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gehaucht und er ihr ebenfalls eine gute Nacht gewünscht hatte, ging sie nach oben in ihr Zimmer.

      *

      Als Jennifer am nächsten Tag gegen dreizehn Uhr aus der Schule kam, war sie noch recht fröhlich. Mit leuchtenden Augen zeigte sie Roxanne ihre Handarbeit, einen hübschen halbfertigen Topflappen.

      »Sehr hübsch, mein Schatz, nur immer weiter so. Du bist ein sehr geschicktes Mädchen.«

      »Wenn wir nach Hause fahren, zeige ich ihn auch dem Vati. Er wird sich ganz bestimmt darüber freuen. Ich habe auch ein schönes Bild für ihn gemalt. Soll ich es dir zeigen?«

      »Später, Liebling, jetzt werden wir erst einmal zu Mittag essen. Ruf doch den Opa, er ist mit Flapsi hinter dem Schuppen. Ich glaube, er hat eine Überraschung für dich. Ich decke derweil den Tisch.«

      Roxanne war gerade fertig, als Jennifer mit ihrem Opa die Küche betrat. Freudestrahlend lief sie auf Roxanne zu und sagte: »Mutti, Mutti, stell dir vor, der Opa hat ein Fahrrad für mich. Er hilft mir, damit ich schnell fahren lerne. Darf ich es mit nach Hause nehmen, wenn wir zum Vati fahren? Bitte, bitte, Mutti, sag ja, erlaube es mir.«

      Schon wieder das Gleiche. Wenn wir zum Vati fahren. Am liebsten hätte Roxanne sich die Ohren zugehalten. Sie konnte es schon nicht mehr hören. Ungeduldig antwortete sie daher: »Erst wird gegessen. Wir reden später darüber. Zuerst mußt du auch noch deine Hausaufgaben machen.«

      »Wir haben heute keine auf, weil wir doch heute eine Mathematikarbeit geschrieben haben. Und meinen Topflappen kann ich später weitermachen. Ich habe doch eine ganze Woche Zeit.«

      »In Ordnung. Setz dich jetzt hin, damit wir essen können. Kalt schmeckt es nicht.«

      Jennifer tat, wie ihre Mutter geheißen hatte, und genau wie der Opa ließ sie es sich gut schmecken.

      Roxanne brachte keinen Bissen herunter, denn sie hatte nur noch eine kleine Galgenfrist, bis sie mit Jennifer reden, ihr die Wahrheit sagen mußte. Sie hatte plötzlich große Angst davor, wie Jennifer darauf reagieren würde. Aber ein Hinausschieben war nun nicht mehr möglich. Jennifer mußte endlich mit ihren ständigen Fragen aufhören. Es war weder für ihre Tochter noch für sie selbst gut, wenn alles so weiterlaufen würde.

      Nach dem Essen sagte Alfred Konrads zu Roxanne: »Ich muß noch einmal in den Schuppen. Ein paar Kleinigkeiten sind noch an Jennifers Rad zu richten.«

      »Geh nur, Vater, ich muß mich sowieso mit Jennifer unterhalten. Komm, mein Schatz, wir gehen ins Wohnzimmer hinüber. Den Abwasch kann ich auch später erledigen.«

      Vertrauensvoll ging Jennifer mit ihrer Mutter, deren Herz auf einmal heftig pochte, ins Wohnzimmer.

      »Sagst du mir jetzt, wann wir endlich nach Hause zum Vati fahren, Mutti? Ich habe den Vati doch so lieb.«

      »Komm, setz dich einmal zu mir.«

      »Ja, Mutti.« Gehorsam setzte sich Jennifer neben ihre Mutti, die einen Arm um ihre Schulter legte und sie an sich zog.

      »Du bist doch mein liebes, großes Mädchen. Ich muß dir jetzt etwas sagen, was dir sehr weh tun wird. Du erinnerst dich doch bestimmt an die Zeit, bevor der Opa kam und uns zu sich holte. Du weißt noch, wie oft ich da geweint habe, nicht wahr?«

      »Ja, Mutti, du warst immer so traurig und hattest keine Zeit für mich. Es ist sehr schön, daß es dir jetzt wieder bessergeht. Darum möchte ich jetzt auch wieder…«

      »Das geht nicht, Liebling. Daß ich immer so traurig war, das hatte einen ganz bestimmten Grund. Dein Vati ist auch jetzt nicht zu Hause in unserer Wohnung. Er kommt auch nicht mehr zu uns zurück. Vati hat uns nicht mehr lieb. Er lebt mit einer…«

      »Nein, das ist nicht wahr. Vati hat mich lieb. Du lügst, du bist ja so gemein«, unterbrach die Achtjährige ihre Mutter mit sich überschlagender Stimme und riß sich mit einem heftigen Ruck los. Mit sprühenden Augen, aus denen Tränen liefen, starrte sie Ro­xanne an. Diese griff nach Jennifers Arm, um sie festzuhalten.

      »Nicht so, Kleines, habe ich dich schon einmal belogen? Ich bin doch auch sehr traurig darüber. Und weil das alles so ist, bleiben wir auch noch eine Weile hier beim Opa. Du weißt, ich habe dich sehr lieb, und ich werde dich niemals allein lassen. Komm, sei ein liebes Mädchen.«

      Erneut riß Jennifer sich los. Am ganzen Körper bebend schrie sie erregt.

      »Es ist nicht wahr, es ist nicht wahr, ich habe dich überhaupt nicht mehr lieb.«

      Roxanne war fassungslos, doch bevor sie auf diesen erneuten Ausbruch Jennifers reagieren konnte, stürzte das Mädchen aus dem Zimmer und rief immer wieder: »Opa, Opa, Opa, komm schnell! Opa, Opa.«

      Alfred Konrads hörte das laute Rufen und kam rasch ins Haus geeilt. Er konnte das Mädchen gerade noch auffangen.

      »Halt, nicht so stürmisch, Jennifer! Was ist denn nur mit dir los? Wo ist die Mutti?«

      »Mutti ist ja so gemein, ich habe sie überhaupt nicht mehr lieb. Sie hat gesagt… Sie hat gesagt, daß der Vati uns nicht mehr will, daß er uns nicht mehr lieb hat. Ich will zum Vati.« Wie kleine Sturzbäche rollten die Tränen über Jennifers Wangen.

      »Ganz ruhig, Mädel. Jetzt hör erst einmal auf zu weinen. Danach gehen wir beide zur Mutti. Sie ist nicht gemein. So etwas darfst du nie wieder sagen, hörst du?«

      »Warum sagt sie dann so was Böses?« schniefte Jennifer schluchzend. »Vati ist ganz bestimmt daheim und wartet auf uns.«

      »Mutti hat dir nichts Böses gesagt. Sie hat nur geglaubt, daß du mit deinen acht Jahren vernünftig genug bist, um zu verstehen. Dein Vati ist nicht bei euch daheim. Er ist jetzt schon viele Wochen fort. Schon als Mutti dir sagte, daß der Vati für längere Zeit fort müßte, hat er euch allein gelassen. Wenn ein Mann seine Frau und sein Kind verläßt, wird es wohl so sein, daß er sie auch nicht mehr liebt. Verstehst du das denn nicht?«

      »Aber warum hat er uns allein gelassen, Opa? Wir haben ihn doch lieb.«

      »Manchmal verstehen sich Erwachsene nicht mehr und gehen auseinander. Oder einer der Erwachsenen lernt einen Menschen kennen, den er mehr liebhat. Wenn du einmal älter bist, dann wirst du das verstehen. Meinst du, die Mutti hat gewollt, daß der Vati euch allein läßt? Wäre sie dann immer so traurig? Komm, gehen wir zu ihr. Wenn du garstig zu ihr warst, wird sie sicher sehr traurig sein.«

      »Ich will aber nicht zur Mutti, ich will nach oben in mein Zimmer gehen. Bitte, Opa, darf ich? Ich will jetzt ganz allein sein.«

      »Dann geh nach oben. Ich werde es der Mutti erklären.«

      Nachdenklich sah der hagere Mann hinter Jennifer her, die die Treppe förmlich hinaufstürmte, danach ging er zu Roxanne ins Wohnzimmer.

      Ihre Augen sahen ihn traurig an. Resignierend sagte sie: »Es war ein Fehlschlag, Vater. Jennifer kann oder will es nicht begreifen. Ich fühle mich wie ausgebrannt, daß ich ihr das antun mußte. Ich habe alles falsch gemacht, nicht wahr? Ich habe wohl das Vertrauen meines Kindes verloren, denkst du nicht auch so?«

      »Wie kannst du nur so etwas sagen, Roxi?«

      »Weil es den Tatsachen entspricht. Du hast nicht erlebt, wie außer sich sie vor einigen Minuten war.«

      »Sie ist ein Kind, Roxi. Ihr Ausbruch war sicher nicht böse. Sie sah sich plötzlich einer unbegreiflichen Situation gegenüber. Laß dem Kind etwas Zeit. Es wird sich langsam fangen und dich weiter liebhaben. Jennifer wird die Wahrheit begreifen und sich damit abfinden. Wenn du willst, kümmere ich mich nachher um sie.«

      »Ich weiß nicht, Vater, ich kann im Augenblick noch keinen klaren Gedanken fassen. Läßt du mich ein Weilchen allein?«

      »Natürlich, und mach dir nicht zu viele Sorgen. Es wird schon wieder werden.«

      Die Wünsche Roxannes und ihres Vaters erfüllten sich nicht. Jennifer begriff es nicht, fand sich nicht mit der Tatsache ab, daß ihr Vati, den sie so sehr liebte, auch von ihr nichts mehr wissen wollte. Jennifers Verhalten änderte sich.

      *

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