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noch nicht zu hören waren. Nun hatte sie das Mädel schon zweimal geweckt. Wo blieb sie nur? Über den Rand seiner Brille hinweg, die er beim Lesen der Zeitung benutzen mußte, warf Alfred Konrads einen prüfenden Blick auf seine Tochter.

      »Soll ich mal hinaufgehen und nachsehen, ob Jennifer noch nicht fertig ist, Roxi?«

      »Nein, laß nur, Vater, sie wird schon gleich kommen. Wenn sie jetzt so lange herumklüngelt, muß sie sich gleich eben beeilen. Merkst du nicht, daß sie mich regelrecht provozieren will? Das geht jetzt schon den dritten Tag so. Ich tu doch nun wirklich alles für Jennifer, seitdem ich ihr alles gesagt habe. Es tut mir weh, wie sehr sich mein kleines Mädel verändert.«

      »Du mußt ihr noch mehr Zeit lassen. Es ist nicht leicht, was die Kleine durchmacht. Ich habe dir doch schon vor Tagen gesagt, sie ist noch ein Kind. Was du provozieren nennst, ist bei ihr so eine Art Schutzpanzer. Es ist besser, wenn sie kratzbürstig und etwas aufmüpfig ist, als wenn sie andauernd weinen würde. Meinst du nicht auch? Aber still, ich glaube, sie kommt.«

      Roxannes Vater hatte richtig gehört, denn im gleichen Moment wurde die Küchentür weiter aufgeschoben, und Jennifer kam herein.

      »Guten Morgen, Opa«, sagte sie und setzte sich auf ihren Platz.

      »Guten Morgen, Schatz, jetzt mußt du dich aber mächtig beeilen, damit du pünktlich in der Schule bist.«

      »Ich mag nicht in die olle Schule, Opa.«

      »Natürlich gehst du zur Schule. Alle kleinen Mädchen müssen in die Schule und etwas lernen. Gehst ja sonst auch gern hin. Beeile dich, denn gleich kommt die Evi und holt dich ab.«

      »Opa hat recht, Liebling. Iß rasch dein Brot und trinke deine Milch. Es steht schon alles auf dem Tisch.«

      »Ich mag aber nicht. Ich habe keinen Hunger.« Trotzig sah Jennifer ihre Mutter an.

      »Du setzt dich jetzt hin und frühstückst. Mit leerem Magen kannst du nicht lernen«, sagte Roxanne sanft.

      »Ich will aber nicht, du brauchst mir überhaupt nichts mehr sagen. Du bist böse, und ich will meinen Vati, damit du es nur genau weißt.« Zornig stampfte das zierliche Mädchen mit dem Fuß auf, griff nach der Schultasche und lief aus der Küche. Bevor jemand reagieren konnte, fiel vorn mit lautem Knall die Haustür zu.

      »Dabei soll ich ruhig bleiben, Vater? So geht es doch auf keinen Fall. Das kann ich mir als Mutter nicht von einer Achtjährigen bieten lassen. So schlimm, wie gerade, war es bis jetzt noch nicht.«

      »Versuch wenigstens, darüber hinwegzusehen. Nimm ihr damit den Wind aus den Segeln. Biete der Kleinen keine Angriffsfläche. Sie sieht in dir im Augenblick ihren Feind. Du hast mit der Wahrheit das Bild, das sie in ihrem Herzen von ihrem Vater trug, ins Wanken gebracht. Wenn sie erst richtig begreift und versteht, wird sich das auch wieder ändern. Es ist Rüdigers Schuld. Auch wenn er sich von dir getrennt hat, hätte er Jennifer nicht so vollständig in diese Trennung miteinbeziehen dürfen. So kann ich dir nur raten, habe Geduld mit deiner Tochter. Wenn es dir bei ihrem augenblicklichen Verhalten auch sehr schwer fällt. Ich hoffe, du weißt, daß du immer auf mich zählen kannst.«

      »Ich weiß es, Vater, und ich kann dir dafür nicht genug danken.«

      »Danken? Du bist doch meine Tochter, Roxi. Also, reden wir nicht mehr davon. Einverstanden?«

      »Natürlich, Vater. Wir sollten jetzt frühstücken, sonst wird uns der Kaffee kalt. Wenn Jennifer Hunger hat, sie hat ja ihr Pausenbrot und dazu einen Apfel in ihrer Schultasche. Ihr Milchgeld für die Schule ist bezahlt, also hat sie auch in der Pause etwas zum Trinken.«

      Roxanne war gerade damit beschäftigt, die Schlafzimmer im ersten Stock zu richten, als sie hörte, wie Flapsi mit lautem Bellen auf das Klingeln an der Haustür reagierte.

      Die junge Frau eilte hinunter, um zu öffnen, denn der Vater konnte es nicht sein, der hatte einen Schlüssel.

      »Was ist los, Flapsi? Komm zurück von der Tür«, versuchte Roxanne den kleinen Dackel zu beruhigen und öffnete die Tür.

      Vor ihr stand mit gesenktem Kopf, wie eine arme Sünderin, Jennifer.

      Während Flapsi schwanzwedelnd an dem Mädel hochsprang, fragte Roxanne verdutzt: »Jennifer, du? Wo kommst du denn um diese Zeit her? Dein Unterricht ist doch erst in zwei Stunden beendet?«

      »Geh weg, Flapsi, laß mich in Ruhe«, wehrte Jennifer erst das Tier ab, danach sagte sie, ihre Mutter trotzig ansehend: »Unsere Lehrerin hat mich nach Hause geschickt, weil ich mich mit der Evi gezankt habe.«

      »Was hat die Evi dir denn getan? Ich dachte, ihr beiden seid Freundinnen.«

      »Die Schule ist doof, und eine Freundin brauche ich auch nicht.«

      »Und du willst mir nicht sagen, was los war?«

      »Nein, will ich nicht.«

      »Gut, dann werde ich die Evi fragen. Sie wird es mir schon sagen.«

      »Brauchst sie nicht zu fragen.«

      »So, brauche ich nicht? Komm einmal her zu mir, ich denke, daß wir uns doch ernsthaft unterhalten sollten.«

      Mit gesenktem Kopf kam Jennifer näher, blieb aber dann vor Roxanne stehen.

      Diese nahm den Arm des Mädels und führte es an den Tisch. Nachdem Jennifer sich hingesetzt hatte, zog sich Roxanne einen Stuhl herbei und nahm ebenfalls Platz.

      »So, mein Schatz, jetzt will ich genau wissen, warum dich deine Lehrerin nach Hause geschickt hat. Und wenn ich bitten darf, in einem vernünftigen Ton. Ich werde dir deine Ungezogenheiten nicht mehr durchgehen lassen. Also, ich höre, aber sag die Wahrheit.«

      »Ich will überhaupt nicht mehr in diese blöde Schule. Fräulein Furler ist auch böse, sie mag mich nicht. Immer schimpft sie mit mir, weil ich keine Lust zum Lernen habe. Ich habe gelogen, ich habe nicht mit Evi gestritten. Unsere Lehrerin hat mich nach Hause geschickt, weil ich…«

      »Weil du was, Jennifer«, drängte Roxanne, als ihre Tochter mitten im Satz abbrach und sie nur trotzig anstarrte.

      »Weil ich bockig war und alle meine Bücher auf die Erde geworfen habe. Ich will nicht mehr in diese Schule. Ich will zu meinem Vati. Wenn du mich nicht zu meinem Vati läßt, rede ich nie, nie mehr ein Wort mit dir.«

      »Jennifer, Kind, du weißt doch, daß ich dich nicht zum Vati bringen kann. Ich weiß ja noch nicht einmal, wo er jetzt wohnt. Du gehst jetzt hinauf in dein Zimmer. Du bleibst so lange oben und lernst, bis ich dir erlaube, wieder herunterzukommen. Geh jetzt, ich bin sehr traurig über dich. Und morgen wirst du dich bei deiner Lehrerin entschuldigen.«

      Ohne etwas zu erwidern, stand Jennifer auf, sah ihre Mutter nur stumm an und verließ dann die Küche. In der Diele nahm sie ihre Schultasche hoch und lief nach oben in ihr Zimmer.

      Traurig den Kopf schüttelnd sah Roxanne dem zierlichen Mädchen nach und fragte sich: Wie soll das nur noch weitergehen?

      *

      Schon nach einigen Tagen änderte sich Jennifers aufsässiges, aggressives Verhalten. Es schlug ins Gegenteil um. Sie ließ sich ohne Widerrede von der Mutter in die Schule schicken, ansonsten war sie nicht oft dazu zu bewegen, zum Spielen nach draußen zu gehen. Aber für Roxanne begannen jetzt erst recht die Sorgen um ihre Tochter. Mehr als einmal konnte sie beobachten, daß Jennifer einfach nur da saß und vor sich hin starrte. Auch für den Dackel Flapsi zeigte sie auf einmal keinerlei Interesse mehr. Das Mädel kapselte sich immer mehr ab, zog sich so von allem zurück, daß niemand mehr so recht mit ihr fertig wurde.

      Als Roxanne dann auch noch zu Jennifers Klassenlehrerin, Frau Furler, gebeten wurde und dort erfuhr, daß Jennifer sich so gut wie überhaupt nicht mehr am Unterricht beteiligte, war die junge Frau völlig ratlos.

      Als sie von dem Gespräch mit der Lehrerin nach Hause kam, fragte Alfred Konrads mit einem prüfenden Blick in ihr ernstes Gesicht: »War wohl nichts Gutes, was du erfahren hast, oder?«

      »So ist es, Vater, auch Frau Furler wird

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