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nicht recht und geheiligt war. Und da gab es ja auch tolle Gevatterinnen in der Menge: Simone Quatrelivres, Agnes la Gadine, Rosine Piédebou. Konnte man da nicht wenigstens fluchen nach Belieben und ein bißchen den Namen Gottes lästern, an einem so schönen Tage, in so guter Gesellschaft von Geistlichen und Freudenmädchen? Daher fehlte es an ihnen nicht, und mitten in diesem Getobe gab es kein entsetzlicheres Kunterbunt von Lästerungen und Schändlichkeiten, als das dieser entfesselten Zungen, dieser Schreiber- und Studentenzungen, die das ganze Jahr hindurch von der Furcht vor dem heißen Eisen des heiligen Ludwig im Zaume gehalten wurden. Armer Sanct Ludwig! Welchen Hohn bereitet man dir in deinem eigenen Justizpalaste! Jeder von ihnen aus der Zahl der Neuangekommenen hatte ein schwarzes oder graues oder weißes oder violettes Priestergewand aufs Korn genommen. Johannes Frollo von Molendino aber hatte, als Bruder eines Archidiaconus, sich kühn an das rothe gemacht und brüllte aus Leibeskräften, seine frechen Augen auf den Cardinal heftend: »Cappa repleta mero!«

      Alle diese Einzelnheiten, welche wir hier zur Erbauung des Lesers enthüllen, waren dermaßen von dem allgemeinen Spectakel übertönt, daß sie verhallten, ehe sie zur reservirten Tribüne gelangten; auch wäre der Cardinal wenig davon getroffen worden, so sehr waren die Zügellosigkeiten jenes Tages den Sitten angemessen. Es war übrigens eine ganz andere, in seinem bedenklichen Antlitze sichtbare Sorge, die ihm auf dem Fuße folgte und fast zu gleicher Zeit die Tribüne mit ihm betrat: das war die flandrische Gesandtschaft.

      Nicht als ob er ein tiefblickender Staatsmann war, und die Heirath seiner Frau Cousine Margarethe von Burgund mit seinem Herrn Cousin Karl, dem Wiener Kronprinzen, als eine Sache von möglichen Folgen betrachtete, nein: wie lange die Scheinfreundschaft zwischen dem Herzoge von Oestreich und dem Könige von Frankreich dauere, wie der König von England die Verschmähung seiner Tochter aufnehmen würde, – das beunruhigte ihn ein wenig, und er ließ sich jeden Abend das königliche Gewächs von Chaillot schmecken, ohne zu ahnen, daß einige Flaschen vom nämlichen Weine (freilich vom Doctor Coictier ein klein wenig stärker gemacht), die von Ludwig dem Elften in aller Herzlichkeit Eduard dem Vierten dargebracht wurden, eines schönen Morgens Ludwig von Eduard befreien sollten. »Die sehr ehrenwerthe Gesandtschaft des Herrn Herzogs von Oestreich« brachte dem Cardinal keine dieser Sorgen, aber sie belästigte ihn von einer andern Seite. Es war in der That etwas hart, und wir haben schon auf der ersten Seite dieses Buches ein Wort davon gesprochen, daß er, Karl von Bourbon, genöthigt war, unbekannte Bürger zu bewillkommnen und festlich zu bewirthen; er, der Cardinal, Schöppen; er, der Franzose und fröhliche Gesellschafter, flamländische Biersäufer, und dazu vor allen Leuten! Das war sicherlich eine der lästigsten Heucheleien, welchen er, dem Könige zu lieb, jemals sich unterzogen hatte.

      Er wandte sich also mit der höchsten Anmuth (so verstand er sich darauf) nach der Thüre, als der Thürhüter mit schallender Stimme meldete: »Die Herren Gesandten des Herrn Herzogs von Oestreich.« Es braucht kaum gesagt zu werden, daß der ganze Saal es ebenso machte.

      Nun kamen, zwei und zwei, mit einer Würde, die mitten unter dem ausgelassenen geistlichen Gefolge Karls von Bourbon contrastirte, die achtundvierzig Gesandten Maximilians von Oestreich, an der Spitze der hochwürdige Pater in Gott, Johann, Abt von Saint-Bertin, Kanzler des goldenen Vließes, und Jacob von Goy, Herr Dauby, der würdige Landvogt von Gent. In der Menge trat tiefes Schweigen ein, hier und da von unterdrücktem Lachen beim Anhören all dieser absurden Namen und bürgerlichen Titel unterbrochen, die jede dieser Persönlichkeiten unbeirrt dem Thürhüter angab, der dann Namen und Titel bunt durcheinander und ganz verstümmelt in die Menge hineinwarf. Da kamen Meister Loys Roelof, der Schöppe der Stadt Löwen; Herr Clays von Etuelde, Schöppe von Brüssel; Herr Paul van Baeust, Herr von Voirmizelle, der Präsident von Flandern; Meister Johann Coleghens, der Bürgermeister der Stadt Antwerpen; Meister Georg de la Moere, erster Schöppe des Gerichtshofes der Stadt Gent; Meister Gheldolf van der Hage, erster Schöppe beim Erbschaftsgericht genannter Stadt; und der Herr von Bierbeque, und Johann Pinnock, und Johann Dymaerzelle u.s.w. u.s.w. u.s.w, Gerichtsvögte, Schöppen, Bürgermeister; Bürgermeister, Schöppen, Gerichtsvögte, alle hölzern, steif und gezwungen, in ihrem Sonntagsstaate von Sammet und Damast, die Köpfe in schwarze Sammetbaretts mit dicken Quasten aus cyprischen Goldtreffen gehüllt; echte flamländische Köpfe jedoch, würdige und ernste Gesichter, von der Sorte derer, wie sie Rembrandt so mächtig und ernst auf dem dunkeln Grunde seiner Nachtrunde hervortreten läßt; Personen, welche es alle auf der Stirn geschrieben trugen, daß Maximilian von Oestreich Grund hatte, »platterdings«, wie sein Manifest sagte, »auf ihre gute Gesinnung, Tapferkeit, Erprobtheit, Ehrenfestigkeit und Gutwilligkeit« zu vertrauen.

      Einer machte jedoch eine Ausnahme. Es war ein feines, kluges, listiges Gesicht, eine Art Affen- und Diplomatengesicht, welchem der Cardinal auf drei Schritte entgegenging und eine tiefe Verbeugung machte, und das sich schlechtweg nur »Wilhelm Rym, Rath und Pensionair der Stadt Gent« nannte.

      Wenige Leute wußten damals, was es mit diesem Wilhelm Rym auf sich hatte. Er war ein seltenes Genie, das zur Zeit einer Revolution mit Glanz auf der Oberfläche der Ereignisse erschienen wäre, das aber im fünfzehnten Jahrhunderte zu versteckten Intriguen gezwungen war, und sich genöthigt sah, »in Minen zu leben«, wie der Herzog von Saint-Simon sagt. Uebrigens wurde er auch als der erste »Minengräber« Europa's geschätzt, der vertraulich mit Ludwig dem Elften geheime Pläne schmiedete, und oft die Hand in des Königs versteckten Handlungen hatte. Alles das war diesem Haufen ganz unbekannt, den die Aufmerksamkeiten des Cardinals gegen die erbärmliche Figur eines flamländischen Schultheißen in gerechte Verwunderung setzten.

      Während der Pensionair von Gent und die Eminenz eine sehr tiefe Verbeugung und einige Worte in noch tieferem Tone austauschten, erschien ein Mensch von hoher Gestalt, mit breitem Gesichte und mächtigen Schultern, um gleichzeitig mit Wilhelm Rym wie eine Dogge hinter einem Fuchse einzutreten. Sein Filzhut und sein ledernes Koller wurden auffällig mitten in Sammet und Seide, welche ihn von allen Seiten umgaben. In der Annahme, es sei ein verirrter Stallknecht, hielt der Thürhüter ihn an.

      »He, Freund! hier geht's nicht herein.«

      Der Mann im ledernen Koller schob ihn an der Schulter zurück.

      »Was will der Narr von mir?« sagte er mit lauter Stimme, die den ganzen Saal auf die sonderbare Unterhaltung aufmerksam machte. »Du siehst nicht, daß ich dazu gehöre?«

      »Euer Name?« fragte der Thürhüter.

      »Jacob Coppenole.«

      »Euer Titel?«

      »Strumpfwirker, mit dem Hauszeichen ›Zu den drei Kettchen‹, in Gent.«

      Der Thürhüter zögerte. Schöppen und Bürgermeister zu melden, das mochte gehen; aber einen Strumpfwirker, das war beschwerlich. Der Cardinal saß wie auf Kohlen. Die ganze Volksmenge horchte und sah hin. Seit zwei Tagen hatte Seine Eminenz sich bemüht, diese flamländischen Bären zu belecken, um sie für öffentliche Vorstellung etwas fähig zu machen, und der Streich war arg. Während dessen näherte sich Wilhelm Rym mit seinem feinen Lächeln dem Thürhüter.

      »Meldet Meister Jacob Coppenole, Schreiber der Schöppen der Stadt Gent,« flüsterte er ihm sehr leise zu.

      »Thürhüter,« begann der Cardinal mit lauter Stimme, »meldet Meister Jacob Coppenole, Schreiber der Schöppen aus der erlauchten Stadt Gent.«

      Das war ein Fehler. Wilhelm Rym würde das Hindernis ganz allein beseitigt haben; aber Coppenole hatte den Cardinal verstanden.

      »Nein, Kreuz Gottes!« schrie er mit Donnerstimme. »Jacob Coppenole, Strumpfwirker. Hörst du, Thürhüter? Nichts mehr oder weniger. Kreuz Gottes! Strumpfwirker, das ist gut genug. Der Herr Erzherzog hat mehr als einmal seinen Handschuh in meinen Hosen gesucht.«

      Gelächter und Beifallsklatschen brachen los. Ein Witzwort wird sofort in Paris verstanden und folglich immer beklatscht.

      Dazu kam, daß Coppenole zum Volke gehörte und daß das Publikum, welches ihn umgab, zum Volke gehörte. Daher war die Verständigung zwischen jenen und ihm augenblicklich, elektrisch gewesen, so zu sagen auf gleichem Boden. Der hochmüthige Ausfall des flamländischen Strumpfwirkers, mit welchem

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