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Ich schenke dir den Tod. Ralf Gebhardt
Читать онлайн.Название Ich schenke dir den Tod
Год выпуска 0
isbn 9783958131125
Автор произведения Ralf Gebhardt
Жанр Языкознание
Серия Krimi
Издательство Bookwire
»Es sind eben keine menschlichen Knochen.«
In diesem Moment klingelte Störmers Handy. Er war froh, aus der gebückten Haltung aufstehen zu können. »Hallo Elena, schön, dass du anrufst.« Störmer klopfte Staub von der Hose, als er zuhörte. Er sah seinen Kollegen an. »Sie können aufhören. Wenn uns nicht alles täuscht, sind das die Knochen einer Katze. Genau kann unsere Kollegin das erst sagen, nachdem sie alles auf dem Tisch hat.«
»Na prima, dann darf wenigstens die Spurensicherung das Wochenende genießen.« Siebenhühner trat wütend in das Erdloch. Man sah ihm irgendwie an, dass es ihm peinlich war, Verstärkung aus Halle gerufen zu haben.
Störmer winkte ab und griff ihn plötzlich am Arm. »Moment, warten Sie.«
Er zeigte auf eine Stelle im Boden, die wie Messing glänzte, bückte sich und grub weiter. Kurze Zeit später hatte er ein Grablicht freigelegt.
»Voll mit Erde, wer weiß, wie lange das hier schon liegt.«
Unmittelbar darauf hielt er die Reste einer Gürtelschnalle sowie einen Schuhabsatz nach oben.
»Jetzt wird es wirklich spannend. Manche Dinge verrotten nämlich viel langsamer, als die Leute denken. Wir bestellen die Spusi nicht ab, die sollen sich das ruhig ansehen.« Er hob den Metalldeckel an und blickte in das Innere des geschmiedeten Grablichtes. »Das ist keine Erde.«
»Nein? Was könnte das sonst sein?«
»Asche, Herr Kollege. Sehen Sie?«
Auf dem grauweißen Inhalt lagen zwei Haarspangen, ein Ring sowie eine Kette. Siebenhühner wurde blass. »So eine Scheiße.«
Wortlos ging Störmer zum Kofferraum und holte zwei Cola aus der Kühltasche. Dann fotografierte er die Seiten aus Siebenhühners Notizbuch mit den Personenangaben der drei Zeugen. »Ich fahre zuerst zu den Damen, später ins Krankenhaus. Viel bringen wird es nicht. Wer weiß, wie lange die Überreste hier schon liegen. Würden Sie auf die Spusi warten? Die müssten bald kommen.«
Er setzte sich ins Auto.
(Vor dreißig Jahren)
Er wollte nicht böse sein.
Im Moment konnte er kaum unterscheiden, was schlimmer war: das Zittern seiner Hände oder die Hungerkrämpfe. Vorsichtig öffnete er die massive Holztür mit der altdeutschen Aufschrift »Luftschutzkeller, geeignet für vier Personen«.
Gierig sog der Junge die Sommerhitze ein, würgte die Vorahnung herunter. Nasskalter Moder umfing ihn schon auf der obersten Treppenstufe, ein fürchterlicher Gestank in einer zähen Mischung aus Früher und Heute. Rasch zog er die Tür hinter sich zu, damit ihm die Fliegen nicht folgten. Sein Rucksack mit der gestern gekauften Desinfektionsmittelflasche war leicht. Für Lebensmittel hatte das Geld nicht mehr gereicht. Der Monatsscheck war noch nicht in der Post gewesen.
Er folgte den ausgetretenen Sandsteinstufen und genoss die Stille des Ortes. Im flackernden Halbdunkel einer fast verbrannten Kerze konnte er ihre Gestalt auf der Liege ausmachen. Bevor er herantrat, stellte er den Rucksack mit der Flasche auf ein Regal. Dann beugte er sich hinab, um zu prüfen, ob sie atmete. Erschrocken zuckte er zurück, als sie die Augen öffnete und ihn gleichzeitig ein Schwall grün-galliger Speichelmasse nur knapp verfehlte. Geduldig wartete er das Ende eines Hustenanfalls ab und rollte ihre fleckige Wolldecke zurück.
Es wird gleich wehtun, dachte er bei sich.
Er nahm seinen alten Walkman, stülpte die Kopfhörer über und schob die Lautstärke fast auf Anschlag. Schließlich drehte er die Flasche mit dem Desinfektionsmittel auf und tränkte ein Geschirrtuch. Dann löste er die Fessel an ihrer linken Hand. Routiniert wischte er in einer schnellen Bewegung unter dem Lederriemen durch. Die klapprige Frau schrie auf. Dank der Musik sah er nur ihr verzerrtes Gesicht. Anschließend befreite er die rechte Hand. Ein Wisch mit dem Geschirrtuch ließ sie erneut das Gesicht verzerren. Jetzt erst sah er, dass sie weinte.
Mit einer Ecke des Tuches tupfte er ihr die Schweißperlen von der Stirn. Zufrieden bemerkte er, dass ihr Fieber gesunken war. Er wischte weiter, schließlich unter der Kleidung, darauf bedacht, jederzeit ausweichen zu können. Einmal, erinnerte er sich, hatte sie ihn mit ihren zahnlosen Kiefern gepackt und mit der Kraft eines Schraubstockes zugebissen, sodass das Fleisch an seinem Arm fast bis zum Knochen zerquetscht wurde. Von da an war er vorsichtig.
Er sah nicht hin, als er ihren Unterleib entblößte. Für einen kurzen Moment hörte er auf zu atmen. Dann griff er mit beiden Händen in die eklige, breiige Masse, die aus aufgequollenen Papier- und Stofffetzen bestand. Hastig stopfte er alles in eine Mülltüte. Mit dem Geschirrtuch wischte er gründlich nach, auch an den Stellen, wo er Entzündungen vermutete. Sie wimmerte. Wenn er wieder Geld hätte, würde er vielleicht richtige Windeln kaufen. Jetzt musste genügen, was da war.
Die Musik wummerte weiter in seinen Ohren, als er die mageren Beine säuberte. Damit sie nicht von der Liege fiel, beließ er die Fesseln an den Fußgelenken, umwischte sie nur mit einem Schwall Desinfektionsmittel. Zum Schluss faltete er das Tuch zu einer provisorischen Windel. Den letzten Rest aus der Flasche brauchte er, um seine eigenen Hände zu reinigen. Manchmal träumte er davon, sich Handschuhe zu kaufen.
Zufrieden schob er den Walkman in den Rucksack zurück.
Körperpflege war wichtig. Außerdem musste sie bei Kräften bleiben. Deshalb griff er nach einem angebrochenen Glas Babynahrung. Er warf zwei Beruhigungstabletten hinein und bückte sich nach der Blechschüssel, mit der er das von den Wänden laufende Wasser aufgefangen hatte. Es war genug Wasser da, um die Babynahrung zu verdünnen.
Er schüttelte das Glas, bis sich eine lockere Masse gebildet hatte. Sie versuchte, ihren Mund geschlossen zu halten. Aber dazu war sie inzwischen zu schwach. Ein kurzer Druck auf ihr Kinn genügte. Schnell schüttete er den Brei hinein, presste seine Hand auf ihren Mund und rieb ihre Kehle so lange, bis sie schluckte.
Später hörte sie auf zu weinen und sah ihn an. Die graugelbe Haut bildete einen scharfen Kontrast zum irren Glanz ihrer Augen, der dem bläulichen Flügelschlag einer schillernden Schmeißfliege ähnelte. Ihm schauderte.
Der Arzt hatte vor einiger Zeit gemeint, dass sie sich in wenigen Tagen erholen würde. Irgendwann verging jeder Anfall, das wusste er. Er hatte Angst um sie und wünschte sich sehr, sie bald wieder mit nach oben zu nehmen. Dann würde er auch wieder für sie tanzen. Er würde ihre lachenden Augen sehen, wenn er die blanken Elektrodrähte zwischen die eigenen Zehen steckte, um sich zuckend im Strom zu bewegen. Dass er danach Turnschuhe statt Sandalen tragen musste, störte ihn nicht. Wichtiger war, dass die anderen Kinder die schwarzen Brandstellen an seinen Füßen nicht sahen.
Er legte seine Stirn an die ihre: Alles wird gut. Du musst gesund werden, ja? Und ich werde tanzen.
Vorsichtig schob er ihre Hände zurück unter die Lederfesseln, sie ließ es geschehen. Kurz strich ihre aufgequollene Zunge über die rissigen Lippen. Ihr Atem wurde gleichmäßiger, sie schlief.
Zuletzt legte er die Wolldecke wieder über den fiebrigen Körper, griff seinen Rucksack, erneuerte die Kerze und stieg nach oben.
Auf der letzten Stufe bekreuzigte er sich. Dann betete er leise zur Mutter Gottes.
ZWEI
Alles scheint durchwoben wie ein rotgraues Nebelnetz. Dunkelheit drückt wie ein zähes Gelee auf die Augen. Für Erinnerungen ist es viel zu früh, ihr Gehirn ist noch nicht bereit dazu. In Bruchstücken kommen und gehen erste Gedanken und Geräusche, Geschmack und Duft. Wie in einer Disco-Show: da, weg, da, weg …
Die Momente der Klarheit werden länger. Einzelne Szenen reichen schon über Sekunden hinweg. Sie verbinden sich zu Anfängen von Gedanken, auch wenn sie noch nicht greifbar sind. Atmen. Heftig und tief, ohne Pause. Aus einem Instinkt heraus. Denn da ist sonst nichts. Weder ein Geräusch noch eine Bewegung, absolut nichts, noch nicht mal ein Blitz. Völlige Dunkelheit und Stille.
Sie schläft fast die ganze Zeit.
Erst später dann die ersten Empfindungen. Ein leichter, undefinierbarer