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ist. Ohne Mann!« sagte sie trotzig, als wäre die Tatsache allein schon ein Skandal.

      Die beiden Männer grinsten. Kai zwinkerte Michael zu, und Ruth dampfte ab in die Küche.

      Als Michael in seinen Jeep gestiegen war, überlegte er kurz, daß es keinen großen Umweg bedeutete, wenn er auf seinem Weg zu Bauer Kleinschmitt an dem Haus der alten Müllerin vorbeiführte. Kaum hatte er den Gedanken gefaßt, mußte er auch schon über sich lächeln. Hatte ihn die gute Ruth doch mit ihrer Neugierde angesteckt! Das Haus der Müllerin lag nicht weit vom Gut Steineck entfernt. Und schon aus einiger Entfernung erkannte Michael, daß sich tatsächlich dort etwas abspielte. Vor dem Eingang des kleinen, etwas heruntergekommenen Landhauses, stand ein Möbeltransporter. Michael stellte seinen Wagen ab und ging auf das Haus zu. In dem eingezäunten verwilderten Vorgarten spielten zwei Kinder mit Kieselsteinen. Ein strohblonder Junge von etwa sechs und ein Mädchen von circa vier Jahren, dessen Haar etwas dunkler und lockig war. Zögernd kam Michael näher und blieb am Zaun stehen. Der Junge blickte auf und schaute ihn an. Ein Gefühl, auf das Michael nicht vorbereitet war, nahm plötzlich Besitz von ihm. Er konnte den Blick nicht von dem Jungen nehmen. Bewegungslos stand er da und starrte den kleinen Jungen an. Nils war die Situation plötzlich unheimlich, und ohne sich von der Stelle zu rühren, rief er laut nach seiner Mutter. »Mama! Komm mal!«

      Wenige Sekunden darauf erschien Hanna in der Tür, bekleidet mit Jeans und Karohemd, die blonden Haare mit einem bunten Tuch hochgebunden. Ganz offensichtlich hatte sie viel zu tun.

      »Was gibt’s, Nils?«

      »Da«, sagte Nils nur und zeigte in Richtung Michael, der immer noch am Zaun stand. Hanna sah einen großen Mann mit dunkelblonden zerzausten Haaren. Er trug eine runde Brille und sah irgendwie übernächtigt aus. Mit müden Augen blickte er unverwandt in Hannas Richtung.

      »Guten Tag«, grüßte Hanna.

      »Guten Tag«, erwiderte Michael hastig und wandte sich sofort zum Gehen. Hanna wollte ihm noch etwas hinterher rufen. Doch ehe sie wußte was war, war er schon in seinen Jeep gesprungen und davon gebraust.

      »Wer war das?« fragte Nils.

      »Keine Ahnung«, antwortete Hanna irritiert. Sie hatte schon häufiger gehört, daß es schwer sei, sich als Städter in eine Dorfgemeinschaft zu integrieren. Vielleicht war das der erste Beweis für diese Behauptung. Sie schüttelte den hübschen Kopf und beschloß, die Sache erst einmal nicht zu ernst zu nehmen.

      »Spielt schön weiter, Kinder. Mama hat noch viel zu tun«, sagte sie und ging wieder zurück ins Haus. In der geräumigen schwarzweiß gefliesten Küche schaute Simone dem Elektriker bei der Arbeit zu und fragte, als Hanna wieder neben ihr stand:

      »Was war?«

      »Ich weiß auch nicht genau«, antwortete Hanna. »Da stand ein junger Mann am Zaun. Nils dachte vielleicht, daß er zu mir wollte. Dann war er aber sehr kurz angebunden und ist nach einem knappen Gruß gleich auf und davon mit seinem Jeep.«

      »Das war der Tierarzt«, brummte der Elektriker hinter dem Herd.

      »Der Tierarzt? Woher wissen Sie das?« wollte Simone wissen.

      »Weil er der einzige ist, der hier einen Jeep fährt«, erklärte der Elektriker knapp.

      »Und ist er immer so wortkarg?« fragte Hanna.

      »Eigentlich nicht… Vielleicht hat’s ihm die Sprache verschlagen, als er Sie gesehen hat«, mutmaßte der Elektromann und lachte, als hätte er einen wirklich originellen Witz gemacht.

      Hanna zog die Augenbrauen hoch. Simone grinste nur. Wer weiß, auf was sich Hanna mit ihrem Umzug aufs Land da eingelassen hatte. Das niedliche Häuschen hatte sie ihr nicht ausreden können, obwohl es einige Mängel hatte. Es war nicht sehr groß. Im Erdgeschoß gab es eine große Küche, einen Wohnraum und einen Wintergarten, von dem man einen herrlichen Ausblick in den weitläufigen verwilderten Garten hatte. Im ersten Stock, der eine ausgeprägte Schräge hatte, gab es vier weitere Zimmer. Es war also gerade einmal ausreichend Platz für Hanna, die Kinder und einen Gast. Wenn die Renovierungsarbeiten abgeschlossen sein würden, hätte Hanna wahrscheinlich genau das kleine Landhaus, von dem sie schon als Kind geträumt hatte. Also wozu den Versuch machen, die Freundin davon abzubringen? Aber Simone hatte sie vor dem Landleben gewarnt. Wenn du dich mit den Menschen, die hier leben, nicht verstehst, bist du verloren, hatte sie gesagt. Der Tierarzt

      schien jedenfalls schon so ein Sonderling zu sein. Da konnte man wirklich gespannt sein, wer noch so in diesem Nest lebte.

      *

      Während der Fahrt zu Bauer Kleinschmitt dachte Michael über die merkwürdige Begegnung mit der neuen Besitzerin nach. Ich bin übermüdet, sagte er sich. Ansonsten hätte mich der Anblick des Kindes nicht so aus dem Gleichgewicht gebracht. Die Mutter des Jungen hält mich bestimmt für verrückt, dachte er weiter. Michael war sich bis zu der Begegnung mit Nils nicht darüber klargewesen, wie sehr er immer noch unter dem Schicksalsschlag litt, der ihn vor vielen Jahren heimgesucht hatte. Irgendwie hatte er geglaubt, die Dinge verarbeitet zu haben und war erschrocken darüber, daß es offenbar nicht so war. Die Zeit heilt alle Wunden, sagt man. Doch manche Wunden heilen eben nie, dachte der Tierarzt. Bevor er in den Hof von Bauer Kleinschmitt einfuhr, beschloß er, in Zukunft einen weiten Bogen um das Haus der Müllerin zu machen.

      »Guten Morgen, Herr Tierarzt«, begrüßte ihn der Bauer mit einer brummigen aber gutgelaunten Stimme. Er hatte auch allen Grund zufrieden zu sein, denn es standen vier gesunde kräftige Kälber in seinem Stall, die jetzt von Michael Hollstein geimpft werden sollten. Der Bauer war heute zum Plaudern aufgelegt.

      Während Michael die nötigen Utensilien bereithielt, erzählte der Bauer ihm von den Neuigkeiten im Dorf.

      »Haben Sie schon gehört, daß wir Zuwachs in unserer Gemeinde bekommen, Herr Tierarzt?«

      »Ja, habe ich«, antwortete Michael knapp. Nicht schon wieder, dachte er. Gibt es denn in Thalbach kein anderes Thema mehr?

      »Eine Frau mit zwei Kindern ist in das Haus…«

      »Ich weiß. Ich habe sie sogar schon gesehen«, unterbrach ihn Michael.

      »Ach was. Und?« fragte der Bauer neugierig.

      »Du wirst auf deine alten Tage noch ein richtiges Klatschweib, Herbert«, rief die Bäuerin quer durch den Stall.

      »Die Frau scheint alleinstehend zu sein, Herr Doktor«, fuhr der Bauer fort.

      Seine Frau verdrehte die Augen. »Sie ist viel zu jung für dich, Herbert. Schlag dir das aus dem Kopf.«

      Jetzt konnte Michael ein Grinsen nicht verkneifen. Der alte Kleinschmitt war tatsächlich bekannt dafür, jungen Mädchen hinterher zu gucken, was seine Frau regelmäßig auf die Palme brachte.

      »So, das hätten wir«, sagte Michael und streichelte dem letzten Kalb über den Kopf. »Gibt’s sonst noch was?«

      »Nein, alles in Ordnung, Herr Tierarzt. Wollen Sie noch Milch oder Eier mitnehmen?«

      »Nein, heute nicht«, antwortete Michael und packte seinen Koffer. Der Bauer begleitete ihn noch bis zu seinem Jeep, kam aber nicht mehr auf die neue Nachbarin zu sprechen.

      Michael war froh, endlich nach Hause fahren zu können, denn mittlerweile verspürt er eine bleierne Müdigkeit.

      *

      Mechthild Schneider saß gerade beim Frühstück, als der Postbote sein typisch kurzes Klingeln verlauten ließ. Sie stand lustlos auf, um die Post hereinzuholen.

      Wahrscheinlich doch wieder nur Werbung, dachte sie, fand aber dann eine Karte ihrer Tochter Hanna vor.

      »Hm, wird ja auch Zeit, daß sie mal wieder etwas von sich hören läßt«, sagte Mechthild laut zu sich selbst, beziehungsweise zu Jakob, ihrem Papagei, der gelangweilt in seinem Vogelbauer saß, aber aufblickte, als er Mechthilds Stimme vernahm. Mechthild Schneider war nicht gerade angetan von Hannas Plänen, aufs Land zu ziehen. Diese Flausen konnte sie eigentlich nur von Günter, ihrem Vater, geerbt haben. Der Verwaltungsbeamte Günter Schneider

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