. Sie schaute weg, beobachtete ihn jedoch aus den Augenwinkeln. Verdammt gut gebaut, dachte sie, als er sich in seiner knappen schwarzen Badehose neben ihr niederließ.

      Er bot ihr eine Zigarette an. Sie lehnte ab.

      Er rauchte und schwieg.

      Nachdem sie einige Minuten auf das friedliche Meer geschaut hatten, brach sie das Schweigen: „Ich hatte vor einigen Jahren einen grauenhaften Unfall. Mein Mann ist dabei ums Leben gekommen. Ich habe überlebt. Die Narben sind geblieben.“

      Sie war also Witwe. Alexander hatte gedacht, sie wäre bestenfalls geschieden, nachdem sie ihm auf der Fähre von ihrem Neubeginn auf Samos erzählt hatte. Er ließ sich seine Erleichterung nicht anmerken.

      Seine Neugier war jedoch geweckt. Er wollte mehr über den Unfall wissen, traute sich aber nicht nachzufragen, denn sie starrte weiterhin aufs Wasser.

      „Möchten Sie mir von dem Unfall erzählen?“, fragte er schließlich doch.

      Sie machte eine undefinierbare Handbewegung. „Ein Unfall halt. Ich hatte einige Verbrennungen. Vor allem im Gesicht und am Oberkörper. Mein heutiges Aussehen verdanke ich zum Großteil einem geschickten Schönheitschirurgen.“

      Mit halb geschlossenen Lidern betrachtete er sie von der Seite. Ihr Rücken war von dem Feuer relativ verschont geblieben. Nur unter den Schulterblättern bemerkte er dunklere Stellen, die wie Striemen von Peitschenschlägen aussahen.

      „Ihre Schultern sind leicht gerötet. Soll ich Sie eincremen?“

      „Das kann ich …“ Sie überlegte es sich anders, sagte: „Ja bitte“ und reichte ihm eine Flasche Sonnenöl.

      Während er das Öl mit sanften Bewegungen über ihren Rücken verteilte, fühlte sie sich erregt. Rasch steckte sie sich das Haar mit einer Spange hoch.

      Zärtlich strich er mit seinen feingliedrigen Fingern über ihren Nacken. Bevor sie zu stöhnen beginnen würde, begann sie lieber zu reden, sprach darüber, wie angenehm es für sie als über vierzigjährige Frau sei, sich hier halbnackt bewegen zu können. „Kein Mensch gafft mich an. Keine abschätzigen Blicke wie bei uns in Österreich, wo einen die Leute, vor allem am Land, oft anglotzen, als wäre man ein Wesen von einem anderen Stern, wenn man nicht genauso schlecht gekleidet ist und genauso doof dreinschaut wie sie selbst.“

      „Wenn Sie sich da nur nicht irren“, sagte Alexander. „Auch hier wird man angestarrt. Denken Sie an all die alten Frauen, die jeden Fremden kritisch in Augenschein nehmen.“

      „Ich meine vor allem die Männer. Hier sind fast alle schwul.“

      „Ich fürchte, Sie irren sich tatsächlich“, widersprach Alexander erneut. „Gerade schwule Männer taxieren die Körper der Frauen. Ihre Ansprüche an Perfektion und ihre Abhängigkeit vom gängigen Schönheitsideal sind noch größer als die von uns Heteros.“

      Wahrscheinlich hatte er recht. Schließlich konkurrieren die Schwulen mit uns um die Gunst der Männer, dachte sie und sah Alexander in die Augen.

      Er schien der einzige heterosexuelle Mann an diesem Strand zu sein – die Jünglinge, die etwa dreißig Meter entfernt im Wasser plantschten, ignorierte er vollkommen, starrte die ganze Zeit nur auf ihren Busen. Zwar vermutete er, dass sie ihre aufregenden Brüste auch einer der zahlreichen Operationen nach ihrem Unfall zu verdanken hatte, aber das schmälerte nicht seine Bewunderung.

      „Wie wäre es mit einer kleinen Abkühlung?“ Sie entledigte sich ihres Pareos und sprang mit dem Kopf voran von der Felsplatte. Er folgte ihr, ohne zu zögern, mit einem mindestens so vollendeten Kopfsprung. Gemeinsam schwammen sie weit hinaus, fast bis zum Felsen der Möwen. Zurück kraulten sie um die Wette.

      Als sie aus dem Wasser kamen, zogen sie sich um. Jeder für sich, schamhaft ihre Nacktheit unter ihren Handtüchern verbergend. Aus der Strandbar trug der Wind Soulklänge zu ihnen.

      Sie gingen Kaffee trinken, bestellten beide Café Frappé mit wenig Zucker und ohne Milch.

      „An sich mag ich keinen Sand, bevorzuge Kiesstrände. Doch dieser Strand ist etwas Besonderes“, sagte Alexander.

      „Ich liebe Sandstrände, habe mich deshalb in Samos in der Nähe von Limnionas angesiedelt.“

      „Erzählen Sie mir von Samos. Ich kenne diese Insel nicht gut. Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, sich dort niederzulassen?“

      „Ich war zu Beginn des neuen Jahrtausends öfter auf Samos. Mein Mann und ich haben dort sogar unsere Flitterwochen verbracht. Nach seinem Tod habe ich unsere gemeinsame Eigentumswohnung in Wien verkauft und seine Lebensversicherung ausbezahlt bekommen. Ich hätte das Geld in mein Geschäft stecken können, aber ich wollte unbedingt weg aus Wien und habe mich an die schöne Zeit, die ich auf Samos verbracht hatte, erinnert. Eines Tages habe ich im Internet einen Olivenhain mit Kalivi gefunden und sofort zugeschlagen. Manchmal kann ich sehr spontan sein. Das Kalivi habe ich dann, wie gesagt, in Windeseile renoviert und gleichzeitig begonnen, ein größeres Haus zu bauen. Ich habe mich in die Arbeit gestürzt, um zu vergessen. Die manuelle Arbeit hat mir gutgetan …“

      „Ich bewundere Ihren Mut und Ihre Energie“, warf Alexander ein.

      „Da gibt es nichts zu bewundern. Es war ein Akt der Verzweiflung.“

      Sie wechselte das Thema und erzählte von ihrem Freund Theo, bei dem sie zu Gast war, erwähnte, dass er finanzielle Probleme hatte.

      Alexander nützte seine Chance, bat sie, ihren Freund anzurufen und zu fragen, ob er abends bei ihm vorbeischauen könne.

      „Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Theo hat sich sehr verändert. Er hat zwar nie durch Bescheidenheit oder gar Understatement geglänzt, doch so frustriert und ekelhaft wie heute war er früher nicht.“

      „Vielleicht könnte ich seine Probleme aus der Welt schaffen“, sagte Alexander. Er fühlte sich miserabel, weil er diese wunderbare Frau für seine Zwecke zu benützen versuchte.

      Widerwillig griff

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